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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

beschämte, und auch nicht ohne Wirkung auf ihn blieb. Er stand, vielleicht selbst erschreckt über das, was er gethan, es wollte sich wie Reue in ihm regen, und er machte eine Bewegung, fast als wünsche er den Grafen zurückzuhalten aber es war zu spät, Hermann hatte ihm bereits den Rücken gekehrt und den Platz verlassen.

Im Begriff den großen Hauptweg einzuschlagen, der nach dem Herrenhause führte, stand dieser plötzlich vor Gertrud, die noch in unmittelbarer Nähe weilte. Ein einziger Blick auf ihr Gesicht verrieth ihm sofort, daß sie trotz ihrer scheinbare Entfernung Zeuge eines Gespräches gewesen, dessen Ausgang sie wohl geahnt haben mochte, indessen äußerte er kein Wort darüber, sondern trat auf sie zu und sagte einfach:

„Ich muß Sie bitten meine Begleitung bis zum Hause anzunehmen, Sie könnten sonst in Gefahr kommen, Herrn von Reinert nochmals zu begegnen.“

Wie vorhin erwiderte sie kein Wort, sondern folgte schweigend seiner Aufforderung. Langsam gingen sie die Allee entlang; hier unter den hohen Eichen und Buchen lagerten schon die Schatten der Dämmerung, hoch oben auf den Wipfeln verglühte das letzte Abendgold, und leise und traumhaft zwitscherte noch hier und da ein Vogel im Gebüsche sein Abendlied. Die Beiden schritten so fremd und kalt nebeneinander hin, als habe wirklich nur der Zufall sie jetzt in eine gegenseitige Beziehung gebracht, die Beiden gleich peinlich war. Graf Arnau beobachtete ein consequentes Schweigen, Gertrud hob das Auge nicht vom Boden empor, und doch streifte sein Blick bisweilen, wie mit einer düsteren Frage, ihr Antlitz, und doch hob sich ihre Brust immer stürmischer in einem geheimen Kampfe, der endlich über die Zurückhaltung den Sieg davontrug.

„Herr Graf!“

Er blieb sofort stehen. „Mein Fräulein?“

Sie schwieg noch eine Secunde lang, die Worte wollten nicht von den Lippen, und es kostete sie augenscheinlich eine furchtbare Ueberwindung, als sie endlich fragte:

„Sie wollen sich mit Herrn von Reinert schlagen?“

Hermann zuckte die Achseln. „Sie werden mir das Zeugniß geben, daß ich das Möglichste gethan, es zu vermeiden, aber Eugen hat es verstanden, mich zu zwingen. Es giebt Formen, deren Nichtigkeit und Schädlichkeit man einsieht, und denen man sich dennoch beugen muß. Nach dem, was zwischen uns vorgefallen ist, läßt die Ehre meines Standes keinen anderen Ausgleich zu, als mit den Waffen in der Hand. Ich werde mich der Nothwendigkeit fügen.“

„Um meinetwillen? Nein, das kann, das darf nicht geschehen!“

Ihre Stimme gewann sichtlich an Festigkeit, aber es flog etwas wie ein Lächeln über die ernsten Züge des Grafen.

„Wollen Sie es verhindern?“

„Ja!“ erwiderte sie energisch. „Ich werde mich an die Präsidentin und an Frau von Reinert wenden, damit Beide vereint ihren Einfluß –“

Das werden Sie unterlassen!“ fiel Hermann ihr mit einem strengen und finstern Ernst in’s Wort. „Sie werden eine Kenntniß, die ihnen der Zufall gab, nicht mißbrauchen. Es ist dies eine Sache, die uns Männer allein angeht und zwischen uns allein ausgemacht wird. Ich meinestheils dulde hier keine Einmischung einer Frau, sei es wer es sei, und weder die Vorstellungen meiner Großmutter, noch die Thränen und Ohnmachten meiner Cousine ändern an meinem Entschluß das Geringste.“

Zum ersten Male während der ganzen Unterredung hob sie das Auge zu ihm empor, es war ein Blick voll flehender, unaussprechlicher Angst, und der Graf, der eben noch so stolz seine Unbeweglichkeit behauptet, wandte sich plötzlich ab, als fürchte er einer Versuchung zu erliegen. Als er weiter sprach, war seine Stimme um Vieles milder geworden, aber sie hatte nichts von ihrer eigenthümlichen Festigkeit verloren.

„Ich weiß, daß ich Schweres von Ihnen verlange, zu schweigen und – zu zittern vielleicht, wo ein Wort die blutige Entscheidung verhindern könnte. Ich weiß auch, daß nur wenige Frauen einer solchen Aufgabe gewachsen sind, Ihnen muthe ich sie zu. Meine Ehre erfordert es jetzt, daß das Duell ungestört seinen Verlauf nimmt, ich fordere daher Ihr Versprechen eines unverbrüchlichen Schweigens gegen Jedermann; bis morgen Mittag. Geben Sie mir Ihr Wort darauf!“

Er streckte ihr die Hand entgegen; hatte sie die ihrige hineingelegt, hatte er sie genommen, Gertrud wußte es nicht, aber die kleine Hand bebte in der seinigen so heftig, daß er sie schon im nächsten Augenblick wieder fallen ließ.

„Zittern Sie nicht so,“ sagte er mit schneidender Bitterkeit, „ich habe den ersten Schuß und bin meiner Waffe sicher. Wie furchtbar mich Eugen auch gereizt haben mag, ich werde nicht vergessen, daß ich ihn einst Freund genannt. Er soll seine Thorheit nicht mit dem Leben büßen, wenn ich auch freilich nicht eine gleiche Großmuth von ihm erwarten darf.“

Widerstandslos hatte Gertrud die Bitterkeit über sich ergehen lassen, aber bei seinen letzten Worten hob sie wie im jähen Schreck das Haupt empor. Es mußte Etwas in ihrem Antlitz liegen, was den Grafen magnetisch berührte, es leuchtete auf in seinem Auge, er ergriff plötzlich ihre beiden Hände und fragte leise, aber mit einem ganz anderen Ausdruck, als vorhin: „Gertrud, warum hassen Sie mich?“

Das Mädchen schrak zusammen; eine verrätherische Gluth ergoß sich über Stirn und Wangen, sie wollte sich von ihm wenden, aber er ließ die einmal erfaßte Hand nicht los.

„Sie haben mir von Anfang an den unverhülltesten Haß entgegengetragen und dennoch – Gertrud; es muß jetzt klar werden zwischen uns. Was habe ich Ihnen gethan? weshalb hassen Sie mich?“

Niemand würde es für möglich gehalten haben, daß diese kalte, harte Stimme sich in so weichen innigen Lauten ergehen könne; und Gertrud’s ganzes Wesen schien unter diesen Tönen zu erbeben. Es ist unmöglich, die Empfindungen zu schildern, die sich in stürmischem Widerstreite auf dem Gesichte des Mädchens spiegelten, Angst, Schmerz, Verzweiflung, und durch all’ dies hindurch doch wieder ein unendliches Entzücken, all’ dies machte sich Luft in dem einen Ausruf, der halb wie Jubel klang, und halb doch wieder wie ein schneidender Wehlaut:

„O mein Gott! mein Gott!“

Sie schlug beide Hände vor das Antlitz, Hermann sah sie unverwandt an. „Ich sehe, daß hier ein Geheimniß liegt, das Sie nicht aussprechen wollen. Sei’s denn, ich kann warten. Aber eine Gewißheit muß ich mitnehmen in die Entscheidung morgen früh, Gertrud, nur das Eine sage mir, für wen von uns Beiden zitterst Du?“

Es folgte eine minutenlange, schwere Pause, dann ließ sie langsam die Hände wieder sinken, das Antlitz war todtenbleich, aber ruhig, und die Stimme völlig klanglos, als sie erwiderte:

„Ich zittere für jedes Leben, das ich bedroht weiß.“

Der Graf trat drei Schritte zurück, der Schimmer in seinem Auge erlosch plötzlich und sein Gesicht erschien auf einmal wieder hart und herb. „Sie haben Recht, mein Fräulein,“ sagte er eiskalt. „Da Sie die unschuldige Ursache unseres Duells sind, so muß Ihnen unser Beider Tod gleich – unangenehm sein. Ich begreife das vollkommen – leben Sie wohl.“

Er ging; am Ausgange der Allee zögerte sein Fuß noch einen Moment lang, es war ihm, als habe er einen Ruf gehört, aber als er zurückblickte, stand sie noch unbeweglich an derselben Stelle. Mit seinem ganzen aristokratischen Stolze warf Graf Arnau den Kopf empor, und schritt durch die zunehmende Dämmerung dem Hause zu.




Klar und sonnig kam der nächste Morgen herauf. Beim Frühstück fehlten Graf Arnau und Herr von Reinert; sie hatten mit mehreren Herren aus der Nachbarschaft bereits in aller Frühe einen Spazierritt unternommen, der erst gestern Abend verabredet worden war. Niemandem fiel es ein, ein besonderes Gewicht auf diesen Umstand zu legen, dagegen war die Baronin Sternfeld sehr ungehalten, daß auch Mademoiselle Walter sich mit einem heftigen Unwohlsein entschuldigen ließ. Der gnädigen Frau kam diese plötzliche Krankheit der Gouvernante sehr ungelegen, sie wurde dadurch in die Nothwendigkeit versetzt, die Kinder den ganzen Tag über unter ihre persönliche Aufsicht zu nehmen, da Bonne und Kammermädchen vollauf mit den Vorbereitungen zu der morgigen Abreise zu thun hatten.

In ihrem Zimmer, dessen Fenster nach den Feldern hinausgingen, schritt Gertrud ruhelos auf und nieder. Es gab eine

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 814. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_814.jpg&oldid=- (Version vom 11.5.2019)