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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

gar eine Feldschlacht in sicherer Aussicht steht – überrascht worden durch eine solche ist die dritte Armee in diesem ganzen Feldzuge noch niemals, man wußte Ort und Zeit jedes Mal ziemlich sicher vorher zu bestimmen – , wurde die Stundne auch wohl selbst bis zu vier Uhr Morgens vorgerückt. Man ist eben mit seiner schnell gemachten Marschtoilette und im günstigen Fall seinem Morgenimbiß fertig geworden, hat Abschied von seinen Quartiergebern (fast immer konnte ich sagen, schnell gewonnenen Freunden) genommen, hat Handkoffer und Reisetasche wieder geschlossen, so tönen schon von draußen her aus einer benachbarten Gasse immer lauter und näher kommend die wohlbekannten Klänge des Preußenliedes von der Militärmusik der begleitenden Infanteriebedeckungsmannschaft gespielt. Zu diesen Klängen marschirt dieselbe vor das Quartier des Obercommandos, um dort die über Nacht daselbst eingestellte Bataillonsfahne wieder abzuholen. Sie bleibt auch draußen unentfaltet in ihrer schwarzen Umhüllung, und um sie geordnet marschiren die Compagnien zum Dorf oder Städtchen hinaus weit vorwärts auf der Landstraße hin, Hauptmann und Lieutenants zu Pferde an der Spitze. Dort machen sie Halt.

Draußen herrscht bereits lebhafte Bewegung. Die Marschcolonne langt allmählich in ihren einzelnen Bestandtheilen an; es gilt, sie draußen der vorgeschriebenen, streng festgehaltenen Reihenfolge gemäß zu ordnen, ihre Vollständigkeit zu controlliren, jedes eigenmächtige Ausschreiten zu verhindern, jede Verwirrung zu lösen. Die Oberleitung bei der Durchführung dieser schwierige Aufgabe fällt dem Quartiermeister, Major von Winterfeld, zu. Es ist eine von den stattlichsten militärischen Figuren. Mittelgroß, breitbrüstig, von einer gewissen allgemeinen Beleibtheit, das ganz kurz geschorene Haar und der kurze Vollbart (sogenannter „Generalstabsbart“) auffallend silbergrau, während die großen, feurigen wunderschönen braunen Augen, die Leichtigkeit der Bewegungen, die Festigkeit der Haltung und des Sitzes im Sattel, Alles an ihm den Mann von kaum vierzig Jahren bekundet. Als getreue Helfer und Ausführer seiner Befehle stehen diesem Chef, der sein Auge überall haben muß, dem Nichts entgehen darf, zunächst seine Armeegensd’armen zur Seite. Sie haben sich während dieses ganzen Feldzugs auf’s Trefflichste bewährt; an Pflichteifer und Treue, wie an körperlicher Tüchtigkeit gleich unermüdlich, haben sie sich in ihrem schwierigen Berufe außerordentlich verdient gemacht. Dieser besteht nach der erleuchteten Ansicht der Franzosen bekanntlich nur darin, „mit dem Carabiner in der einen und mit dem Säbel in der andern Hand“, die nur gezwungen und widerwillig, wie eine Heerde zum Schlachthaus, zum Krieg und Marsch getriebenen Landwehren am Davon- und Heimlaufen zu verhindern; in Wirklichkeit aber bekanntlich in der Landstraßenpolizei im Feindeslande und im Ordnunghalten bei den Märschen auf den Wegen und an den Quartierorten. Beim Hauptquartier der dritten Armee fungirt als Oberwachtmeister der ihr beigegebenen Gensd’armen unser nicht genug zu schätzender Freund Herr Brodsky, sonst in Preußisch Holland stationirt, neulich mit dem eisernen Kreuz belohnt für Verdienste und Leistungen, die in ihrer Art für das Gelingen der großen Aufgabe des Krieges so wichtig und so sehr der Anerkennung werth waren, wie kriegerische Tapferkeit. Er ist der Mustertypus des Armeegensd’armen; stark, breit, mit schmetternder Donnerstimme begabt, mit martialischem, schwarzbärtigem Soldatengesicht, das freilich trotzdem nur in höchster Zorneserregtheit durch die Lotterei irgend eines Colonnenkutschers die unverwüstliche Gutmüthigkeit des Ausdrucks verliert; ein Centaur im Sattel, immer wieder im Carrière die ganze Länge der Colonne auf und nieder sprengend, um überall nach dem Rechten zu sehen und nöthigenfalls auch mit der soliden, tüchtig aus Riemen geflochtenen Verlängerung seines Zeigefingers seinen Wünschen an Pferde und Lenker einen Nachdruck zu geben, gegen welchen keine Appellation gilt. Noch ein paar Andere, auch ein baierischer und ein württembergischer Camerad, fungiren mit ihm, an der linken Seite der vorrückenden Colonne herreitend, zu gleichem Zweck. Doch wird ihr Licht völlig von dem des Oberwachtmeisters überstrahlt.

Am weitesten voraus, an der Spitze des ganze Zuges, wenn er nicht, wie während des Marsches durch die Vogesen und bis Luneville, durch eine Infanterie-Ehrenescorte eröffnet wird, rangirt sich die ihn führende Ulanenescadron. Die des kronprinzlichen Hauptquartiers gehörte zum ersten westpreußischen Ulanenregiment und wurde von ihrem Rittmeister Krüger und den Lieutenants von Wickede, von Jareszewski und von Rekowski geführt. Diese prächtigen Reiter haben eine geräuschlosere, im Grunde ruhigere Aufgabe, als die vielgeplagten Armeegensd’armen. Sie haben eben nur schweigend zu reiten, und das verstehen sie freilich mit einer Meisterschaft, die Bewunderung verdient. Mit ihren, wie den der Armeegensd’armen, übrigens ausgesucht vorzüglichen und dauerbaren Thiere sind sie wie verwachsen; es überrascht mich immer einigermaßen, wenn sie am Ende des Tagesmarsches überhaupt absteigen. Hinter der Ulanenescadron oder vielmehr in ihrer Mitte bleibt beim Ordnen auf der rechten Seite der Landstraße die Stelle gleichsam offen gehalten, in welche später der Kronprinz mit seinen Herren sich dem Zuge einfügt.

Die nächstfolgende Gruppe bilden Armeegensd’armen und die grünuniformirten, während des Marsches berittenen Ordonnanzen des Hauptquartiers und Obercommando’s, das schwarzlederne Landwehrkäppi statt des Helmes auf dem Kopfe. An diese Abtheilung schließt sich auf dem Marsche selbst die lange Reitercolonne der Burschen und Stallknechte der Herren von der Suite mit deren Hand- und Packpferden. Diese rücken aber erst mit ihren Gebietern selbst unmittelbar hinter ihnen aus, und haben nicht erst nöthig, hier vorher Spalier zu bilden und rangirt zu werden.

Und nun kommen die Wagen aus der Dorfgasse oder aus des Städtchens Thor herausgerollt, eine bunt und abenteuerlich gemischte Gesellschaft. Selbstverständlich die kronprinzlichen Wagen voran. Wie Der, dem sie dienen, glänzen sie durch keinen äußerlichen Prunk und Luxus. Eine einfache bequeme Halbchaise zuerst. Auf dem einen Sitz hinter dem heraufgezogenen Spritzleder saß bis vor Kurzem noch Gustav Freytag’s verehrte Gestalt, welcher die deutsche Literatur, der wohl zum ersten Male in einem deutschen Kriege die Honneurs in ähnlich ehrender Weise gemacht wurden, dabei so lauter und würdig seinerseits zu vertreten wußte. Manchmal neben ihm, ein andermal auf dem Bock des nächsten Fourgons, Georg Bleibtreu, das edle feine Gesicht vom Rande seines grauen Calabresers beschattet und durchleuchtet vom Anblick all' der großen und gewaltigen geschichtlichen Bilder seines eigensten Genres, die sich hier in diesem wunderbaren Kriege seinem Künstlerauge leibhaftig zeigte. Ein anderer, omnibusähnlich gebauter Wagen mit den nächsten kronprinzlichen Leibdienern und Stallknechten, und der große elegant blaulackirte viereckige Kasten des Küchenfourgons folgen. –

So geht es weiter, die hübsche viersitzige leichte Kutsche der Chefs der Intendantur, der Herren Geheimräthe Baretzky und Müller, gewöhnlich auf Grund besonderen Privilegiums zunächst hinter den oben genannten und noch vor den mannigfachen Fuhrwerken des Obercommandos, seiner Registratur, seines Generalstabs, seiner beiden Ingenieur-Geographen, vor denen der begleitenden Fürsten, ihrer Chaisen und Fourgons und der drei Generalärzte, der Herren Wegener, Wilms und Bögner. Letztere sieht man so gut wie die Intendanturräthe, deren Assessoren und die begleitenden jüngeren Assistenzärzte Döring, Bade, John oft genug der Bequemlichkeit des Wagens den Sitz im Sattel ihrer Pferde vorziehen und unermüdlich und ritterlich jedem Ulanen zum Trotz mit der Suite des Prinzen oder neben der Wagencolonne einhersprengen. Vor der Equipage des zweitgenannten Generalarztes rasselt ein Gefährt von ziemlich dorfursprünglicher Form, ein starkbepackter Leiterwagen, der etwas unharmonisch in der Reihe der übrigen erscheint. Er trägt das kostbare Gepäck der erlesensten Instrumente, Medicalien, Verbandgegenstände zum unmittelbaren Gebrauch des berühmten Operateurs. Während die meisten Fahrer der übrigen Wagen Trainsoldaten oder Reservisten sind, die mit der Kunst des „Rosselenkens“ schon von ihrem sonstigen bürgerlichen Beruf her vertraut waren, wird dieser Instrumentenwagen von einem jungen Burschen geführt, welcher für solchen Zweck etwas unfreiwillig mit Thieren und Gefährt von Weißenburg am Tage der Schlacht zur Mitfahrt engagirt wurde. Allmählich hat er das Heimweh und die Trauer bereits überwunden, seine Garderobe in nie gehoffter Weise ergänzt und den Gedanken ganz angenehm finden gelernt, mit seinen wohlgenährten Pferden auf diese Art bis nach Paris zu gelangen.

Ein zierlicher, vorn offener kleiner Halbwagen mit einem untersetzten kräftigen Traber an der Gabel, der meist vom Besitzer selbst gelenkt wird, trägt die schlanke, feine Gestalt des jugendlichen, liebenswürdigen, gelehrten Historikers Professor Dr. Hassel, welcher die etwas dornenvolle Aufgabe, die officiellen Berichte vom Hauptquartier der dritten Armee für den Preußischen Staatsanzeiger

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 826. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_826.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)