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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

zugeflogen. Das Geräusch dieser Flügelschläge vermehrt sich; eine Taube nach der andern steigt zur Höhe empor, setzt sich so nahe als möglich an den überhängenden Rand des Schachtes, reckt den Hals weit hervor und sichert. Die Jäger verharren regungslos, wie Bildsäulen; denn die geringste Bewegung, das leiseste Geräusch von außen scheucht die mißtrauischen Geschöpfe augenblicklich wieder in die Tiefe der Höhle zurück. Noch haben sie Nichts bemerkt und senden nun nach alter Gewohnheit zuerst ihre Kundschafter nach oben. Fünf bis sechs Tauben heben sich gleichzeitig von den Felsen ab und singen, förmlich kletternd, durch das schwarze Loch senkrecht zum erblauenden Himmel empor. Ringsum krachen die Gewehre, eine und die andere der Tauben stürzt getroffen zu Boden oder auch in den Schlund hinab; die Mehrzahl der Jäger hat aber gefehlt, so überraschend geschieht dennoch das längst erwartete Aufsteigen der Vögel. In der Tiefe vernimmt man das Geräusch eines allgemeinen Aufflatterns, ein gleichzeitig von fünfzig und mehr Kehlen ausgestoßeneß Wuh. … Dann wird es stiller und nach einem Weilchen todtenstill.

Doch heraus müssen die Tauben; dazu treibt sie der Hunger. Geraume Zeit sitzen sie überlegend in der Tiefe; dann beginnt dasselbe Vorspiel wie früher: plötzlich aber, wie von gemeinsamem Entschluß erfaßt, hebt sich der ganze nach Hunderten zählende Schwarm, und Heraus braust er, polternd, pfeifend, mit rasender Eile, steigt hoch auf zum Himmel, umkreist noch einige Male den Kessel, um sich über die Ursache der Störung zu vergewissern, theilt sich in kleinere Truppen und fliegt nun nach allen Seiten zur Aesung aus.

Die Jäger, welche auch diesmal ihre Gewehre bis zum letzten Laufe entladen und günstigsten Falles wieder einige Tauben erlegt haben, verlassen ihre Stände oder wenigstens den Rand des Kessels noch nicht. Sie wissen, daß die Tauben wieder zur Foyba zurückkehren werden, nicht etwa, weil hungrige Junge da unten der zärtlichen Fürsorge ihrer Eltern warten – denn die Tauben insgesammt kennen eine derartige Aufopferung nicht, sind vielmehr die schlechtesten, am wenigsten treuen Eltern, welche es in der Classe der Vögel giebt – sondern einzig und allein, weil die alte Gewohnheit zwingend auf sie einwirkt. Drei, vier Stunden unter Umständen mehr, vergehen, ehe eine einzige Taube sich wieder zeigt. Die Jäger haben inzwischen gefrühstückt, geplaudert, auch wohl ein wenig geschlafen.

Da naht sich heimkehrend der erste Flug der Höhlenbewohner wieder. In einer Höhe, bis zu welcher kein Gewehr sein Geschoß emporschleudert, kommen sie herangezogen, eilfertig, dahinfliegend, wie immer; in der Nähe des Kessels aber biegen sie aus und beginnen zu kreisen. Von allen Seiten her nahen sich andere, vereinigen sich mit den bereits vorhandenen, ziehen gemeinschaftlich mit ihnen ihre Kreise; der Schwarm dichtet sich zu einer scheinbaren Wolke, und diese senkt sich nach und nach, obschon überaus langsam, tiefer und immer tiefer herab. Die vorsichtigsten Vögel sehen die Jäger wohl, auch trotz der sie deckenden Felsen und Zweige, sie wissen auch die Gefahr, welche ihrer harrt, gebührend zu würdigen: aber die traute Heimstätte, die einzige Oertlichkeit, welche ihnen vollständigste Sicherheit verspricht, lockt sie in die Tiefe. Doch stürzen sie sich keineswegs blindlings in’s Verderben: sie zögern, rücken vor, d. h. senken sich tiefer herab, erheben sich plötzlich wieder, steigen hoch auf, so daß sie als kleine Pünktchen erscheinen,


Hundemüde!
Im Dorfe Gravelotte ausgenommen von W. Kögler.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 752. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_752.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)