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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

voll behaglichen Schauders uns das Elend von damals vorzustellen, um desto besser zu ermessen, welch ungeheuren Fortschritt wir gemacht – aber wir brauchen nicht so weit zu schweifen, wir dürfen uns nur umschauen in solch einem entlegenen Winkel des eigenen Vaterlandes, wenn er von einem Mißwachs heimgesucht ist, und siehe, da steht es vor uns in leibhaftiger Gestalt, das alte Ammenmärchen vom Hungerssterben!

In solche einem Winkel lagen Alfred’s Güter, Saltenowen, wie es dort hieß, und Hermersdorff, wie glückliche Inseln allen Landwirthen der Provinz zum neidisch angestaunten Vorbild, und zwanzig Meilen von der großen Hauptstadt der Provinz in öder Gegend am Saum eines herrlichen Kiefernwaldes, des sogenannten Borkenschen Forstes. Dieser Wald erstreckt sich längs dem Ufer des kleinen Haasznensees hin, dessen Spiegel die Schatten und Umrisse der mächtigen alten Kiefern verdüstern und ihm ein finsteres melancholisches Gepräge geben, als lägen geheimnißvolle Schrecknisse auf seinem Grund, welche die dunkle Fluth verbergen müsse. Unter den überhängenden Zweigen gleitet lautlos der Nachen des Fischers am Ufer hin und in das Netz, das er auswirft, sind Haare vom Haupte einer Jungfrau eingestrickt, denn diese sind gut gegen jeden Zauber und ziehen die Fische an. Hier im Schatten des Waldes am stillen Haasznensee birgt sich noch die Waldhexe und der Wehrwolf, hier hausen die vertriebenen Götter Percunos, Potrimbus und die strenge Lauma, die darauf Acht giebt, daß der Faden des Fischernetzes nicht am Donnerstage gesponnen sei; wehe dem, der dessen nicht sicher ist, – denn der Faden, der am Tage der Lauma gedreht, der dreht den Fischer mitsammt dem Nachen im Wirbel, bis er untergeht und auch unten muß er sich drehen ruhelos in alle Ewigkeit. An der Stelle aber, wo er versank, bleibt ein Strudel zurück, der Jeden hinabspült, der ihm zu nahe kommt. Drum weilt der vorsichtige Schiffer hier gerne am Uferrand, wo er für alle Fälle einen Zweig fassen kann, und träumt in träger Ruhe von den alten und neuen Göttern und mit welchen man es wohl am klügsten zu halten habe, indessen die verborgene Branntweinflasche leer und leerer und der wüste Kopf schwer und schwerer wird. Aber eine kurze Strecke weiter hinab, wo sich der Wald lichtet und der Haasznensee in den Lykfluß ausmündet, der sich brausend mit starkem Gefäll in die Niederung gen Süden ergießt, da war sie geflohen, die düstere Poesie des nordischen Glaubens mit ihren geheimen Schauern, und ein buntes lautes Treiben, ein gesundes Leben und Schaffen an ihre Stelle getreten. Hier dampften die Schornsteine der Brauerei, hier schimmerten die rothen Dächer der neugeschaffenen kleinen Arbeiterstadt Alfreds aus dem Grünen hervor. Der reißende Fluß trieb klappernde Mühlen und aus den geöffneten Fenstern der Fabrik drang das Sausen und Surren der Spinnräder und Webstühle. Weit und breit unübersehbare Flachsfelder und, Weinbergen gleich, auf sonnigen Hügeln die bochragenden Hopfenpflanzungen. Auf den gemähten Wiesen jagten sich leichtfüßig die stolzen Trakehner-Füllen von dem Saltenow’schen Gestüt und die Giebelfenster des freundlichen Herrenhauses glänzten in der Sonne wie lachende Augen, weithin den Reichthum überblickend, der sich unter dem Schutz eines gesegneten Hauses entfaltete. Die nördliche Grenze des Gutes bildete der dunkle Wald, die östliche der rauschende Fluß, der weithin die Wiesen bewässerte, nur nach Süden und Westen grenzte es an armes verkommenes Land, von dem es sich grell abhob, denn bis dorthin war der bildende Einfluß Alfred’s noch nicht gedrungen, dort hatte er noch nicht die alten verheerenden Erbfehler der Masuren, Arbeitsscheu und Trunksucht, auszurotten vermocht.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.

„Vom Feld und Bett der Ehre sende ich Ihnen“ – so schreibt der Maler Kaspar Kögler an den Herausgeber dieses Blattes – „zwei Bilder des Kriegs, die von seinen Schrecknissen und seinem Jammer erschütterndes Zeugniß ablegen. Das erste zeigt eine Scene vom Schlachtfeld bei Mars la Tour während der Schlacht vom sechszehnten August vor Metz. Den Weg von Gorze aus aufwärts durch den Wald, und über die kahlen Höhen jenseits des Waldes, die mit den Opfern der mörderischsten aller Schlachten besät waren, bedechte an jenem Tage gegen Abend eine unübersehbare Munitionscolonne. Noch dröhnte der Boden von dem unbeschreiblichen Getöse der Schlacht. Der Donner der Geschütze, das Geknatter von Tausenden von Flintenschüssen, das Rauschen der Mitrailleusen dazwischen machte auf mein Gemüth einen überwältigenden Eindruck. Ich ging an der Munitionscolonne entlang, die Seele von Entsetzen erfüllt beim Anblick der reichen Saat, die der Tod rings um mich her gestreut hatte. In immer neuen Stellungen und Verrenkungen lagen sie da, all’ die Tapferen, mit verzerrten Zügen, zerrissen und staubbedeckt. Immer dichter wurde die Zahl, immer größer mein Grauen. Da erblickte ich die in der Zeichnung wiedergegebene Scene. Dicht neben den entstellten verzerrten Leichen, wie sie die feindlichen Kugeln zahlreich an den Abhang der Straße geworfen, hatten sich einzelne Soldaten der Munitionscolonne hingestreckt und – schliefen, schliefen sanft und träumten vielleicht die friedlichsten Träume, dieweil vom Donner der Schlacht der Erdboden zitterte und die gefallenen Brüder dicht an ihrer Seite den ewigen Schlaf schliefen! Manche unterschieden sich nur dadurch von den Todten, daß sie weniger bestaubt waren als diese. Welch ein Bild! Noch drängen sich mir die Thränen in die Augen, wenn ich mir dasselbe vergegenwärtige. Die Leiche im Vordergrunde links war die eines Unterofficiers, eines bildschönen jungen Mannes, den seine überlebenden Cameraden pietätvoll gerade gelegt und dem sie die Hände über die Brust gekreuzt hatten. So begegnete man allenthalhen kleinen rührenden Zügen der Anhänglichkeit, Freundschaft und menschlichen Gesittung. Eine andere an die Straßenerhöhung geworfene Leiche, deren von einer gräßlichen Wunde entstelltes Gesicht mit einem verstaubten Fetzen überdeckt war, hatte ein Kernschuß getroffen, so daß sie plötzlich erstarrt in der Stellung des Zielens dahinsank, die Arme starr emporstreckend, ein grauenhafter Anblick.

Die zweite Zeichnung bedarf wohl keines Commentars. Es ist ein einfaches, armes Soldatengrab, wie sie zu Hunderten die französische Erde bedecken. Nirgends habe ich in allen illustrirten Zeitschriften ein solches Grab gefunden und es ist doch gewiß ein Bild, das in seiner traurigen Aermlichkeit eine gewaltige Sprache spricht, eine Sprache, die bis in die zartesten Fasern der Seele dringt. Auf malerischen Effect konnte es natürlich bei diesem Gegenstande nicht ankommen, sondern nur auf die vollständige einfache Treue der Darstellung. Vor den Speicherer Höhen im weiten Felde erhebt sich dieser künstliche Erdhügel. Auf der Mitte desselhen ist aus rohen Baumästen ein Kreuz errichtet. Der Querbalken ist mit dem Beile glatt gehauen und trägt die mit Röthel geschriebene Inschrift: „16 Mann vom 40. Regiment, 2 Officiere“ – einige verwelkte Baumzweige bilden den Kranz des Kreuzes, das eine Pickelhaube krönt. Der Soldatenstand der in diesem großen Grabe Schlafenden ist deutlich genug angezeigt durch die Armaturstücke, welche die einzige Zierde desselben sind. Im Hintergrunde zur Linken deuten die Lindenreihen den durch den ersten Tag des Krieges berühmt gewordenen Exercirplatz von Saarbrücken an.“


Wem tritt beim Anblick dieses Grabbildes nicht der schöne, rührende Gedanke einer deutschen Frau vor die Seele, den wir hiermit aussprechen wollen. Wenn wir – sagt sie – schon jetzt in den Zeitungen den Satz lesen: „Wie lange wird es dauern, so geht die Pflugschaar über unsere Todten!“ – so drängt sich uns die Frage auf: „Ist’s für das einige Deutschland unmöglich, für seine Kinder das Stück Erde, in welchem sie in Frankreich liegen, zu erwerben und in einen sichern Friedhof zu verwandeln?“ Welche Beruhigung, ja welche Beglückung für die trauernden Angehörigen liegt in der Gewißheit, daß ihre gefallenen Lieben in sicherer Stätte ruhen und daß ihre Gräber wenigstens davor geschützt sind, binnen kurzer Zeit ganz vom Boden zu verschwinden! Es sind Väter und Mütter, es sind Brüder und Schwestern, Gattinnen und Bräute, welche in der Vorstellung solcher von der Heimath geschützten Grabstätten einen Trost für die peinigende Sehnsucht nach ihren verlorenen Lieben suchen. Und wahrlich, wenn es möglich ist, sollte dem tiefen Schmerz dieser Balsam wohl gereicht werden! –




Die gerettete Uhr. „Die blutige Wahlstatt von Vionville,“ erzählte der Sohn meines Freundes, „zählte auch mich zu den Schwerverwundeten. Während mir Schulter und Hüfte an der rechten Seite durch zwei Granatsplitter erheblich verletzt und beschädigt wurden, drang im nächsten Augenblicke eine Chassepotkugel in den Oberschenkel des linken Fußes, welcher nach wenigen Secunden eine zweite Kugel folgte, die das Schienbein des rechten Fußes traf. Der starke Blutverlust bewirkte eine tiefe Erschöpfung, ich fühlte, daß alle meine Kräfte schwanden und sank neben einem im Granatfeuer getödteten Pferde zu Boden. Eine bald darauf eintretende Ohnmacht raubte mir vollends die Besinnung. Erst beim Morgengrauen des folgenden Tages erwachte ich aus diesem lethargischen und sinneslosen Zustande, wobei ich gewahr wurde, daß ich mich noch auf derselben Stelle neben dem erschossenen Pferde befand.

Nachdem ich eine Zeit lang vergebens auf helfende Menschenhände gehofft hatte, versuchte ich mit Aufbietung aller Kräfte unter großen Schmerzen mich emporzurichten. Leider konnte ich es nur bis zu einer knieenden Stellung bringen, bei welcher indeß die Schmerzen sich vergrößerten und die Wunden von Neuem zu bluten anfingen. Es blieb mir unter diesen Umständen Nichts übrig, als die unter mir befindliche Blutlache noch länger als meine Lagerstatt beizubehalten, doch änderte sich meine Lage hierhei insofern, als ich die Gelegenheit benutzte, meinen Kopf auf den Hals des getödteten Pferdes zu legen. Kaum hatte ich einige Minuten in dieser Stellung zugebracht und sehnlichst einen meine Schmerzen besänftigenden Schlummer herbeigewünscht, als ich bei dem immer stärker hervortretenden Tageslichte eine aus Männern und Weibern bestehende Gruppe von Menschen bemerkte, an welche sich zunächst meine Hoffnung auf baldige Erlösung aus meiner traurigen Lage knüpfte. Nur zu bald wurde ich indeß meinen Irrthum gewahr, da mich die verschiedenen von

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 831. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_831.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)