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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Sie schwerlich wissen und die unvorbereitet zu erfahren Ihnen peinlich sein dürfte. Herr und Frau von Reinert werden morgen hier erwartet.“

„Ich weiß es!“

„Sie wissen es, und –?“ Die Augen Hermann’s vollendeten die Frage, die sein Mund nicht aussprach – „und Sie bleiben?“

Gertrud’s Antlitz war um einen Schein bleicher geworden, aber es blieb unbeweglich. „Sie vergessen, Herr Graf, daß ich mich in einer abhängigen Stellung befinde. Ich bat die Frau Baronin bereits um einen Urlaub von einigen Wochen; sie glaubte aber, daß die Kinder meiner Aufsicht bedürften, und schlug meine Bitte ab. Ich werde also bleiben.“

„Wenn Sie meine Verwendung annehmen wollen,“ sagte Hermann rasch, „ich gehe sofort zu meiner Tante und bürge Ihnen für die Bewilligung Ihres Wunsches.“

„Ich danke, Herr Graf. Ich wünsche Ihre Einmischung am wenigsten,“

Das wär deutlich genug; Hermann biß sich auf die Lippen und trat zurück. „Es scheint, mein Fräulein, daß Sie einen entschiedenen Widerwillen gegen meine Persönlichkeit hegen; Sie beleidigten mich schon einmal, ebenso absichtlich. Ich bedaure, Ihnen durch meine Annäherung Anlaß dazu gegeben zu haben. Beruhigen Sie sich, es wird in Zukunft nicht mehr geschehen.“

Gertrud’s Lippen bebten, aber sie gab keine Antwort; der Graf grüßte kurz und ging.

„Nun, das übersteigt doch wirklich alle Begriffe. Solch ein Air vermag sich meine Großmutter, vermag sich Toni nicht zu geben, und keine von Beiden hätte gewagt, mir das zu bieten. ‚Ich wünsche Ihre Einmischung am wenigstens.‘ Sie geruhte, wie es scheint, mich in Ungnaden zu entlassen, und ich –“

Der ruhige besonnene Graf Arnau vergaß sich so weit, daß er mit dem Fuße stampfte. Was ihn, ohne daß er es sich gestehen wollte, am meisten ärgerte, war, daß die Art, in der Gertrud ihn verabschiedet, so auf ein Haar der seinigen bei ähnlichen Gelegenheiten glich. Das war genau der kalte, stolze und abweisende Ton, den er sich ohne Rücksicht der Person erlaubte, wenn Jemand ihm gegenüber nicht in den gehörigen Schranken blieb. Es geschah ihm freilich zum ersten Male, daß dieser Ton gegen ihn angewendet ward, und wer wagte das? Eine „Mademoiselle Walter“, die Gouvernante seiner kleinen Basen! Ja, die Großmutter hatte Recht, es war ein unerträglicher Hochmuth, der sich in diesem Mädchen verbarg, und er empfand denselben um so tiefer, als er in seiner jetzigen Stellung und Bedeutung durch allseitiges Entgegenkommen, zumal von den Frauen, im höchsten Grade verwöhnt war. Er hatte stets ziemlich verächtlich auf alle die Bestrebungen, ihm zu gefallen, herabgesehen, und hier begegnete er auf einmal dem ganz offenen Bestreben, ihm zu mißfallen, ja ihn geradezu zu verletzen. Graf Hermann hatte schon einmal vergebens nach einem Grunde für diese seltsame Feindschaft gesucht und damals so wenig die Lösung gefunden wie jetzt; das ganze Wesen Gertrud’s war und blieb ihm räthselhaft und vollends ihr Hiersein. Weshalb ging sie nicht ohne Erlaubniß und gab lieber ihre Stellung preis, ehe sie sich einer solchen Demüthigung wie der Begegnung mit Eugen aussetzte? Ließ ihr Stolz die Flucht vor dem einstigen Verlobten nicht zu? Oder liebte sie ihn noch und konnte der Versuchung nicht widerstehen, ihn noch einmal zu sehen? Der letzte Gedanke schien dem Grafen sehr überraschend zu kommen, denn er blieb plötzlich stehen und runzelte die Stirn. „Nun, das werde ich denn doch zu erfahren wissen! Morgen müssen sie jedenfalls zusammentreffen; ich will doch sehen, ob dies trotzige, siebenfach verschlossene Geheimniß sich dann nicht endlich verrathen wird!“ –

Es war am Nachmittag des nächsten Tages. Herr und Frau von Reinert waren etwas früher, als man erwartete, eingetroffen und von Hermann empfangen worden, der seine Großmutter in ihrer gewohnten Mittagsruhe nicht stören lassen wollte. Antonie hatte sich deshalb nach der ersten Begrüßung auf ihr Zimmer zurückgezogen um die Reisekleider abzulegen, und ihr Gemahl befand sich mit dem Grafen Arnau in einem kleinen, neben dem Gartensaal liegenden Cabinet.

Die beiden Freunde hatten sich seit fünf Jahren, seit der Vermählung Eugen’s nicht wieder gesehen, und diese fünf Jahre waren an ihm nicht so spurlos vorübergegangen wie an Hermann. Er konnte noch immer für einen schönen, interessanten Mann gelten; aber der Ausdruck des Gesichtes, die Stimme, die ganze Haltung war eine andere geworden. Ermüdung, Uebersättigung und Langeweile sprachen nur zu deutlich daraus. Die einst so lebensprühenden Züge erschienen schlaff, das einst so schwärmerisch leuchtende Auge matt, durch das ganze Wesen des kaum dreißigjährigen Mannes ging ein halb bitterer, halb schmerzlicher Zug der tiefsten innersten Unbefriedigung, der sich auch in seinem Tone verrieth, als er nach den ersten gleichgültigen Fragen und Erkundigungen sagte: „Von Dir habe ich trotz Deiner lakonischen Briefe auch in der Ferne genug vernommen. Du bist ja inzwischen eine Berühmtheit geworden und wirst, wie man sagt, nächstens als Stern erster Größe in unserem Staate glänzen!“

„Sagt man das? Von mir ist allerdings nie eine Berühmtheit erwartet oder vorausgesetzt worden.“

Eugen verstand den Vorwurf. „Aber bei mir, meinst Du? Ja, ich versprach Dir damals, ein größeres Werk zu beginnen. Es sind auch Pläne und Skizzen genug entworfen; aber – unser Leben ist ein so zerstreuendes, wechselndes – mir fehlte bisher immer noch die nöthige Ruhe und Stimmung zur Ausführung.“

„Und die nöthige Lust.“

„Meinetwegen – auch die Lust. Die ideale Jugendschwärmerei, mit der man das Alles umfaßt, nimmt doch schließlich ein Ende. Es ist im Grunde nicht so viel an der Kunst, an dem Glücke, an dem ganzen Leben überhaupt!“

Er lehnte sich mit dem Ausdrucke grenzenloser Ermüdung in seinen Sitz zurück; Hermann gab keine Antwort; aber Eugen fühlte wohl, was in dem ernsten forschenden Blicke lag, mit dem er ihn betrachtete.

„Du findest meine Aeußerung seltsam?“

„In Deinem Munde, ja. Jemand, dem das Leben nur Enttäuschungen gab, mag so sprechen; Du, den es mit all seinen Gütern überschüttete, hast kein Recht dazu.“

„Und wenn ich finde, daß diese gerühmten Güter, dies geträumte Glück Illusionen sind, so bleibt sich die Enttäuschung am Ende gleich.“

Hermann stand auf und machte einen Gang durch das Zimmer. „Ich hoffte, daß wenigstens Deine Ehe mit Antonie eine glückliche sei,“ sagte er nach einer Pause.

Eugen schwieg.

„Ihr seid also nicht glücklich!“

Reinert machte eine ungeduldige Bewegung. „Ich weiß nicht! Sie quält mich oft ganz entsetzlich mit ihren Launen, ihrer Eifersucht und dann – ich muß es oft genug hören, was ich ihr alles verdanke, was sie um meinetwillen geopfert hat.“

Ein Ausdruck unendlicher Verachtung kräuselte die Lippen Hermann’s. „Ah, so weit seid Ihr also schon miteinander gekommen! Sie wirft es Dir vor und Du erträgst das?“

„Habe ich eine Waffe dagegen?“

„Es lag in Deiner Hand, Dich unabhängig zu machen. Ich glaubte, gerade der Rang und Reichthum Deines Weibes würden Dir ein Sporn sein, Dich durch eigene Kraft auf eine gleiche Höhe zu schwingen.“

Eugen ließ einen Seufzer der Resignation hören. „Mein Gott, Hermann, Du setzest bei mir immer Deine eigene Eisennatur voraus, die nie des Ausruhens, der Erholung bedarf, die ruhelos immer vorwärts drängt und im Sturme Alles erringt und erreicht. Ich bin nun einmal anders geartet.“

„Ich weiß es!“ sagte Hermann mit ruhiger Bitterkeit, „und glaube mir, Eugen, ich habe oft genug bereut, Deinem Leben diese Richtung gegeben zu haben. Du solltest frei werden von den Sorgen und Beschränkungen des Alltagslebens, solltest die Bahn Deiner Zukunft offen finden, deshalb begünstigte ich Deine Heirath. Du hast Recht, es war ein verhängnißvoller Irrthum, Dich nach mir zu beurtheilen. Du bist eine von den Naturen, die unaufhörlich gespornt und getrieben werden müssen; mit der Nothwendigkeit zu arbeiten entzog ich Deinem Talente auch die Nahrung; hätte ich Dich in jenen Verhältnissen gelassen, wo Du ringen und schaffen mußtest, um zu leben – es wäre besser gewesen!“

„Du sprichst,“ sagte Eugen empfindlich, „als hätte ich während der ganzen Zeit unserer Trennung gar Nichts geschaffen, und doch werden meine Portraits geschätzt und bewundert –“

„Weil Du der Mann Deiner Frau bist. Seit jenem großen Bilde Antoniens, in dem Du Deine Genialität erschöpft zu haben

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 794. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_794.jpg&oldid=- (Version vom 1.8.2021)