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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

die Generalstabskarte der nächsten Departementssection gebeugt. Auch aus den Wagen ist man ausgestiegen, besieht sich gegenseitig, „vertritt sich“ und „füttert“ im ausgedehntesten Maßstabe. Das Ganze sieht viel ähnlicher einer kolossalen munteren Gesellschaftsreise zu Pferd und Wagen mit überwiegend militärischen Theilnehmern als einem Kriegszuge durch Feindes Land. Freilich, je weiter man in demselben vorrückt, desto mehr hat sich dieser Charakter gewandelt, desto häufiger, finsterer und trauriger sind die Spuren des bitteren blutigen Ernstes geworden, auch auf den Wegen, welche das Hauptquartier marschirte!

Die Stunde des Rendezvous ist vorüber, und vorwärts geht es in alter Weise, in alter Ordnung, nur daß zuweilen der Kronprinz mit seinem Reitergefolge schneller vorausgesprengt ist und die Colonne ohne diese Spitze zu folgen hat. Sechs Stunden, auch wohl acht oder zwölf mag der ganze Marsch gedauert haben; da stockt der Zug. Man blickt nach vorn aus dem Wagenfenster nach der Ursache. Es zeigt sich der Eingang eines Dörfchens oder Städtchens, und an diesem Eingange steht der gestern Abend schon vorausgerittene Quartiermacher Hauptmann von Bosse oder der junge hübsche braunäugige, elegante und unermüdliche schlesische Dragonerlieutenant Herr von Bissing oder der Feldjägerlieutenant Herr von Hauschild und überreichen jedem der Heranreitenden oder Fahrenden seinen Quartierzettel mit der Anweisung, wo er den gastlich für ihn bereiteten Ort zu suchen hat, an dem er sein Haupt hinlegen könne für diese Nacht. Es ist wie eine Art gütiger Vorsehung, die über uns waltet.

Das ist eines Hauptquartiers Marsch in den Zeiten verhältnißmäßiger Waffenruhe. Angesichts naher großer Entscheidungskämpfe freilich gestaltet es sich wesentlich anders. Vielleicht darf ich den Lesern der Gartenlaube gelegentlich von dem Marschiren und Verhalten des Hauptquartiers und Obercommandos in der Schlacht erzählen.




Eine Zillerthaler Sängerfamilie.
Von Ludwig Steub.
(Schluß.)


5.

Es war im Jahre 1838, als sich im ganzen Lande Tirol große Unruhe und Geschäftigkeit zeigte. Alles Volk bereitete sich nämlich auf die Huldigung vor, welche der gute Kaiser Ferdinand im August zu Innsbruck einnehmen sollte.

Auch die Fügener Schützen boten alle Kräfte auf, um dem Kaiser die gebührende Ehre zu erweisen. Die Compagnie wurde unter Hauptmann Anton Ritzl, Hutmachermeister zu Fügen, bestmöglich zusammengestellt. Die Musikcapelle, in welcher Ludwig Rainer als Hornbläser wirkte, war ununterbrochen bemüht, neue Märsche und Gesänge einzustudiren, um sich in Innsbruck bestens hervorthun zu können. Täglich wurden Uebungen in der Gemeindeau gehalten, und die Gäste, die solchen Proben beigewohnt, waren alles Lobes voll, so daß der Compagnie im ganzen Innthal bis nach der Landeshauptstadt hinauf ein großer Ruf vorausging und die Bevölkerung in gespannter Erwartung war, die Fügener zu sehen und zu hören.

So marschirten sie denn eines Tages mit klingendem Spiel und unter allgemeinem Jubel aus und kamen am ersten Tage bis Schwaz. Dort wurden sie freundlichst begrüßt und hörten von allen Seiten, ihre Compagnie sei die schönste im Unterinnthale, was sie nicht wenig stolz machte.

Am nächsten Tage, als es schon dämmerte, rückten sie in die Stadt Hall ein, wo unzähliges Volk auf sie gewartet hatte, und beschlossen, dort zu bleiben. In der nahen Landeshauptstadt war freilich an diesem Abende eine wundervolle Beleuchtung, welche die Schützen mächtig anzog; allein die Hauptleute verboten strengstens hinaufzugehen, damit dort kein Fügener gesehen werde, ehedenn die ganze Compagnie ihren Einzug halte. Auf diesen Befehl begaben sich Alle in die Nachtquartiere; die Spielleute, unter ihnen Ludwig Rainer, meistentheils in das Wirthshaus ‚zu den drei Gilgen‘ (Lilien). Dort setzten sie sich zusammen und besprachen, wie man den Abend ausfüllen sollte. Nun waren aber Viele darunter, welche trotz des strengen Verbots die Beleuchtung gar gern gesehen hätten, und so ließ ihnen denn der Wirth zwei Stellwagen einspannen, in denen etwa dreißig Cameraden nach Innsbruck fuhren. Für ihre Zurückkunft sollte ihnen als Nachtlager frisches Stroh im neugebauten Pferdestall bereit gehalten werden.

Ludwig Rainer wäre ebenfalls gern mitgegangen, allein er und Onkel Franz und noch zwei andere Fügener hatten eine Einladung angenommen, beim Zeindt vor den Herren Bergbeamten zu singen, und so mußte er denn auf die vielversprechende Partie verzichten. Er sah jene seine Gefährten bei ihrer Abfahrt zum letzten Male lebendig.

Als der Gesang, der den vollen Beifall der Herren Beamten gefunden, zu Ende war, ließ Herr Bergrath Zöttl Forellen und Wein auftragen. Ludwig Rainer that sich dabei gütlich, bis um zwölf Uhr die Nachricht kam, die Schützen, welche nach Innsbruck gefahren, seien soeben wieder in den Drei Gilgen angekommen und gesonnen, sich noch mit Gesang und Tanz zu unterhalten. Unser Sänger wollte eben auch zu den Cameraden gehen, als ihm die hübsche Kellnerin zusprach, er solle doch bleiben, es könnte da ja auch noch lustig werden. Ueberdies kam noch ein guter Freund, Joseph Huber, der Fähndrich, dazu, bot ihm statt des Strohlagers in den Drei Gilgen sein Federbett an und bat ihn ebenfalls zu bleiben. So setzten sie sich denn zusammen und plauderten und scherzten bis noch ein Stündlein vergangen war.

Die Kellnerin wies ihnen hierauf die Schlafkammer an, die sie mit noch einigen anderen Schützen zu theilen hatten. Sie wollten sich eben zur Ruhe begeben, hatten auch schon das Licht ausgelöscht, als plötzlich auf der Gasse Lärm entstand. Zugleich hörte man die Trommler mit dumpfen Schlägen Alarm schlagen, einige Nothschüsse krachten und von allen Kirchthürmen erscholl ein schauerliches Sturmgeläute. Ludwig Rainer und der Fähndrich fuhren zusammen vor Angst und Schrecken, und weckten die Cameraden, die noch nicht selbst erwacht. Nun war aber auch schon im Hause Lärm entstanden.

Die Kellnerin kam schreiend und jammernd über die Stiege herauf, mit ihr der Hauptmann, der Landrichter, die Gerichtsschreiber und noch andere Leute, auch der Oberlieutenant, Franz Nißl, welcher eine große Laterne in der Hand führte. Als er Ludwig Rainer sah, stürzte er auf ihn zu, küßte ihn und sagte: „Gott sei Dank, daß Ihr da seid; wir glaubten auch Euch unter dem Schutthaufen!“

Jetzt erfuhren sie die traurige Geschichte ihrer Cameraden im Gilgenwirthshause und machten sich schnell fertig, um nach ihren Brüdern und Freunden zu sehen. Aber leider haben sie die meisten nicht mehr lebend gefunden! Auch der erwähnte Fähndrich hatte seine zwei Brüder verloren.

Was da nun vorgefallen, das erzählte dem Ludwig Rainer damals ein guter Freund, der sich gerettet hatte, Ludwig Werfer, des Schloßverwalters Sohn, und sagte:

„Es war ungefähr des Morgens um ein Uhr, als wir uns, gegen dreißig an der Zahl, Alle sehr heiter und etwas angetrunken, in den neuen Stall zur Ruhe begaben. Der Hausknecht begleitete uns mit einer Laterne und hängte diese mitten im Stalle an einen großen Pfeiler. Er bot uns noch Allen gute Nacht und schloß dann die Thür hinter sich zu. ‚Jetzt sind wir ja eingesperrt!‘ rief ich bedenklich aus.

‚Macht Nichts,‘ entgegnete ein Anderer, ‚so kann uns Niemand stehlen!‘

Der große Pfeiler theilte den Stall in zwei gleiche Theile. In der vordern Hälfte standen zwei starke Rosse, in der andern lagen die Schützen, darunter ich, als der nächste an dem Pfeiler. Als nun Alle bis auf den Lieutenant, welcher eben sein Seitengewehr abschnallte, sich niedergelegt hatten, hörte ich im obern Stock des Neubaus einen furchtbaren Kracher, so daß ich schnell auffuhr und ausrief: ‚Buben, das Haus bricht z’samm!‘ Was nun munter lag, lief schnell gegen die gesperrte Thür zu, aber während des Laufens brach auch schon das hintere Gewölbe herunter auf die armen Schläfer. Ich konnte noch deutlich sehen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 839. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_839.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)