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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

So kam der Weihnachtstag heran. Ich war ein wenig spazieren gegangen und kehrte Nachmittags zum Hause zurück. Ein wachestehender Matrose empfing mich in dem erwähnten Gange und der Bitte, nicht weiter zu gehen. Um sechs Uhr durfte ich eintreten. Ein Weihnachtsbaum brannte in dem festlich, das heißt mit allen unseren Lampen erleuchteten Hause: die Steuerleute hatten ihn aus einem Tannenstocke und Besenreisern gefertigt und Dr. Laube’s Wachsstock zu Lichtern verwendet; Lebkuchen und Nachbildungen von Eskimos aus Kuchenteig waren vom Koche geformt und gebacken worden und dienten zu weiterem Schmucke. Ich vertheilte etwas Portwein und die für uns bestimmt gewesenen Geschenke nach des Gebers Willen durch eine Tombola. Um sieben Uhr war große Tafel. Wenige Tage vorher hatte uns ein Eisbär besucht und dabei sein Leben gelassen; seine Schinken bildeten den Festbraten. Außerdem gab es schönes frisches Brod und Chocolade und nach Tisch ein Glas Punsch. Wir waren vergnügt und doch sehr still. Die Gedanken wanderten nach der Heimath. Wir lasen die Zeitungen, in welche unsere Geschenke eingewickelt gewesen waren, mit Theilnahme, gaben sie von Hand zu Hand, lasen sie wieder und wurden immer stiller dabei. Wir waren nicht mehr in dem elenden Raume auf der im Weltmeere treibenden Scholle, sondern daheim, hörten den Jubel des Weihnachtabends, sahen uns im Kreise unserer Lieben: wir träumten wachend, waren glückselig dabei – und doch mag verstohlen eine oder die andere Thräne in den Bart gefallen sein. Ob es im Raume rauchte? Ich weiß es nicht. Nach Mitternacht suchten wir unsere Lagerstätten auf. Am andern Morgen waren wir wieder Männer, mußten es auch sein; denn unsere Lage forderte alle unsere Thatkraft heraus.“

So weit will ich der Erzählung Hegemann’s folgen. Wie das Haus im Innern eingerichtet war; wie man in ihm lebte und darbte; wie die Stürme darüber hin wetterten und brausten; wie die Scholle mehr und mehr zertrümmerte; wie es kam, daß man eine Bucht die Schreckensbucht nannte; wie am 16. Januar die Scholle zerspaltete, so daß der Riß mitten durch das Haus ging, dieses mit Wasser sich füllte, durch ein Fenster im Dache verlassen und aus den Trümmern eine neue kleinere Hütte gebaut werden mußte; wie man dann zum Theil in ihr, zum Theil in den Böten wohnen und schlafen mußte; wie man ununterbrochen von Furcht gequält, auch diese Hütte und die rettenden Böte zu verlieren, Tag und Nacht scharfe Wacht hielt; wie ein Mitglied der Gesellschaft in Folge der ausgestandenen Schrecken den Verstand verlor; wie man endlich, nachdem man zweihundert Tage auf der Scholle zugebracht, in den Böten sie verließ, dem Lande zuruderte und nach drei Wochen schwerster Arbeit zwischen und auf dem Eise das Land erreichte; wie man längs desselben weiter steuerte, am 13. Juni endlich halbverhungert mit gehißter Flagge in Friedrichsthal landete und von Missionären empfangen wurde mit dem Rufe: „Hurrah, das sind Deutsche!“ – wie man schüchtern dem Zwiebackkorbe der Frauen der Missionäre zusprach und den Hunger doch immer nicht zu stillen vermochte; was man sonst noch erlebte, Schlimmes und Heiteres, bis man in Kopenhagen landete: das werden die Männer der „Hansa“ im Vereine mit denen der „Germania“ uns in ihrem demnächst erscheinenden Reisewerke erzählen. Mit Stolz dürfen wir auf unsere deutsche Flagge blicken, welche, als sie von anderen Meeren verdrängt war, hoch oben im Eismeere flatterte, mit Stolz auch auf die stillen Großthaten dieser Männer schauen, mit Stolz ausrufen, wie unsere Missionäre unter den Eskimos es gethan: Hurrah, das sind Deutsche!




Der erste preußische Seesieg.[1]

Havanna, Insel Cuba, an Bord Sr. Maj. Kanonenboot „Meteor“ 11. November 1870.

In Folge einer Proclamation des Präsidenten der Vereinigten Staaten, nach welcher Kriegsschiffe der Kriegführenden nur vierundzwanzig Stunden lang in einem amerikanischen Hafen verweilen dürfen, verließ das Kanonenboot „Meteor“ am 6. November die Rhede von Key West, eines südlich von der Halbinsel Florida liegenden Eilandes. Wir dampften, nach der Havanna, indem wir glaubten, dort einige Sachen vorzufinden, die uns von Deutschland nachgesandt worden waren. Am nächsten Morgen schon trat die Insel Cuba in Sicht, und zehn Uhr Vormittags liefen wir in ihren Haupthafen, einen der schönsten und sichersten der Welt.

Eine Stunde später dampfte auch das französische Kanonenboot „Bouvet“ herein. Unsere Ueberraschung war um so freudiger, als wir bis jetzt vergeblich eine Gelegenheit ersehnt hatten, uns thatsächlich an dem ausgebrochenen Kriege zu betheiligen.

Der „Bouvet“ ist bedeutend größer als der „Meteor“; er führt neun Geschütze und hundert bis hundertzwanzig Mann Besatzung, wir hatten nur drei Geschütze und zweiundsechszig Mann an Bord. Noch mehr aber – und dies ist überhaupt der größte Vortheil, den ein Schiff nur haben kann – war er uns durch seine Schnelligkeit überlegen; die Stärke seiner Maschine gestattete ihm, elf bis dreizehn Seemeilen zu machen, während wir nur sechs eine halbe Seemeile in der Stunde laufen.

Trotzdem aber verließen wir Nachmittags ein Uhr den Hafen und sandten dem „Bouvet“ eine Herausforderung zum Gefecht. Gleichzeitig mit uns ging ein französischer Postdampfer hinaus, kehrte aber schleunigst um, da er glaubte, wir wollten ihn nehmen. Dies lag jedoch durchaus nicht in unserer Absicht, da ja nach Allerhöchster Cabinetsordre feindliches Privateigenthum zur See unantastbar ist. Der einzige Grund unseres Auslaufens war, den „Bouvet“ zu engagiren. Dieser kam jedoch nicht, und nachdem wir vier Stunden vergeblich auf ihn gewartet hatten, gingen wir wieder in den Hafen zurück.

Am nächsten Tage ein Uhr Mittags verließ das feindliche Schiff seinen Ankerplatz und ging in See. Zu gleicher Zeit erhielten wir nach seerechtlichem Gebrauche durch den Adjutanten des General-Gouverneurs von Cuba die Weisung, nicht eher als vierundzwanzig Stunden später den Hafen zu verlassen, und privatim die Nachricht, daß der „Bouvet“ uns am andern Tage draußen erwarten würde. Wahrscheinlich hatte er Tags vorher auf Grund einer gleichen Weisung unserer Aufforderung nicht sofort Folge geben können. Am Nachmittage kamen viele hier ansässige Deutsche an Bord, um uns Glück und Erfolg für den nächsten Tag zu wünschen.

Am 9. November Morgens sieben Uhr verkündeten die Signale eines spanischen Forts, daß Schiffe im Ansegeln seien. Wir waren noch immer im Glauben, daß der Franzose das Weite gesucht habe; da wehte plötzlich der französische Wimpel, blau-weiß-roth, von der Signalstation des Hafens, ein Zeichen, daß ein französisches Kriegsschiff in Sicht sei. Wir jauchzten vor Freude, nun wahrscheinlich doch noch mit dem Feinde zusammenzutreffen.

Mittags drei Viertel auf ein Uhr ging das Signal, das so lange geweht hatte, herunter; der Franzose war wieder außer Sicht. Wir mußten bis ein Uhr warten, da erst dann die vierundzwanzig Stunden abgelaufen waren. Zwei spanische Kriegsschiffe hatten ebenfalls Dampf auf, um bis zur Neutralitätsgrenze mit hinauszugehen und das Gefecht zu beobachten; zu dem gleichen Zwecke schifften sich spanische und englische Officiere ein. Ganz Havanna pilgerte nach dem Strande, alle Geschäfte waren geschlossen.

Punkt ein Uhr warfen wir unsere Befestigungen los und passirten eine Viertelstunde später die Forts, welche am Ausgange des Hafens liegen. Eine unabsehbare Menschenmenge hatte sich dort versammelt, Hunderte von Booten, mit Zuschauern schwer beladen, schwammen auf dem Wasser; überall wünschte man uns Glück und wehte mit weißen Tüchern. Nun wurde an Bord Generalmarsch geschlagen und wir machten „klar zum Gefecht“. Von dem „Bouvet“ war nichts zu sehen. Da plötzlich wehte das frühere Signal wieder auf dem Fort, er war also wiederum in Sicht. Um halb zwei Uhr erblickten wir am Horizont eine dunkle Rauchwolke und bald darauf auch die Masten unseres Gegners. Mit voller Kraft dampften wir auf ihn zu. Die beiden spanischen Kriegsschiffe, von denen eines den spanischen Admiral an Bord hatte, folgten uns.

Um zwei und ein Viertel Uhr, als wir uns dem Franzosen bis auf ungefähr viertausend Schritte genähert hatten, feuerte dieser den ersten Schuß ab. Das Geschoß ging über uns hinweg. Sechs Granaten, von denen keine traf, waren bereits nach uns geworfen, als wir auf zweitausendfünfhundert Schritte den ersten Schuß abgaben. An allen Masten, wurde die norddeutsche Flagge

  1. Wir verdanken die obigen Mittheilungen einem Freunde unseres Blattes, dessen Neffe den Kampf am Bord des „Meteor“ mitgemacht hat, und bringen den Brief des jungen Seemannes wörtlich zum Abdruck. D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 878. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_878.jpg&oldid=- (Version vom 23.12.2019)