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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Balance gehalten werden können, so müssen doch dabei immer noch die Nacken- und Rückenmuskeln mitwirken. Diese werden nun aber beim längeren Gerade- und Stillsitzen durch Ueberanstrengung schwach und matt; es häufen sich in ihrem Gewebe „ermüdende Stoffe“ (s. Gartenlaube 1870 S. 71.) an und der Rumpf sinkt nun zusammen, und zwar meist nach der linken Seite, was nach und nach eine bleibende Verkrümmung der Wirbelsäule nach sich ziehen kann. Um dies zu verhüten, ist es die Pflicht der Lehrer, ihre Schüler zumal die bleichen mageren Mädchen mit schlaffer Musculatur, nicht zu lange gerade sitzen und nach dem Geradesitzen sich ordentlich anlehnen zu lassen. Zu diesem und zwar nur zu diesem Zwecke sind Lehnen an Schulbänken unentbehrlich, und diejenige Lehne ist die beste, an welcher das Ausruhen recht behaglich vor sich gehen kann, also eine gehörig hohe und recht schräg gestellte, womöglich etwas ausgehöhlte Rückenlehne. Auch kann das Ausruhen dadurch noch bewerkstelligt werden, daß sich das Kind bei vorgebogenem Oberkörper mit beiden Armen auf die Tafel, aber so auflehnt, daß beide Schultern gleich hoch stehen. Im Hause lasse man durch langes Sitzen ermüdete Kinder sich durch Horizontalliegen ausruhen. Die niedrigen Kreuzlehnen nützen zum Ausruhen ganz und gar nichts. Sie erfüllen aber auch nicht einmal den Zweck, zu welchem man sie bestimmt hat, nämlich zur Unterstützung beim Geradesitzen. Sie sind vielmehr den meisten Schulkindern unbequem und werden deshalb von diesen auch fast gar nicht benutzt. So haben selbst Lehrer, die für die Kreuzlehne schwärmten, zugegeben, daß ihre niedrige Lehne leider selten von den Schülern beim Schreiben wirklich benutzt wird. Es kann auch sicherlich niemals eine solche Schulbank construirt werden, welche dem Schüler das Geradesitzen ohne Mithülfe seiner Rückenmuskeln erlaubt und das gehörige Ausruhen dieser Muskeln, sowie die Aufmerksamkeit des Lehrers auf die richtige Sitzhaltung der Schüler unnöthig macht.

An zweckmäßige Subsellien hat man also folgende Forderungen zu stellen: sie müssen jedem Schüler (dem großen wie dem kleinen) einen bequemen, ebenso zum Arbeiten, wie zum Ausruhen passenden Sitz bieten, welcher denselben nicht wie in einen Schraubstock einzwängt und denselben nicht zwingt, seinem Körper beim Arbeiten eine schlechte Haltung und seinem Auge eine falsche (zu nahe) Stellung zum Sehgegenstande zu geben. Es muß ein solches Subsellium, bei welchem der Abstand zwischen Bank und Tisch (die Distanz) nicht zu weit und die Höhe des Tisches zur Bank (die Differenz) weder zu gering noch zu groß sein darf, dem Schüler gehörigen Raum zum Stehen und Bewegen, sowie zum Vor- und Hinterrücken auf dem Sitze (zum Wechseln zwischen der vordern und hintern Sitzlage) geben. Ganz unentbehrlich ist aber an demselben eine passende (gehörig hohe, der Form des Rückens entsprechende und sehr schräg gestellte) Rückenlehne zum Ausruhen der Nacken- und Rückenmuskeln, welche beim Geradesitzen ermüdeten. Daß der Lehrer diese Lehne auch zur richtigen Zeit und in passender Dauer, nach dem Grade der Anstrengung beim Geradesitzen und nach der Constitution des Schülers, von diesem benutzen lassen muß, braucht wohl nicht weiter auseinandergesetzt zu werden. Und daß der verschiedenen Größe der Schüler angepaßte Subsellien in einer Schule vorhanden sein müssen, versteht sich wohl auch von selbst. Um nicht zu viele, verschieden hohe Subsellien anschaffen zu müssen, können für die kleineren Schüler Unterlagen auf den Bänken oder in ihrer Höhe veränderliche Tische oder Bänke benutzt werden, auch sind die Schüler nach ihrer körperlichen Größe und nicht nach ihren Leistungen zu placiren. – Schließlich sei noch der ganz verkehrten Handlungsweise mancher Lehrer und Erzieher gedacht, welche darin besteht, daß sie ein durch längeres Geradesitzen ermüdetes Kind durch nachfolgendes Turnen, also durch weiteres Ermüden, wieder kräftigen wollen; Liegen thut einem solchen Kinde am besten.

Bock.     




Eine Zillerthaler Sängerfamilie.
Von Ludwig Steub.
(Fortsetzung.)
3.

So war wieder einige Zeit vergangen, und der Junge zwölf Jahre alt geworden, als ihm sein Stiefvater eines Tages eröffnete, er habe ihn dem Schwager Felix zur Verfügung gestellt, und dieser wolle ihn als Geiser (Ziegenhirt) auf der Alp Pfuns verwenden. Ludwig war froh, aus dem elterlichen Hause zu kommen, packte seine „sieben Zwetschgen“ in einen Korb zusammen und stieg, einem älteren Geiser folgend, zwei krumme Federn und einen hölzernen Löffel auf dem Hute, getrost hinauf nach Pfuns.

Dieses sein erstes Alpenleben beschreibt nun Ludwig Rainer in folgender Weise:

„Ich befand mich auf der Alpe ganz gut und wohl. Was ich da zu thun hatte, war Morgens und Abends meine Ziegen zu melken und meinem Melcher (Senner) in der Hütte sonst etwas behülflich zu sein. Der Melcher war ein prächtiger Mensch, desgleichen auch der Hüter und Halbkäser. Alle waren mir sehr zugethan, weil ich ihnen viel Kurzweil mit meinem Singen machte. Meine Stimme verbesserte sich auch von Tag zu Tag. Zeit und Gelegenheit, sie zu üben, war ja genug gegeben. Und da ich zu Hause überaus eingeschränkt gewesen, und immer das wilde Gesicht meines Stiefvaters, vor dem bereits Alles zitterte, zu fürchten hatte; so fühlte ich mich so frei und glücklich wie der Vogel in der Luft, der nach langer Gefangenschaft aus seinem Käfig entkommen. Ja, ewig bleibt das Sprüchwort wahr: ‚Nur wo die Gemsen springen, kann man von Freiheit singen.‘ O, wie zufrieden und glücklich fühlte ich mich, wenn ich auf einer hohen Bergspitze saß und in die Tiefen hinunterblickte, wenn die Ziegen so frisch um mich herum hüpften, wenn die dicken Nebelwolken gleich Pfeilen mit Windesschnelle aus den Thälern heraufschossen, wenn das ferne Geläute der Rinder so lieblich von Berg zu Berg tönte, wenn ich die fröhlichen Gesänge der Alpenhirten von den höchsten Felsen herunter beantwortete, daß es zehnfach im Gebirge widerhallte, oder mein Stücklein Butterbrod bei einem frischen Quell verzehrte!

So suchten wir uns denn die müßige Zeit oftmals mit Gesang zu vertreiben. Einer von den Sennern spielte auch die Geige, zwar sehr erbärmlich, aber dennoch horchten die Melcher hoch auf, wenn er seine Zaubertöne erschallen ließ, und wir Alle glaubten, auf unserer Alpe den zweiten Paganini zu haben. Er war auch ungeheuer stolz auf seine Kunst.“

In jenen Tagen seines heiteren Almenlebens widerfuhr unserem Freunde übrigens noch ein besonderes Abenteuer, welches hier erwähnt zu werden verdient. Die Erzählung, die wir freilich etwas kürzen mußten, lautet ungefähr so:

„Zur selbigen Zeit war auch ein guter Bekannter, Felix Margreiter von Fügen, bei uns auf der Alm. Er war eigentlich ein Handelsmann, welcher nur im Sommer, weil er immer etwas gebrechlich war, ein paar Monate auf der Alpe Pfuns zubrachte, da er ein guter Freund und Nachbar von Felix Rainer war. Er war dabei ein sehr fideler Kunde und wußte gewiß überall den rechten Tact zu schlagen, wenn etwas Lustiges vor sich ging.

Eines Abends nun, als es schon finstre Nacht geworden, saßen wir, wie gewöhnlich, beim Feuer beisammen; als wir plötzlich durch einen Schuß und fernes Jauchzen aufgeschreckt wurden und uns vor die Hütte begaben, um zu sehen, was dies bedeuten sollte. Wir sahen da tief unten im Thale beim Scheine einer Fackel drei Gestalten sich hin und her bewegen, die von Zeit zu Zeit durch lautes Juchhezen zu erkennen gaben, daß sie bei so dunkler Nacht den Weg nicht mehr finden konnten. Es wurde ihnen nun durch ein angemachtes Feuer das Ziel gezeigt, und zwei von den Melchern gingen ihnen mit brennenden Fackeln entgegen, um sie den nächsten Weg zu den Hütten zu führen. Als sie etwa eine Stunde später bei uns ankamen, und wir drei gute Freunde aus Fügen erkannten, welche den Felix besuchen wollten, so war die Freude, daß wir ihre Nothzeichen gehört und sie durch unsern Beistand so glücklich angekommen, nur desto größer.

Als nun nach eingenommenem Nachtmahle berathen wurde, was man am kommenden Morgen thun solle, machte Felix Margreiter den Vorschlag, über die Jöcher einen Ausflug nach Dux zu unternehmen. In drei Stunden könnte man leicht hinübergehen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 821. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_821.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)