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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Stunde an vor, ein anderer Mensch und recht sparsam zu werden, und der Mutter bald zu zeigen, daß ich mich gebessert habe. Es war auch wirklich das größte Glück für mich, daß ich von Fügen fortkam.

So war nun Alles zur Abreise fertig. Meine Mutter gab mir achtzehn Gulden Zehrpfennig mit, und mein Onkel Franz führte uns mit seinem Gefährte bis Kufstein. Beim Dreikönigswirth gaben wir dort das erste Concert, und ich trat da zum ersten Male vor einem Tiroler Publicum als Sänger auf. Ich benahm mich so couragirt, als wäre ich schon viele Jahre auf der Bühne gestanden. Unser Gesang fand ungemeinen Beifall, und wir machten schon in Kufstein ganz gute Geschäfte.

Von da reisten wir nach München, wo wir eine geraume Zeit verweilten und sehr beliebt waren. Wir hatten auch die Ehre, öfter vor dem Herzog Maximilian von Baiern zu singen. In kurzer Zeit schon hatte ich mir achtzig Gulden erspart. Dafür habe ich meinem Freunde Holaus viel zu danken. Er behandelte mich sehr gut, lehrte mich sparsam sein und doch dabei zu leben, wie es einem anständigen Menschen geziemt.

Eines Tages kam in München mein Freund Felix Margreiter zu uns, welcher eben auf der Heimreise begriffen war, um wieder eine Sommerfrische auf der Pfunser Alpe zu nehmen. Diesem gab ich die ersparten achtzig Gulden für meine Mutter auf mit dem Bemerken, der Leichtsinnige lasse sie Alle schön grüßen und er sei setzt schon ein besserer Mensch geworden. Es läßt sich denken, daß sie darüber zu Hause eine große Freude hatten.“

Die Reise wurde nun unter günstigen Bedingungen fortgesetzt – von München über Nürnberg, Bamberg nach Kissingen, von da nach Würzburg, Frankfurt bis Bad Ems und von da wieder zurück nach Karlsruhe und Baden-Baden. Hier aber ward ihrem Singen ein unerwünschtes Ziel gesetzt. Simon Holaus nämlich wurde krank und lag lange Zeit am Nervenfieber darnieder. Er erholte sich sehr langsam, und an eine Fortsetzung der Kunsteise war vor der Hand nicht zu denken. So traten sie denn den Rückweg nach Fügen an, wo sie eines Abends um zehn Uhr ankamen und bei Franz Rainer einkehrten.

„Wir unterhielten uns diesen Abend sehr angenehm; alle unsere Freunde strömten zusammen, und meine Mutter hatte eine große Freude, mich so umgeändert wiederzusehen.“




7.

So weit der erste Folioband, der aber kaum zum vierten Theile beschrieben, übrigens auch erst spät, im Jahre 1851, begonnen worden ist, als Herr Rainer einst von einer Schriftstellerlaune befallen wurde und sich erinnerungsselig hinsetzte, um seine Memoiren oder wenigstens die Geschichte seiner Jugend für Kinder und Enkel schriftlich herzustellen. Aelter und gleichzeitig entstanden ist das Tagebuch der Reise nach Amerika, etliche dreihundert enggeschriebene Seiten, auf welchen Herr Rainer vom 1. Januar 1840 bis in den Mai 1863 Tag für Tag seine Erlebnisse verzeichnete. Diesen reichhaltigeren Stoff zu verarbeiten will ich aber gern einem richtigeren Nachfolger überlassen. Gleichwohl mag in Kürze erwähnt werden, daß die erste Idee, die Fügener nach Amerika zu führen, von einem französischen Abenteurer, Eugen Burnand, ausging. Dieser erschien eines Tages im „Gasthaus zum Hackelthurm“, suchte die Sänger kennen zu lernen und „gaschierte sie dann auf zwei Jahre zu einer Kunstreise an“. Die anderen Glieder der Gesellschaft waren Simon Holaus, Margaretha Sprenger und Ludwig’s Base, Helena Rainer, eine Tochter des Onkels Johann Simon Holaus; der älteste unter ihnen zählte kaum zweiundzwanzig Jahre. Diese junge Gesellschaft, unerfahren und voll Vertrauen, wurde von dem Franzosen arglistig betrogen. Als sie nach vierzehn Monaten endlich Abrechnung und Auszahlung ihres Verdienstes verlangte, war Jener bald verschwunden und kam nicht wieder zum Vorschein. Die Zillerthaler saßen nun ohne alle Mittel, ganz verlassen zu New-Orleans; aber mit Hülfe einiger Schweizer Kaufleute gingen sie wieder unverzagt ihrem Berufe nach und errangen sehr schöne Erfolge, bis sie in Boston ein neues Mißgeschick befiel. Helena Rainer, ein reizendes, unverdorbenes Mädchen, hatte sich nämlich heimlich mit einem Amerikaner versprochen und eröffnete den Anderen erst wenige Tage vor der Hochzeit, daß sie aus der Gesellschaft treten werde.

Da alle Bitten und Vorstellungen vergeblich waren, so standen die Verlassenen allein, ohne Sopran, in der Welt und mußten sich schleunig um einen Ersatz umsehen. Als solcher fand sich ein hübscher irischer Knabe, in welchem Ludwig Rainer zufällig Anlage zum Jodeln entdeckt hatte. Die armen Eltern ließen den Jungen gern ab und so trat er denn nach einiger Uebung zu Boston mit den Zillerthalern als Tiroler auf und fand allgemeinen Beifall. Dies dauerte aber auch nicht lange; nach einem halben Jahre schlug des jungen Irländers feiner Sopran in eine Baßstimme um und die Gesellschaft war wieder in großer Noth. Sie schrieb nach Fügen und bat um Hülfe. Nachdem sie in Halifax drei Monate sehnsüchtig geharrt, kamen auch zwei Zillerthaler an, aber leider solche, „die besser mit der Heugabel umzugehen wußten, als mit Alpengesang!“ Die Enttäuschung war sehr bitter und es blieb nichts übrig, als in die Heimath zurückzukehren.

Damals brachte jedes Mitglied sechstausend Gulden nach Hause. Wäre Alles nach Wunsch gegangen und die letzte Widerwärtigkeit nicht eingetreten, so hätte, meint Ludwig Rainer, jeder Theilnehmer ebenso leicht sechszigtausend Dollars heimbringen können. Nach dieser Reise geschah es, daß ich den vielgewanderten Sänger 1844 zu Fügen traf und kennen lernte. Nunmehr entschloß er sich zu heirathen und zwar dieselbe Margareth Sprenger, welche mit ihm in Amerika gewesen. Sie starb aber bald nach ihrer ersten Entbindung. Von Gastwirths Hannele war nicht mehr die Rede; doch soll sie schon lange in Wien eine ganz glückliche Gattin und Besitzerin einer großen Meierei mit Milchwirthschaft sein. Nachdem sich Ludwig Rainer wieder verehelicht, kaufte er das Hirschenwirthshaus in Rattenberg. Im Jahre 1848 zog er gegen Garibaldi und seine Schaaren als Schützenlieutenant nach Wälschtirol. Als das Jahr 1851 und mit ihm die erste große Weltausstellung in London herankam, regte sich aber wieder eine tiefe Sehnsucht nach dem alten Wander- und Sängerleben in der weiten Welt. Auch Freund Holaus wollte nicht mehr zu Hause bleiben und so stellten sie wieder ein Quintett zusammen, welches sie nach London führten. Das Unternehmen hatte sehr guten Erfolg; die Zillerthaler sangen sogar mehrmals in Windsor Castle vor der Königin Victoria, von welcher ihr Hauptmann eine goldene Uhr zum Geschenk erhielt. Auch in Schottland und Irland ließen sie ihre Lieder erschallen und der große Name Rainer übte noch allenthalben seinen Zauber. Kaum zurückgekehrt, zog unser Held auch singend nach Italien und im Jahre 1855, von Graf Morny eingeladen, zur Weltausstellung nach Paris, wo er und seine Gesellschaft mehrmals in die Tuilerien beschieden wurden. Von Paris wandten sie sich nach dem Norden und sangen an den skandinavischen Höfen. Im Jahre 1858 nahm Ludwig Rainer ein langes Engagement in St. Petersburg an und blieb, wie schon erwähnt, gegen zehn Jahre dort. Da auch seine zweite Frau gestorben, so vermählte er sich am Newa-Strand zum dritten Male, und zwar mit Anna Prantl, der Wirthstochter von Margreten, welche, wie schon früher berichtet, eine Schwester der beiden schwarzen Gestalten ist, die ich damals zu Schwaz gesehen. Das war eine sehr lustige Hochzeit, ganz nach Tiroler Art, und mußten dabei auch die geladenen Gäste, mehrere hundert an der Zahl, in Tiroler Tracht erscheinen. Es störte die Freude keineswegs, daß das Brautpaar von deutschen und russischen Freunden auch mit sehr kostbaren Geschenken beehrt wurde.

Aus Rußland zog den Sänger 1868 das Wiener Schützenfest heraus. Er blieb mit seiner Gesellschaft sechs Monate in der Kaiserstadt an der Donau, bereiste dann Ungarn, Siebenbürgen, das Land der Walachen und drang selbst in die Türkei vor.

Vergangenen Herbst haben wir ihn und seine Gesellschaft in München gesehen und gehört. Damals gedachte er wieder ein halbes Jahr auf Wanderschaft zuzubringen. Die freie Zeit, welche er zwischen hinein in seiner Heimath verlebte, hatte er rührig benützt, um am Achensee nicht weit von der bekannten Scholastica, einen neuen Gasthof zu gründen. Eine Zubehör desselben, die Veranda oder das Kaffeehaus, sehr elegant an’s Gestade hingestellt, ist schon seit ein oder zwei Jahren eröffnet. Das Hôtel selbst soll im kommenden Sommer fertig sein. Während der unternehmende Mann in den europäischen Hauptstädten Zillerthaler Lieder singt, waltet dort in der Einsamkeit Frau Anna Rainer, die züchtige Hausfrau, jetzt von den Gästen des Achenthals nicht minder hochgestellt als freundliche tüchtige Wirthin, wie vordem von Russen und Tataren als kunstreiche Jodlerin. Möge das Unternehmen vor allen tellurischen Nationen Gnade und so das Gedeihen finden, das es verdient.




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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 841. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_841.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)