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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Aber ich bitte Dich, was hast Du eigentlich von der Walter erfahren?“

Antonie zog eine Rose aus der vor ihr stehenden Vase und begann sie zu zerpflücken. „Nun, meine Nachrichten betreffen nicht gerade sie, hauptsächlich ihre Familie. Es dürfte Dir doch wohl neu sein, daß Mademoiselle Walter gar nicht einmal das Recht hat, sich so zu nennen. Es ist der Familienname ihrer Mutter, den diese wieder annahm, oder vielmehr annehmen mußte, weil der ihres Mannes sehr unliebsame Erinnerungen erweckte.“

Die sarkastische Ruhe, mit der er bis dahin zugehört, verschwand aus den Zügen Hermann’s und machte einer fahlen Blässe Platz. Aufhorchend beugte er sich weiter vor, und folgte mit sichtlicher Spannung dem weitern Verlauf des Gespräches.

„Ein falscher Name!“ rief Baron Sternfeld, der jetzt auch näher trat, „das ist ja offenbarer Betrug! Woher weißt Du das, Antonie? Und warum sprichst Du uns jetzt erst davon?“

„Weil ich selbst es erst vorgestern erfuhr. Meine Kammerfrau hat vor Jahren einmal W. besucht, und bereits bei dieser Gelegenheit Mademoiselle Gertrud kennen gelernt, deren Mutter damals noch lebte. Therese war nicht wenig erstaunt, in der angeblichen Madame Walter die Frau des ehemaligen Rentamtmanns Brand wiederzufinden.“

Hier legte sich die Hand der Präsidentin plötzlich schwer auf den Arm ihres Enkels und die Mahnung war nothwendig. Er war zusammengezuckt bei dem Namen, wie von einer Kugel getroffen, jetzt wendete er langsam das Antlitz der Großmutter zu, ihr Blick tauchte warnend tief in den seinigen, mit convulsivischem Griffe faßte er ihre Hand, aber die Warnung hatte gefruchtet, er behauptete die Herrschaft über seine Züge.

Die Anderen waren allzusehr mit den Enthüllungen Antoniens beschäftigt, um auf den Grafen zu achten. „Brand – Brand!“ sagte der Baron nachsinnend, „ich glaube den Namen schon gehört zu haben. Was war mit dem Manne?“

„Nicht viel Ehrenvolles. Er bestahl die ihm anvertraute Casse, unterschlug fürstliche Gelder und beging schließlich, als er sein Verbrechen entdeckt sah, die Abscheulichkeit, sich im Cabinet des Onkel Arnau, vor dessen Augen zu erschießen. Ich war damals noch ein Kind, aber ich weiß, daß die Sache ungeheures Aufsehen machte. Hermann muß sich ihrer noch ganz deutlich entsinnen, der Schreck kostete seiner armen Mutter beinahe das Leben.“

Graf Arnau schien die indirecte Frage nicht gehört zu haben, wenigstens gab er keine Antwort darauf. Seine Hand lag noch immer eiskalt und feucht in der der Präsidentin, sie mochte an dieser Hand fühlen, wie es um ihn stand, denn sie sah mit dem Ausdruck der Besorgniß plötzlich zu ihm auf, sein Gesicht erschien auch jetzt noch unbeweglich.

Die Baronin war in vollster Entrüstung. „Empörend! Die Tochter eines Diebes, eines Fälschers in meinem Hause! Und sie hat es gewagt, mir das zu verschweigen, sich unter falschem Namen bei mir einzuführen!“

Antonie lächelte hämisch. „Mein Gott, Bertha, kannst Du ihr das verdenken? Es wäre ihr wohl unmöglich gewesen, irgend eine anständige Stellung zu erhalten, hätte sie diese Antecedentien offen dargelegt.“

„Gleichviel, aber ich kann diesen Betrug nicht dulden, kann die Erziehung meiner Kinder nicht den Händen einer Person anvertrauen, die aus solcher Familie stammt. Ich werde mit ihr sprechen, noch heut’ werde ich das, und mir eine Erklärung darüber ausbitten –“

„Das wirst Du unterlassen, Bertha,“ unterbrach die Präsidentin sie im allerschärfsten Tone. „Weißt Du denn, ob das Mädchen überhaupt die Geschichte ihres Vaters kennt? Ich bezweifle das, und selbst wenn es wäre – die Kinder sind nicht verantwortlich für die Sünden der Eltern, an denen sie keinen Theil haben. Willst Du das Mädchen entlassen, so thue es wenigstens nicht in beleidigender Weise; überhaupt wünsche ich, daß Du keinen Schritt in dieser Angelegenheit thust, ohne vorher erst noch einmal mit mir Rücksprache genommen zu haben.“

Die alte Frau hatte sich erhoben und stand so gebieterisch vor ihrer Schwiegertochter, daß weder diese noch ihr Gatte eine Einwendung wagten; sie waren ohnehin gewohnt, sich der Autorität der Mutter unbedingt zu fügen, wenn deren plötzliche Parteinahme für die Gouvernante sie auch einigermaßen befremdete.

Die Präsidentin wendete sich zu ihrem Enkel. „Habe die Güte, mich nach meinem Zimmer zu führen, Hermann, ich fühle mich etwas ermüdet; und Dir, Antonie, rathe ich doch, Dich jetzt in den Wagen zu setzen und zu Deinem Manne hinauszufahren. Wenn Dir seine Verletzung auch gleichgültig ist, so erfordert es der Anstand, daß Du Dich, wenigstens in den Augen der Leute, etwas darum kümmerst. Der Wagen fährt eben vor, wie ich sehe.“

Der im Tone eines entschiedenen Befehls ertheilte Rath kam Frau von Reinert augenscheinlich ebenso ungelegen, als der Baronin das vorhergehende Verbot, aber auch sie versuchte keinen Widerspruch. In der übelsten Laune klingelte sie ihrer Kammerfrau und befahl Hut und Shawl zu bringen, während die Präsidentin auf Hermann’s Arm gestützt den Salon verließ.




„Daß Toni auch diesen unglückseligen Namen aussprechen mußte! Er bringt Dich völlig außer Dir! Hermann, ich bitte Dich, wo bleibt Deine Selbstbeherrschung, Deine Willenskraft?“

Großmutter und Enkel waren allein miteinander, die Portieren des Zimmers waren herabgelassen, die Thür verschlossen; man hatte sich vor Lauschern gesichert. Noch hatte der Graf kein Wort gesprochen, mit verschränkten Armen ging er unaufhörlich auf und nieder ohne zu antworten, ohne auch nur zu hören, die Präsidentin schüttelte rathlos den Kopf.

„Ich begreife nicht, was an dieser Entdeckung eigentlich so Furchtbares ist. Du hast lange genug nach der Frau und dem Kinde des – des Todten gesucht; Du behauptetest, es würde Dir die Ruhe wiedergeben, wenn Du im Stande wärest, etwas für sie zu thun. Jetzt solltest Du doch den Zufall segnen, der uns endlich Gelegenheit giebt –“

Der Graf blieb plötzlich stehen. „Segnen! Laß mich, Großmutter, Du weißt nicht, kannst nicht wissen, was dieser Name Alles in mir vernichtet hat!“

Sie trat zu ihm und legte die Hand auf seine Schulter. „Hermann, Du bist außer Stande, diese Angelegenheit ruhig und vernünftig zu beurtheilen, lege sie in meine Hände. Es versteht sich von selbst, daß nach dem, was wir jetzt wissen, das Mädchen nicht länger in unserer Familie bleiben kann. Bertha will sie ja ohnedies entlassen, ich werde sorgen, daß es in schonendster Weise geschieht, und später werden wir wohl irgend einen Vorwand finden, ihre Zukunft zu sichern. Thue das so glänzend, als Du nur vermagst, ersetze ihr das ganze Vermögen, was ihre Mutter damals verlor. Vielleicht gelingt es uns, irgend eine angemessene Partie für sie zu finden, einen Pfarrer oder dergleichen, und dann auf unverdächtige Weise diesem Manne –“

Der Graf machte sich plötzlich mit einer heftigen Bewegung los. „Laß Deine Pläne, Großmutter,“ sagte er schneidend. „Wenn es sich hier um Sühne handelte – ich wüßte wohl eine andere, aber ich weiß auch, daß sie sie nie, niemals von meiner Hand nehmen wird.“

„Von Deiner Hand? Um Gotteswillen nicht! Wir müssen mit größter Vorsicht zu Werke gehen. Was Du auch thun magst, sie darf nicht ahnen, von wem es kommt, sie könnte sich sonst fragen, weshalb es geschieht.“

„Und wenn sie das bereits wüßte?“

„Hermann!“

„Sie weiß es, muß es wissen! Jetzt begreife ich diesen glühenden, unversöhnlichen Haß, den sie mir vom ersten Moment an entgegentrug, diesen Abscheu vor meiner Nähe, dies ganze räthselhafte Wesen. Daß mir auch nie eine Ahnung der Wahrheit kam; der Name war es, der mich irre führte. O, sie weiß Alles, sage ich Dir, sie verrieth es in jedem Wort, in jeder Miene. Nur Eines vermag ich ihr nicht zu entreißen, ein Geheimniß, das sie fest zu bewahren versteht, und doch muß ich darüber Gewißheit haben – Gewißheit um jeden Preis!“

Er nahm in furchtbarster Erregung seinen Gang durch das Zimmer wieder auf, die Präsidentin stand noch immer sprachlos; ob sie sich mehr entsetzte über den Gedanken, er könne Recht haben, oder über diesen Ausbruch der Leidenschaft bei dem sonst

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 834. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_834.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)