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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Ernst Wilhelm Arnoldi.
Nach einem Oelgemälde im Besitze der Familie Arnoldi in Gotha

Wir befinden uns dabei in einer besonders günstigen Lage. Auf unser Ersuchen ist uns aus demhandschriftlichen Nachlasse Ernst Wilhelm Arnoldi's eine von ihm begonnene Selbstbiographie überlassen worden, die wir auszugsweise wiedergeben dürfen. Dieselbe begreift zwar nur seine Jugendjahre, enthält aber eine Fülle interessanten Materials, das wohl verdiente, in seinem ganzen Umfange bekannt zu werden, zumal es geeignet ist, ein genaues Bild von den Eigenschaften des Charakters und Herzens Arnoldi's zu geben, die seine Persönlichkeit später zu einer so bedeutsamen und gewinnenden gemacht haben.

Ernst Wilhelm Arnoldi schreibt im Jahre 1838:

„Wohl habe ich Ursache, mich nach dem Anfange und den Stationen meiner Laufbahn umzusehen, jetzt, da ich mich dem Ende Derselben nähere. Ich habe das sechzigste Lebensjahr überschritten; doch fühle ich mich noch zu wohl, um über solche Mängel zu klagen, welche mit den Naturgesetzen im besten Einklänge stehen. Dieses Loos habe ich gewiß meinen Eltern mit zu verdanken, die beide aus gesunden Geschlechtern entsprossen, gesund und verständig waren, und beide, der Vater wie die Mutter, das siebenundsiebenzigste Jahr erreichten. Ich bin am 21. Mai 1778 in Gotha geboren.

Von meinen Großeltern habe ich von väterlicher Seite den Großvater, den Kaufmann und Rathskämmerer Matthias Gottfried Arnoldi, von mütterlicher Seite beide gekannt. Jener hatte ohne Vermögen in Gotha eine Colonialwaarenhandlung gegründet und, wie er mit Genugthuung häufig sagte, durch Rechtschaffenheit, Fleiß und Sparsamkeit sich ein mäßiges Vermögen erworben.

Mein Vater, Ernst Friedrich Arnoldi, führte das von meinem Großvater begründete Geschäft fort, dem ich später mich selbst widmen sollte.

Ich habe meine Eltern 1820–21 von Moritz Steinla malen lassen. Beide Bilder sind gelungen, beide sprechen. Der Vater erscheint wie im Leben im Bilde streng, feurig, zum Zorn neigend, fest mit einem Anfluge von Stolz, bei klarem Verstande und scharfen Sinnen. Er war von mittlerer Größe, muskulös und ebenmäßig gebaut. Die Mutter vereinigte alle Eigenschaften, welche die Frau eines solchen Mannes besitzen maß: Geist, und Gemüth, Sanftmuth, Unterscheidungsgabe, Selbstbeherrschung, moralische und persönliche Würde. Von mehr als mittlerer Größe, schönem Gliederbau, edler Haltung und regelmäßiger Gesichtsbildung war und blieb sie eine schöne Frau bis in den Tod.

Mein Vater hatte seine Lehrjahre in Leipzig bestanden, zu jener Zeit, da Gellert lebte und lehrte. Vielleicht kam auf Rechnung dieses Umstandes meines Vaters Besitz von Gellert’s Schriften und, was mehr ist, seine sittliche Richtung, die seiner Frau und durch Beide die ihrer Kinder.

Schon in meinem elften, dem verängnißvollen Jahre 1789, nahm mein Vater mich mit auf die Messe zu Kassel, wo mir eine Neue Welt aufging. Abwechselnd mit meinem jüngeren Bruder begleitete ich die darauf folgenden Jahre meinen Vater nach Kassel und bereicherte meinen Geist an Vorstellungen und Wahrnehmungen. –

Eine Eigenthümlichkeit, wozu mich eine in meiner innersten Natur liegende Triebfeder anregte, bildete immer meine Sorge für und meine Besorgniß um meine Geschwister, deren es acht waren. Fast kein Tag ging hin, daß bei eintretender Nacht nicht der eine oder der andere meiner Brüder gefehlt hätte. Auch ohne mein Zuthun würde er sich schon wieder eingefunden haben, aber meine Angst ließ mir keine Ruhe. Einmal fand ich, nachdem ich

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 873. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_873.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)