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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Hemd, welches ich mir zur Heimfahrt mit Fleiß noch schwärzer gemacht hatte.[1]

Als der Zug endlich bei meinem Oheim, unserm Almbauer, angekommen und das Vieh in den Ställen versorgt war, wurde uns mit Speis’ und Trank gar prächtig aufgewartet. Nachdem wir nun bis zum späten Abend so fröhlich beisammen gewesen, zahlte Felix einem Jeden seinen ausgemachten Lohn aus, wie es bei den Aelplern Sitte ist, weil sie nur für die Sommermonate angestellt werden, und dann nahmen wir Alle herzlichen Abschied von einander. Mir gab der Onkel einen Thaler extra, obwohl mir eigentlich kein Lohn gebührt hätte, da mich mein Vater nur aus Gefälligkeit abgegeben hatte. Dieser Thaler wurde zu meinem übrigen Schatzgeld gelegt, denn ich hatte schon gegen fünfzig Gulden schönes Silber beisammen.

Als ich nun an jenem Abend zu Hause ankam, hatte meine Mutter auch schon heißes Wasser und reine Wäsche in Bereitschaft. Ich wurde wider meinen Willen gleich einem Schäflein gebadet und säuberlich hergerichtet, und fühlte mich dann, obwohl ich von meinem schwarzen Almenhemde sehr ungern schied, doch frisch und froh wie neugeboren.“




4.

Im nächsten Jahre wurde Ludwig Rainer zur besseren Ausbildung in die dritte Classe der deutschen Schule nach Innsbruck gebracht. Er gesteht aber selbst ein, daß er dort, fast ohne Aufsicht gelassen, bald ein zügelloser Wildfang geworden sei und Nichts gelernt habe.

Als das Jahr vorüber und der Junge heimgekommen war, hatten die Eltern keine Lust mehr, ihn wieder in die Stadt zu schicken, behielten ihn vielmehr zu Hause und verwendeten ihn zur Bauernarbeit. Immer bemüht, dem Gatten Freude zu machen, ohne viel Dank dafür zu ernten, erkaufte die Mutter um diese Zeit dessen väterliches Anwesen, und damit gewann denn auch die ganze Wirthschaft einen höheren Schwung. Der Vater aber nahm seine Mutter, „eine alte Hexe“, seine Schwester und andere Verwandte in das Haus, denen der Stiefsohn Allen verhaßt war. Sie quälten ihn auch auf jede Art, und er hätte Hungers sterben können, wenn ihm nicht seine Mutter hin und wieder einen vertrauten Bissen zugesteckt hätte.

Unerwarteter Weise entschlossen sich damals die Geschwister Rainer noch einmal, eine Reise nach England zu unternehmen. Es lockte sie dazu die bevorstehende Krönung der jungen Königin (Juni 1838), und sie hofften noch einmal viel reiche Schätze zu ersingen. Doch kam die frühere Gesellschaft, wie wir schon oben bemerkt, nicht mehr unversehrt zusammen, denn Anton, der mittlerweile Postmeister zu Schwaz geworden, wollte sein Hauswesen nicht verlassen, so daß an seine Stelle ein Verwandter von Schlitters, Georg Hauser, eintreten mußte. Ludwig erhielt vor der Abreise von der Mutter noch die besten Lehren, und versprach ihr, geduldig auszuharren. Dieses Versprechen war aber leichter zu geben, als zu halten. Die Rohheit des Vaters vertrieb ihn bald aus dem elterlichen Hause und er ging als ein Flüchtling wieder nach Zell zu seinen Pflegerinnen, die ihn lieb und freundlich aufnahmen und ihm Herberge gaben, bis eines Morgens die Mutter ganz unverhofft zur Stubenthür hereintrat. Sie war unangemeldet aus England zurückgekommen, wo sie und ihre Gefährten wenig Seide gesponnen hatten. Es waren dort nämlich in der Zwischenzeit viele falsche Tiroler als Natursänger aufgetreten und hatten das Geschäft so verdorben, daß dieses Mal die echten Jedes bei sechshundert Gulden einbüßen mußten.

Die Mutter erfuhr nun, wie es ihrem Sohne mittlerweile ergangen, faßte einen festen Vorsatz und zerstörte das ganze Wespennest im Hause. Schwiegermutter, Schwägerin, Vettern und Basen, Alle mußten fort, was ihnen Jedermann vergönnte, denn es hatte sie Niemand leiden mögen. Auch der Vater erhielt ausnahmsweise einen derben Verweis, denn er hatte in der Gattin Abwesenheit wie ein Prasser gelebt und unnütz viel Geld verthan. Ludwig Rainer aber trat bei seinem Vater wieder als Roßknecht ein und ward von ihm viel besser behandelt, denn früher.

Nachgerade war auch die Zeit der ersten Liebe gekommen. Ludwig hatte von Jugend auf unschuldige Freundschaft mit einem Mädchen aus dem nahen Weiler Finsing gepflogen. Sie hieß Hannele und war die Tochter des Gassenwirths daselbst. Als sie mehr und mehr heranwuchsen und das alte Verhältniß aufrecht hielten, waren, wie es schien, auch die beiderseitigen Eltern nicht dagegen.

Als nun Ludwig Rainer wieder einmal auf Besuch zum Gassenwirth kam, fand er das Mädchen ganz traurig und niedergeschlagen. Ihr Vater, erklärte sie, habe beschlossen auf den Viehhandel nach Rußland zu gehen und sie bis zu seiner Wiederkunft in ein Kloster zu geben. Und wirklich wurde sie auch kurz darnach auf ein Jahr zu den Ursulinerinnen nach Innsbruck gebracht.

Nach mehreren Monaten traf es sich, daß Ludwig, den Herrn Verwalter, Doctor Werfer, nach Innsbruck zu führen hatte. Er hoffte, dort sein Hannele wiederzusehen, und freute sich unbeschreiblich darauf. In Innsbruck kehrten sie in der Sonne ein, wo sich der Verwalter drei Tage aufzuhalten gedachte. Ludwig schlich sich nun vorerst listig um das Kloster herum, pfiff, hustete, sang, aber Alles vergebens. Er stieg auf die Gartenmauer und lauerte, aber auch umsonst. Endlich fiel ihm ein, einen alten Cameraden von der Schule her zu besuchen, ein leichtsinniges verwegenes Bürschlein, mit dem er schon damals allerlei kecke Stücklein ausgeführt. Dieser, jetzt Student, wußte auch bald Rath.

„Da Hannele’s Bruder ebenfalls studirte, so lieh mir mein Freund seine Kleider, damit ich mich für ihren Bruder ausgeben konnte. Ferner schrieb er an das Mädchen einen Brief, als wäre er von ihrer Mutter – lauter belehrende und erbauliche Sprüche, weil ihn doch die Aebtissin in die Hände bekommen mußte. Auch verfaßte er mir ein falsches Zeugniß im Namen des Professors, bei welchem ihr Bruder in die Schule ging. So ausgerüstet begab ich mich an die Klosterpforte und zog mit klopfendem Herzen die große dumpfe Glocke. Nach langem Harren kam endlich die Portnerin und frug mit leiser Stimme nach meinem Begehr. Ich brachte meinen Brief zum Vorschein, sagte, daß ich im Kloster eine Schwester habe und ihr diesen übergeben möchte. Sie sei gebeten mich gefälligst bei der Oberin zu melden. Auch übergab ich ihr das falsche Zeugniß, damit jene wirklich sehe, daß ich der fragliche Bruder sei. Nach dieser Unterredung verschwand die Portnerin. Und wiederum nach einer langen Zeit erschien die Aebtissin von zwei Nonnen begleitet am Gitter der Pforte. Sie betrachtete mich eine gute Weile, frug mich bald Dieses, bald Jenes, erhielt aber immer unerschrocken Antwort, so daß sie zuletzt nicht mehr zweifelte, daß ich derjenige sei, für den ich mich ausgab. Sie stellte mir dann das Zeugniß zurück und befahl mir zu warten, bis sich die eiserne Pforte öffnen würde, die in das innere Gewölbe hinabführt; dort würde ich meine Schwester finden. Ich harrte. abermals lange – mein Blut rollte wild in meinen Adern auf und ab, das Herz pochte mir aus Furcht, vielleicht erkannt zu werden –, bis sich endlich die eiserne Pforte mit lautem Geprassel öffnete. Eine steinerne Wendeltreppe führte mich in ein unterirdisches Gewölbe. Dort hing in einer Ecke bei schwachem Lampenschein ein düsteres Bild des gekreuzigten Erlösers. Darunter stand ein kleiner Betschemel und auf diesem ein Todtenkopf. Alles war so still wie in tiefer Mitternacht. Alle Haare standen mir zu Berge, als ich wahrnahm, daß sich die Pforte, durch welche ich gekommen war, wieder schloß. Wenn ich entlarvt wurde, wie konnte es mir ergehen!

Auch an diesem schauerlichen Orte mußte ich lange warten. Endlich öffnete sich eine kleine Seitenthür und von zwei Nonnen behütet trat mein geliebtes Hannele herein. Bei dem schwachen Lampenschimmer erkannte sie mich anfangs nicht; auch meine Kleidung mochte sie irre machen – als ich aber näher trat, rief sie: ‚Ludwig!‘, riß den Klosterfrauen aus und hing an meinem Halse! Mir fuhr es wie ein Dolch durch das Herz; als ich meinen Namen hörte; doch die beiden Frauen schienen ihn zum Glück nicht verstanden zu haben. Gleichwohl zogen sie das Mädchen aus meinen Armen zurück; aber ich hatte der Geliebten schon zuflüstern können, daß ich als ihr Bruder hier sei, und hatte ihr auch schon einen andern Brief heimlich beigebracht, wogegen ich ihr das angebliche Schreiben ihrer Mutter unter den Augen der Nonnen übergab. Natürlich konnte ich mit ihr nur über heilige Sachen discurriren, aber unsere Augen verstanden sich ganz gut. Ich ersuchte auch und bat, man möge die Schwester doch

  1. Die Schwärze des Hemdes, welches auf der Alm nie gewechselt wird, soll nämlich andeuten, daß die Senner, fern von aller Ueppigkeit, auch der des Waschens, sich fleißig mit dem Vieh befaßt, keine Mühe und Arbeit gescheuet haben etc.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 823. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_823.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)