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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Eigentum?‘ rief ich ihm zu. ‚Ich weiß nicht,‘ war seine Antwort. Die feindliche Cavallerie kam auf den Markt gesprengt – ‚retten wir uns, vielleicht giebt es noch einen Ausweg‘ – ‚aber mein Gepäck und meine einzige Baarschaft, die ich besitze?‘ – ‚Lassen Sie das, vertrauen Sie sich mir an, dort sehe ich einen Ambulance- Wagen, vielleicht daß der uns aufnehmen kann, vielleicht ist es der unsrige.‘ – Abermalige Täuschung, es war der unsrige nicht, aber er nahm uns auf.

Sie werden, meine Herren, gehört haben, daß bei Beaumont sich eine französische Colonne von fünftausend Mann durchgeschlagen und die luxemburgische Grenze erreicht hatte. Zu dieser Colonne hat uns ein glücklicher Zufall gelangen lassen. Sie kam bis Arlon, ich in dem Ambulance-Wagen mit; dort wurde sie entwaffnet, ich war es bereits. Ich war noch in demselben Zustande, in welchem ich das Zimmer verlassen hatte, ich besaß nichts, als das, was ich auf dem Leibe trug, kein Stück Wäsche, selbst meine Börse hatte ich auf dem Zimmer liegen lassen. Ich war hülfloser als ein Kind, denn mit einem solchen hätte man Mitleid. Auf eine Frau aber, die in diesem Zustande in einer militärischen Truppe erscheint, auf diese wälzt man den finstern Verdacht, den Gedanken der Schuld, den Vorwurf der Schande. Ich habe die Blicke, die mir hierher begegneten, gesehen, ich habe sie verstanden, ich habe sie getragen. Was auch die Welt, was Sie, meine Herren, von mir halten werden, mag es Tugend oder Laster, mag es der Glaube an die Wahrhaftigkeit meiner Worte sein, oder mögen Sie mich innerlich der Lüge bezichtigen, ich habe so entsetzlich gelitten, daß ich auch noch dieses Leiden auf mich nehmen kann. Wenn ich nur wieder bei meinem Manne bin, dann ist Alles gut, dann ist Alles vergessen und verziehen, Gott ist mein Zeuge, daß mein Herz und mein Wille rein ist, und habe ich Gott und meinen Mann zum Zeugen, was brauche ich dann mehr auf der Welt!“

Eine Pause trat ein, die Sprecherin hatte sich schluchzend auf einen der kleinen Fauteuils geworfen.

Der Ton ist es, der die Musik macht, und aus jedem ihrer Worte sprach eine überzeugende Wahrheit, daß wir alle, die um sie her standen, das tiefste Mitgefühl ihr nicht versagen konnten.

„Und wie sind Sie, wenn ich weiter fragen darf, über die französische Grenze gekommen?“ frug der Officier.

„Trotz aller Hemmnisse und Unglücksfälle habe ich meinen Plan doch nicht aufgegeben,“ war die Antwort der Dame. „Vielleicht fand sich doch ein Mittel, ein Ausweg, eine Person, die mir zu meinem Ziele verhalf, wer weiß? Aber ich war von allen Mitteln entblößt; ich war noch dazu in einem Orte, in dem ich Niemand kannte. Bei meiner Abreise von Paris hatte ich allen Schmuck abgelegt, ich trug nur noch eine kleine goldene Uhr und meinen Trauring. Die Uhr hatte ich in Beaumont auf meinem Zimmer liegen lassen, den Trauring besitze ich noch und nur der Tod wird mich von diesem Kleinod trennen. Ich war für meinen Gatten doch nicht so ganz arm, ich besaß noch etwas, wofür ich mir noch einige Baarschaft zur Fortsetzung meines Weges verschaffen konnte, da ich zu stolz war, Jemand um eine Gabe anzusprechen. Ich hätte für Gaston meinen letzten Blutstropfen, mein Leben gegeben, warum sollte ich nicht mein Haar ihm opfern, mein reiches Haar, auf das er stolzer war als ich selber?! Ein Coiffeur schnitt es mir ab und bezahlte mir dafür zweiundzwanzig Francs. Davon bezahlte ich meine Gasthofsrechnung und aß mich nach zwei Tagen zum ersten Male wieder satt. Während ich im Speisesaale mein bescheidenes Mahl einnahm, machte ich die Bekanntschaft eines Herrn, der mir gegenüber saß. Es war ein Deutscher, ein Johanniter, ein Mann voll feiner Rücksicht, voll zarter Zurückhaltung, der mir großes Vertrauen einflößte. Ihm erzählte ich im Laufe des Gesprächs meine Schicksale, ihm vertraute ich auch Zweck und Ziel meiner bisherigen Opfer; wie eine Stimme der Sphären klang es aus seinem Munde, als er mir sagte: ‚Vielleicht kann ich Ihnen helfen. Mein Schwager ist der commandirende General v. ***, an ihn will ich Ihnen einen Empfehlungsbrief mitgeben, vielleicht kann er Ihnen zu Ihrem Ziele verhelfen. Ich sehe, daß Sie von Allem entblößt sind, gebieten Sie über meine Börse ohne jede Scheu, es werden sich wohl später Mittel und Wege finden, das auszugleichen. Sie brauchen keinen Anstand zu nehmen, von meinem Anerbieten Gebrauch zu machen, jedenfalls werden Sie mir gestatten, Ihnen einen Wagen zu besorgen.‘ Mit dem Empfehlungsbriefe dieses edeln Mannes versehen, kam ich nach dem Hauptquartier des Generals. Ich fand bei ihm die menschenfreundlichste, ritterlichste Aufnahme, aber leider meinte er zur Förderung meiner Zwecke wenig beitragen zu können. Den Eingang nach Metz könnten mir nur zwei Menschen verschaffen, der Prinz Friedrich Karl oder der König; ersterer sei näher, darum möge ich in dessen Hauptquartier nach Corny gehen, er wollte mir als Schutz und Begleitung einen Dragoner mitgeben. Vor einer halben Stunde kam ich hier an. Ihr Blick, meine Herren, sagt mir, daß meine Aussichten in dieser Beziehung hoffnungslos sind; nach Metz darf ich nicht hinein, nach Paris kann ich nicht zurück, da dasselbe bereits cernirt ist; ich bin heimathlos, ich bin getrennt von Mann und Kind, ich armes, armes Weib, das nicht Thränen genug hat, um sein Unglück zu beweinen. Wer wird sich meiner erbarmen!“

Zwei Stunden darauf nahm eine Kutsche den Weg nach Nancy; auf dem Bocke saß ein Soldat, im Fond die Gattin des französischen Capitains; ersteren hatte man ihr zum Schutz und zu ihrer Sicherheit mitgegeben. Man hatte von Seite des Hauptquartiers als Ausdruck des tiefen Mitleids, welches die Schicksale der unglücklichen Frau einflößten, alle möglichen Rücksichten für dieselbe: man ließ ihr ein Diner serviren, man bot ihr bei der Frau des Maire ein Nachtquartier an, man stellte eine Summe zu ihrer Verfügung – aber sie durch die Vorposten hindurchlassen, das konnte unter keiner Bedingung geschehen, hier handelte es sich um ein Princip, das selbst dieser Armen gegenüber nicht aufgegeben werden konnte, wenn auch der Anblick so vielen Herzensjammers seine Aufrechthaltung erschweren mochte. Metz war ihr verschlossen, die Wege nach Paris, nach ihrer Heimath zurück, waren ihr durch die Märsche unserer Truppen abgeschnitten. Was sollte sie beginnen? Nancy lag in der Nähe, eine größere Stadt, dort fand sie jedenfalls französische Freundinnen, mit denen sich Anknüpfungspunkte darboten, bei denen sie Aufnahme wenigstens für die nächste Zeit finden konnte. Man bot ihr einen Wagen dorthin an, den sie mit Dank annahm, wenn auch unter Thränen des Schmerzes, daß der Wagen sie in entgegengesetzter Richtung führen sollte, nicht nach Metz hinein zu ihrem Manne, dem sie schon so nahe war; nur eilf Kilometer – das hatte ihr beim Hierherfahren der Meilenstein gezeigt – trennten sie Beide noch, und diese Entfernung war von ihrer Hoffnung ausgefüllt. Schon hatte sie ganz nahe das Fort St. Quentin sehen können, und nun wurde sie durch ein grausames Gebot militärischer Pflicht dem Ziele, dem einzigen Willen und Gedanken, dem Herz ihres Herzens, dem Leben ihres Lebens entrückt! –

Es war etwa zehn Tage darauf, als ich gegen Abend einen Spaziergang über Jouy hinaus nach der Brücke machte, die über die Mosel nach Ars sur Moselle, also auf das linke Moselufer führt. Ueber die Brücke kam ein Wagen, von einem Gensd’armen escortirt; in dem Wagen saß eine anständig gekleidete weibliche Erscheinung, die in dieser Begleitung jedenfalls die Aufmerksamkeit erregen mußte. Wen erkannte ich zu meinem höchsten Erstaunen? Madame Laurence T. F. de C.

„Woher kommen Sie mit dieser Dame?“ frug ich – ich verhehle es nicht – in höchster Neugierde.

„Von Vaux, einem Dorfe zwischen Ars sur Moselle und Gravelotte!“ war die kurze Antwort des Feldgensdarmen.

„Was hat sie denn verbrochen?“ war meine weitere Frage, wobei ich absichtlich verschwieg, daß mir die fragliche Person bekannt war. Auch die Insassin des Wagens machte keine Miene, als ob sie mich scho irgendwo gesehen hätte, vielleicht hatte sie mich auch nicht wieder erkannt.

„Eine Spionin,“ raunte mir der Gensd’arm im Weiterreiten zu. „Wir fahnden schon lange auf sie, unterschiedliche weibliche Personen sind anstatt ihrer schon arretirt worden, die anständigsten Frauenzimmer, wie sich nachher herausgestellt hat. Das kann man aber doch nicht vorher wissen. Sehen Sie sich einmal die an. Sieht die aus, als wenn sie ein Wasser trüben könnte? Und doch ist sie eine gefährliche Spionin, für deren Ergreifung wir die strengsten Befehle haben.“

Sollte dies wirklich der Fall sein? Sollten ihre Erzählungen von damals nur erfunden, Fabeln sein, um allen Verdacht von ihr abzulenken, sollte ihr Jammer, ihre Verzweiflung nur erheuchelt gewesen sein? Unmöglich! dann muß die Wahrheit selbst eine Lüge sein, wenn die Lüge so sehr den überzeugenden Eindruck jener in ihrer Gewalt hat. Und doch

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 779. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_779.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)