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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Jetzt brachte der greise Hösli senior, der noch immer Bürgermeister war, das Lebehoch auf Alfred aus, das donnernd aus Hunderten von Kehlen widerklang.

So war denn aus dem stillen Knaben, dessen spärliches Wachsthum sich so unbeachtet da draußen in der Enge am See vollzogen hatte, der Held des Tages geworden, ein gefeierter Jüngling, dessen Stirn bereits eine selbsterworbene Bürgerkrone schmückte. „Wer hätte das gedacht!“ sagte vor einigen Monaten der Doctor Zimmermann und „Wer hätte das gedacht,“ wiederholte heute Anna Hösli – „die stille Braut“, wie ihre Freundinnen sie scherzweise nannten, denn es war auffallend, wie schweigsam und ernst sie seit der allgemein vermutheten Verlobung mit dem Grafen Victor geworden war.

(Fortsetzung folgt.)




Blätter und Blüthen.


Gefährlicher Beobachter. (Mit Abbildung S. 745.) Im engen Ring, unzerbrechbar und immer fester umklammert, schließt sich die Mauer von Erz um das moderne Babylon, und von allen Höhen dräuen die deutschen Geschütze, der „Königin der Städte“, der „steinernen Bibel“, wie sie Victor Hugo nennt, die eitlen, prahlerischen flunkernden Fetzen vom Leibe zu reißen und ihr den entsetzlichen Ernst dieser Tage, der sich auf den Boulevards noch immer nicht einstellen will, mit klarem Worte deutlich zu machen.

Den stillen Geist, der all die gewaltigen Hämmer regiert, welche jenen eisernen Ring um Paris schmieden, sehen wir leibhaftig in der Illustration, welche Fr. Schulz bei der Belagerungsarmee vor Paris aufgenommen hat und die den General v. Moltke auf einer Recognoscirung, begleitet von seinem Adjutanten, dem Major im dreizehnten Dragonerregiment, v. Claer, darstellt. Der Standpunkt des Generals ist auf den nördlich von Paris gelegenen Höhen von Garges; zu den Füßen der Feldwache liegt Stadt und Dom St. Denis, die altehrwürdige Begräbnißstätte der Könige von Frankreich. Hinter St. Denis erhebt sich der wegen seiner Fernsicht über Paris vielgerühmte Montmartre, dem zur Rechten, auf der westlichen Seite, der Mont Valerien sichtbar wird, dessen Höhe von dem in den letzten Tagen öfter genannten Fort gekrönt ist. Zwischen beiden erheben sich die Kuppel des Invalidendomes und der Triumphbogen.

Die beiden im Schutze der Feldwache aufgestellten Signale sind Feuerzeichen, Fanale, durch welche die Truppen von dem Ueberfall einer Vorpostenlinie benachrichtigt werden. Bald dient hierzu ein brennender Holzstoß auf einem hohen Punkte, bald die Lärmstange, eine in die Erde befestigte hohe Stange, welche mit Stroh umwunden, mit Pech übergossen und mit Pulver überstreut, oben aber mit einer umgekehrten Pechfackel versehen ist, welche letztere durch eine Pechtonne oder Stroh vor Nässe geschützt wird. Bei einer jeder dieser Lärmstangen steht ein Posten, welcher dieselbe sofort entzündet, wenn er eine andere brennen sieht.



Ein Vermißter! – Im Sturmjahre 1848 lebte zu Pappenheim, im baierischen Mittelfranken, ein glücklicher Mann. Ein junges Weib und zwei blühende Kinder hingen an seinem Herzen. Aber der Herbst jenes Jahres, der durch die hereinbrechende Reaction so vieles Familienglück zerstörte, traf auch dieses – der Mann mußte nach Amerika entfliehen und ließ Weib und Kinder in Jammer und Entbehrung zurück. Zwei Male sendete er Worte des Trostes über den Ocean; das letzte Mal – vor achtzehn Jahren! Das Töchterchen, das zweijährig dem Vater auf dem Schooße saß, muß längst als Gouvernante sich ihr Brod verdienen, und der dreijährige Knabe, dem er so oft das schwarzrothgoldene Fähnchen in’s Händchen drückte, mit dem er vor der Schaar der kleinen Cameraden dahinzog, steht jetzt als baierischer Soldat im deutschen Heere auf Frankreichs Boden. Einsam daheim mit ihrem Gram und Bangen ist nur die Mutter, die als Wittwe gilt und in deren Herzen doch die Sehnsucht nach dem Gatten nicht ersterben kann. Achtzehn Jahre! Wie viel Hunderttausende sind seitdem in Amerika gestorben und verdorben! – Sollen wir trotzdem nach diesem Einen ausspähen? Wir wollen, den Verlassenen zum letzten Trost, es wagen. Der Vermißte hieß Andreas Adam, war Chemiker und Kaufmann in Pappenheim; sein Vater, J. N. Adam, besaß eine Fabrik am Rennweg bei Nürnberg. Adam, der bei seiner Auswanderung etwa achtunddreißig Jahre alt war, gab am 2. Mai 1852 die letzte Nachricht von sich aus Newyork, wo er sich als kaufmännischer Agent und als Holzbildschneider zu nähren suchte. Ein Mehres ist von ihm nicht bekannt. Die Adresse seiner Gattin bewahrt die Redaction der Gartenlaube.




Am Wachtfeuer vor Rézonville. (Mit Abbildung S. 753.) Eine treffliche und selbst durch ihre Entstehungsweise interessante Illustration von Fr. Schulz führt uns zu einer der letzten großen Schlachten zurück, zu der von Gravelotte. „Großer Sieg unter Führung des Königs!“ hatten die Morgenblätter des 19. August verkündet. Die französische Armee war von den deutschen Truppen unter des Königs eigener Führung und nach heißem neunstündigem Ringen aus ihren festungsähnlichen Positionen geworfen und in die Festung Metz zurückgeschlagen worden. Der König war den ganzen Tag von vier Uhr früh zu Pferde gewesen und hatte sich wiederholt dem feindlichen Feuer so ausgesetzt, daß er in seinem ausführlichen Briefe an die Königin wohl sagen konnte: „Die historischen Granaten von Königsgrätz fehlten für mich nicht, aus denen mich diesmal Minister von Roon entfernte.“ Das war namentlich bei dem letzten Vorstoß der Fall, als die dritte Division des zweiten Armeecorps unter der persönlichen Anführung des Generals von Fransecky die Höhen hinter Gravelotte im Sturme nahm. Auf den Abhängen derselben hatten sich die Franzosen in drei Etagen Schützengräben übereinander eingeschnitten, die über die Höhen hinlaufende Chaussee war in ihrer ganzen Ausdehnung mit Artillerie besetzt, und der Kampf, der sich hier bereits im Dunkel der Nacht entspann, war wohl mit das Furchtbarste, was die Kriegsgeschichte der Neuzeit seit der Verbesserung der Feuerwaffen kennt.

Der Kampf war mörderisch; „ich scheue mich, nach den Verlusten zu fragen und Namen zu nennen,“ schrieb der König am nächsten Tage, „da nur zu viele bekannte genannt werden, oft unverbürgt.“

Die Nacht traf den greisen König noch auf dem Schlachtfeld, vor einem halb verwüsteten Gehöfte des Dorfes Rézonville, an der nach Vionville führenden Chaussee, und hier, in Ermangelung eines Stuhles auf einem Sattel sitzend, dictirte er beim flackernden Schein eines Wachtfeuers dem vor ihm stehenden Bundeskanzler Grafen Bismarck das Telegramm, das die Königin von der glorreichen Waffenthat des deutschen Heeres unterrichten sollte. Dem König gegenüber hat, wie der Künstler uns schreibt, auf einem Fasse Prinz Karl, der Vater des Feldherrn Prinzen Friedrich Karl, Platz genommen, hinter dem König stehen die treuen Moltke, Roon und andere Generale, deren Namen wir aus Schulz’ Begleitbrief nicht entziffern konnten. Das Feuer, dem auf unserem Bilde eben der Major und Flügeladjutant des Königs, Graf v. Waldersee, in Gestalt einer Leiter neue Nahrung zuzuführen bestrebt ist und dem der Oberlieutenant Graf Lehndorf daneben das nöthige Brennmaterial entnimmt, die unentbehrliche, nach gethaner Arbeit doppelt willkommene Cigarre anzuzünden, beleuchtet rings die Spuren des wilden Kampfes, der hier getobt, Leichen, zertrümmerte Waffen, weggeworfene Tornister, Tragbahren.

„Ich stand nur wenige Schritte von der interessanten Gruppe,“ so schließt des Künstlers Brief, „und sah und hörte wie der König dictirte. Eigentlich wollte ich die Skizze nicht veröffentlichen, nachdem König Wilhelm mich mit der Ausführung derselben in Aquarell beauftragt hat. Wenn ich sie Ihnen nun aber heute doch schicke, so geschieht es nur, weil ein anderes Blatt dasselbe Thema schon mit einer seltsamen Variante behandelt hat: der König erhält von einem Marketender ein Glas Wein. Davon weiß weder der König noch sonst Jemand in seiner Suite Etwas; und ich darf getrost berichtigen, daß dieses Glas Wein nur in der thätigen Phantasie eines „Special-Correspondenten“ existirt. Schließlich wird Sie noch die Mittheilung interessiren, daß die mit Bleistift geschriebenen Notizen, welche sich unter der heutigen Skizze befinden, von der Hand des Königs selbst herrühren und Bezug auf die oben erwähnte Aquarellausführung haben.“




Ueber den wackeren Gefreiten Stert, dessen Schicksale wir in Nr. 41 der Gartenlaube unter der Rubrik „Ein Standhafter“ geschildert haben, erhalten wir aus Potsdam neue dankenswerthe Nachricht, die gewiß viele unserer Leser interessiren wird. „Der brave Stert,“ heißt es in dem Briefe, „befindet sich seit etwa sechs Wochen in unserem Lazareth und darf wohl mit gutem Recht als genesen bezeichnet werden. Die äußeren und inneren Wunden sind völlig geheilt, und als einzige Entstellung unseres Helden präsentirt sich eine hasenschartenähnliche Narbe der Oberlippe, die jedoch fast gänzlich vom Schnurrbarte verdeckt wird. Seitdem ihm von einem hiesigen Zahnarzt ein künstlicher Gaumen mit Zähnen eingesetzt wurde, ist auch seine Aussprache wieder deutlich und gut geworden. Als Ergänzung zu Ihren sonst ganz richtigen Angaben darf ich nur noch hinzufügen, daß die feindliche Kugel sogleich durch die linke Wange das Weite gesucht hat, ferner daß Stert nach Beilegung eines oberflächlichen Verbandes noch vier Meilen zu Fuß bis Pont à Mousson zurücklegte. Laune und Muth sind trotz aller Schmerzen die vorzüglichsten und die Fähigkeit zum Küssen eine unbeschränkte geblieben.“




An die aus Frankreich vertriebenen deutschen Arbeiter. Offenbar findet die Arbeitsvermittelung für unsere aus Frankreich vertriebenen Landsleute eine Hauptschwierigkeit ihres Gelingens darin, daß die Anmeldestellen nicht allgemein genug bekannt sind. Es müßte sonst die Zahl der Arbeitsgesuche weit bedeutender sein, als sie sich bis jetzt herausstellt.

Um diesem Uebelstand nach Kräften abzuhelfen, bringen wir hiermit zur öffentlichen Kenntniß: daß sowohl das deutsche Gewerbemuseum in Berlin als Centralstelle, als auch eine große Anzahl von Handelskammern – in dem industriellen Sachsen die zu Leipzig, Dresden und Chemnitz – sich die Aufgabe gestellt haben, die schätzbaren Kräfte der in Frankreich geschulten deutschen Arbeiter der heimischen Industrie zuzuführen. Daß die deutschen Industriellen bereit sind, dieselben aufzunehmen, beweisen zahlreiche Anmeldungen aus den verschiedensten Zweigen des Gewerbsfleißes, welche bei den Handelskammern eingegangen sind.




Der Humor im Felde scheint unsere Soldaten auch in den peinlichsten Lagen nicht zu verlassen; so war ich Zeuge, wie ein Musketier, der sich eine grobe Versäumniß hatte zu Schulden kommen lassen, von seinem Vorgesetzten mit den bittersten Vorwürfen überschüttet, mit ernster Strafe bedroht und wiederholt mit dem nicht ganz salonmäßigen Zuruf: „Sie sind ein Schweinkerl!“ begrüßt wurde. Der Mann hörte das Alles ruhig an und stand gerichtet da wie eine Bildsäule; sobald aber der Vorgesetzte sich abgewandt, meinte der Soldat mit tragikomischem Lächeln zu seinen umstehenden Cameraden: „Wat ut’n Menschen doch Allen’s war’n kann: Gestern häw ik noch läsen, wi wären ‚lauter Helden‘ – und hüt bin ik een ‚Schweinkerl‘!“

F. v. B.

Verantwortlicher Redacteur Ernst Keil in Leipzig. – Verlag von Ernst Keil in Leipzig. – Druck von Alexander Wiede in Leipzig.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 756. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_756.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)