Seite:Die Gartenlaube (1870) 787.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

wagte es wieder ein französischer König als Bundesgenosse des Kurfürsten Moritz gegen den Kaiser und als „Schirmer der deutschen Freiheit“ die lothringischen Städte und Bisthümer an sich zu reißen. Auch vor Straßburg rückte der welsche Fuchs; die Bürger aber zeigten ihm die Kanonenschlünde und Musketenläufe von ihren Wällen und scheuchten den Feind mit wohlgezielten Schüssen hinter die Vogesen zurück. Die protestantischen Fürsten aber dachten leider keineswegs mehr daran, dem Kaiser und Reich die lothringischen Reichsstädte zurückzuerobern.

Die beste Gelegenheit für die lauernde Politik Frankreichs, sich am Oberrhein festzusetzen, bot der unselige dreißigjährige Krieg. Zwar im Felde konnten auch damals die Franzosen deutschen Truppen nirgends Stand halten und wurden allüberall in längst vergessenen Schlachten auf’s Haupt geschlagen. Dennoch wußte sich welsche List immer fester im Elsaß einzunisten, und der westphälische Friede überlieferte ihnen das Land großentheils, trotz des Unwillens aller Vaterlandsfreunde. Sang doch der treffliche Oschatz schon 1646:

„Nun ist es Zeit zu wachen,
Eh’ Deutschlands Freiheit stirbt
Und in dem weiten Rachen
Des Krokodils verdirbt.
Herbei, daß man die Kröten,
Die unsern Rhein betreten,
Mit aller Macht zurücke
Zur Son (Saone) und Seine schicke.

Wollt ihr euch unterwinden,
Zu thun, was euch gebührt,
Ein Herman wird sich finden,
Der euch zum Siege führt.
Laßt euch verstellten Frieden
Zum Schlagen nicht ermüden!
Mit Wachen und mit Wagen
Muß man die Ruh’ erjagen!“

Man weiß, wie von da an Frankreich mit Gewalt und List sich in Besitz des ganzen Elsasses, wie überhaupt des linken Rheinufers zu setzen suchte. Der fürchterliche lange Krieg hatte die Reichskraft für Jahrhunderte hinaus gebrochen. Der früher so mächtige Kurfürst von der Pfalz konnte dem Verwüster Türenne, dem Vorgänger der Melac und Monclar, kein Heer entgegenstellen, und sein Schmerz mußte sich darauf beschränken, den Franzosen zum Zweikampfe herauszufordern und durch die Verheirathung seiner Tochter an einen französischen Prinzen, jener edeln Elisabeth Charlotte, die sich selbst als Opfer der Politik ansah, den gefährlichen Nachbar milder zu stimmen. Die Großen des Reichs sahen ungerührt zu, wie Deutschlands schöne Grenzmarken systematisch zur Wüste gemacht wurden, und äfften noch Ludwig dem Vierzehnten nach, so daß schon Moscherosch singen konnte:

A la mode bringt uns noch
Unter ein fremd’ Reich und Joch!“

Das war die Zeit, wo französisches Geld den Verrath an Deutschland nährte und die Elsässer für ihre Anhänglichkeit an das Reich noch unendlich mehr litten, als in unseren Tagen etwa die Schleswig-Holsteiner erduldet haben.

„Elsaß, ach! das edle Land
Seelzagt zwischen Raub und Brand!“

klagt der ehrliche Han in seiner Darstellung des „seelzagenden, edeln, nun fast öden Elsasses“, während das verzweifelnde Volk sich gegen die französischen Mordbrenner erhob und einzelne Bandenführer, wie unter Anderen den entsetzlichen La Brosse, erschlug, stets in der Hoffnung auf endliche Hülfe durch Deutschland. Singt doch der vorhin genannte Han:

„Gott wird den gerechten Waffen
Endlich Fried’ und Ruhe schaffen,
Der Tyrannen Hochmuth strafen,
Einst im Grimm dahin sie raffen,
Oder plötzlich legen schlafen.
Hie! Gott und des Kaisers Waffen!“

Der ehrliche Mann sucht sich in der damaligen Noth und Verwüstung noch damit zu trösten, „daß die Feinde so grausam nur deshalb verfahren, weil sie das Laud doch nicht auf die Länge behaupten könnten, sondern es Kaiser und Reich wieder überlassen müßten.“

Vergeblicher Trost des armen gehetzten Volkes! Wer etwas tiefer in die Geschichtsacten nach dem dreißigjährigen Kriege geschaut, ist schmerzlich berührt davon, wie schmählich das Elsaß von Deutschland verlassen ward. Es krümmte und bäumte sich unter den Geierskrallen des mächtigen Feindes; sein geängstigtes Volk stand todesmuthig auf, die Dränger zu erschlagen; Landschaft und Städtebund ließen laute Nothschreie in’s Reich erklingen, klammerten sich an jeden Strohhalm an, der noch die Verbindung mit Deutschland vermittelte. Vergeblich. Es war die Zeit von Deutschlands tiefster Erniedrigung. Die durch des „großen Ludwig“ Einfluß entnervten Fürsten überwiesen feig die Reichsstädte des Elsasses dem Erzfeinde, stießen sie ihm gleichsam in die Hände, bis sie sich, an Allem verzweifelnd, ohne Hülfe und Beistand, dem Dränger endlich ergeben mußten. Durfte doch Ludwig der Vierzehnte mitten im Frieden Straßburg, eine der wichtigsten Städte des Reichs, ungestraft wegnehmen. In banger Ahnung dieses Schlusses der Dinge aber gingen durch das Land die warnenden Verse:

„Wann’s Colmar, Landau, Weißenburg übel geht,
So seh’ zu, Hagenau, wie es um dich steht.
O Rath zu Straßburg, siehe zu,
Und hüt’ dich, mach dein’ Thür’ wohl zu.
O römisch Reich! Sieh’ wohl für dich,
Damit der Bund nicht von dir wich.“

Wollen wir uns heute daran und an alle die Leiden erinnern, welche das Elsaß für Deutschland erduldet; wollen wir nicht vergessen, daß es sich erst von uns verlassen ergab, daß es Deutschlands eigene Schuld ist, wenn die Elsässer uns im Laufe der Zeiten auch in ihren politischen Sympathien verloren gegangen sind.

Und trotzdem, noch lange, nachdem das Elsaß eine französische Provinz geworden, blieb es in Sitte und Gesinnung ein deutsches Land. Nicht umsonst hatten da gewirkt Mönch Otfried, Gottfried von Straßburg, Tauler, Geyler von Kaisersberg, Sebastian Brandt, Murner, Fischart und hundert Andere in Kunst und Wissenschaft. War es auch dem Reichsfeind geopfert, so blieb es doch eines der Mutter- und Pflegeländer des deutschen Volksgesanges, und unser größter Dichter bildete bekanntlich am elsässischen Volksliede zuerst sein lyrisches Genie. Klingt doch auch heute noch, nachdem uns das Elsaß mit der großen französischen Revolution erst völlig verloren gegangen war, in hundert Variationen durch das deutsche Volksgemüth:

„O Straßburg, o Straßburg,
Du wunderschöne Stadt!“

Erst die große Revolution entfremdete uns die Elsässer politisch. Zwar regte sich auch noch während der Schreckenszeit der Föderalismus zumeist im Elsasse und mußte durch Kerkerluft und Blut erstickt werden. Die gemeinschaftlichen Siege der republikanischen Periode und des ersten Kaiserreichs jedoch haben die Elsässer fest an Frankreich gekettet. Ihrem Stolze schmeichelte es, redlich zu jenen Siegen beigetragen zu haben. Denn gerade aus dem Elsasse kamen der Republik und dem ersten Napoleon die tapfersten Generale und kamen bis heute noch der französischen Armee die besten Soldaten. Der kriegerische Sinn der Alemannen verleugnete sich auch in der fremden Uniform nicht.

Hat die große Revolution die Elsässer erst politisch zu guten Franzosen gemacht, wozu sie im Hinblick auf die deutsche Zerrissenheit leider sich nur bestärkt fühlen konnten, so ist denn auch besonders seit 1848 unter dem zweiten Kaiserreich französisches Wesen in Sitte und Sprache zum Durchbruch gekommen. In den größeren Städten wird von den Gebildeten das Elsässer Deutsch von oben herunter als Dialekt angesehen, den man dem gewerbetreibenden Volke überläßt und nur noch mit den Dienstboten spricht.

Dennoch hat sich immer noch viel deutscher Sinn, besonders auf dem Lande, bewahrt. Heute wie früher betet und flucht der Elsässer deutsch, wenn auch in Schule und Kirche lange Zeit nur französisch gelehrt und gepredigt worden war. Das Alemannische des obern Landes und das Rheinfränkisch-Pfälzische um Weißenburg ist ihm „Muettersprooch“ geblieben. Wenn er sich auch gern an den „Dütschen“ rieb, deren politische Zerrissenheit ihm vor Augen lag und die er bald Gelbfüßler, bald Schwaben nannte, so sah er doch verachtungsvoller herunter auf den „Wälschen“ hinter den Vogesen, den er sich durchaus nicht ebenbürtig denken wollte. Dem deutschen Einflusse ist es zuzuschreiben, daß im Elsasse bessere Schulen sind als sonst in Frankreich, und der verwälschte Lothringer gilt dem intelligenteren Oberrheiner als „dummer Tuifel“. Der Kinderspott kennt aber heute noch den Zuruf: „Wälscher Hannikel, Gukummersalat etc.“

Auch im Aeußern, im Charakter der Häuser und Straßen, sind sowohl die Dörfer als Städte noch deutsch. Seltsam berührte

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 787. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_787.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)