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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

das Haus Neununddreißig der Rue neuve, woselbst sich auch die Bureaux des Generalstabes befinden. Der alte siebenzigjährige Herr führt ebenfalls eine sehr einfache Lebensweise und ist von früh ab thätig bis spät in die Nacht. Er steht morgens zwischen fünf und sechs Uhr auf und arbeitet nach dem Kaffee von sechs bis acht, dann kommt der General-Quartiermeister der Armee, General-Lieutenant von Podbielski, mit dem er conferirt, beide fahren dann um zehn Uhr zum König. Um zwölf Uhr kehrt Moltke zurück, frühstückt und fährt dann mit seinen beiden Adjutanten Major de Claer und Premier-Lieutenant von Burt aus; letzterer ist sein Neffe (Sohn seiner Schwester). Diese Spazierfahrten, welche zwei bis drei Stunden in Anspruch nehmen, werden zu Inspicirungen in der Umgegend benutzt. Nach Hause zurückgekehrt, erledigt der General die inzwischen eingelaufenen Depeschen und ißt dann um fünf Uhr mit seinem ganzen, aus zwanzig Officieren bestehenden Stabe, zu welchem unter anderen der Oberstlieutenant Bronsart von Schellendorf, sowie die Obersten von Verdy du Vernois und von Brandenstein gehören. Nach Tisch arbeitet Moltke, wenn er nicht zum Thee beim König befohlen wird, und geht um elf, spätestens zwölf Uhr zu Bette.

Wache im Dorfe Marly vor Metz.
Nach der Natur aufgenommen von Chr. Sell.

Der General ist sehr einfach und anspruchslos und erträgt bereitwillig die durch den Krieg gebotenen Entbehrungen. Er hat nur Einen Diener, Namens August Friebe. Stets bei den Vorposten zu finden, die er inspicirt, und gleichzeitig die Punkte besichtigend, welche für Aufstellung der Geschütze ausersehen sind, war er während dieses Feldzuges den feindlichen Geschossen schon mehrfach ausgesetzt. Im Schlosse St. Cloud war er kurz vor dem Brande anwesend, als es förmlich von Granaten überschüttet wurde; er besichtigte die kaiserlichen Zimmer, und die Geschosse nicht beachtend, welche wiederholt einschlugen und Alles verwüsteten, stand er sinnend vor dem Bett Napoleon’s des Dritten, das halb zerschmettert war, und sagte dann ruhig: „Hier wird er wohl nicht mehr drin schlafen!“

Sucht man Moltke während des Gefechts, so ist er stets vorn an der Spitze zu finden. Der General ist wortkarg, er hört nur und spricht wenig, dagegen ist er gegen die Soldaten und jüngeren Officiere, die ihn lieben und verehren, sehr freundlich und redet sie stets an, wenn er ihnen im Bivouac oder auf dem Marsche begegnet. „Wie habt Ihr geschlafen?“ „Seid Ihr naß geworden?“ „Wie ist es Euch ergangen?“ Dergleichen theilnehmende Fragen hat er stets für sie, auch liebt er es, sich mit ihnen in kleine Unterhaltungen einzulassen. Am 2. September früh, nach Gefangennahme Napoleon’s, fuhr Moltke in Donchery bei einem Trupp Grenadiere vom sechsten Regiment vorbei und rief dem Einen derselben zu: „Den Kaiser haben wir gefangen, nun wird es wohl bald nach Hause gehen.“

Der Westpreuße erwiderte: „Ja, wenn wir nur die Kaiserin auch bald hätten!“

Der General fuhr lächelnd weiter.

Viele kleine allerliebste Anekdoten coursiren hier im Hauptquartier über diese drei hohen Häupter; freilich werden sie, um dereinst für die Geschichte benutzt werden zu können, sich einer starken Prüfung unterwerfen müssen. Das eine Zeugniß gehen sie aber doch schon der Gegenwart, daß diese Männer im Volke leben, wie Friedrich der Große, wie Blücher und Stein. Möge darum diese Zeit bis zum letzten Schluß ein reines Ehrenblatt der Geschichte unseres Vaterlandes werden!



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 768. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_768.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)