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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

festen Ueberzeugung, daß ich die schöne Stadt Metz malen wollte; daß ich eine Karte von der Umgegend von Metz bearbeitete, davon hatten sie keine Ahnung. Aber jetzt schien ihnen der Maler in Uniform doch etwas seltsam vorzukommen und vielleicht stieg in ihnen auch eine Ahnung von dem wirklichen Sachverhalt auf, doch war davon in ihrem Benehmen nichts zu bemerken, sie waren freundlich und sogar herzlich und boten dem „Herrn Maler“ sogar einen Liqueur an, was bei dem von Natur geizigen französischen Landmanne etwas sagen will.“

„Aber damit, Herr Camerad, haben Sie uns noch immer nicht das Räthsel Ihrer gewonnenen Bekanntschaft mit der alten Römerstadt da drüben gelöst.“

„Verzeihen Sie, wenn ich mir als Beleg für Ihre Bemerkung über die Reisen unserer Generalstabsofficiere diese kleine Abschweifung erlaubte. Woher ich Metz so genau kenne? Weil ich dort zwei Jahre erzogen worden bin, oder vielmehr weil man mich dort zu dressiren suchte. Sehen Sie dort das lange graue Klostergebäude mit der Kirche links vom Dome? Dort ist das Jesuitencollegium und dort war ich zwei Jahre Eleve.“

„Wie? Sie ein Zögling der Jesuiten? Ah!“

„Erschrecken Sie nicht! Hat der Weg von der Caserne schon manchmal in das Priesterseminar geführt, warum nicht umgekehrt aus demselben in die Caserne; wie bei mir?! Ich habe mir die Erziehung übrigens bald abgewöhnt. Meine Verwandten hatten mich in das Kloster gesteckt, aber die frommen Väter waren froh, als sie des ‚ausgelassenen Deutschen‘ wieder los waren.“

Bisher hatte ringsum tiefe Stille geherrscht – nichts von einer Action war zu hören, selbst die Geschütze der Forts schwiegen, die doch immer so munter sind. Denn wenn die Munition nicht in die Hände der Preußen fallen soll, so muß sie lustig verschossen werden. Die mancherlei Bewegungen der Franzosen, die man wahrgenommen hatte, schienen doch einen andern Zweck gehabt zu haben, als den eines Ausfalls, – aber plötzlich ändert sich die Situation. – In der Ferne wird ein lebhaftes Gewehrfeuer vernehmbar. Nach der Gegend des Forts Quelen richten sich die Gläser und die Aufmerksamkeit. Dort nach rechts hin sieht man auch leichte Rauchwolken aufsteigen. Das Feuer wird schwächer, dann schweigt es einige Zeit, man kann nur einzelne Schüsse vernehmen, unregelmäßig, unruhig wie Fieberpulse – das sind die Chassepots; dann wird das Feuer wieder lebhafter, disciplinirter möchte man sagen, wie nach festen Zielpunkten gerichtet – jedenfalls kommt es von unseren Zündnadelgewehren.

Die Franzosen scheinen wieder einen kleinen Fourageurfeldzug gegen ein von uns besetztes Dorf unternommen zu haben, wird die Ansicht unter den Officieren laut. Schade, daß jener Höhenzug uns den Ort des Rencontres verdeckt. Richtig – dort, sehen Sie dort die Flammen? – Das Dorf brennt – es ist im gegenseitigen Kampfe in Brand geschossen. Man sieht in der Ferne von vielleicht anderthalb Meile eine Lohe in den bereits dunkelnden Himmel aufschlagen. Das Schießen wird heftiger und hält in der Lebhaftigkeit etwa eine halbe Stunde an, darauf läßt es etwas nach, wird schwächer und schwächer, zuletzt nur hier und da noch einzelne Schüsse – der Kampf scheint niedergebrannt zu sein, wie die Scheunen, um welche er entbrannt war. Der Feind scheint auf dem Rückzuge unter die Forts zu sein – urtheilen die Officiere unter sich. Ist’s nicht so? Hören Sie die Brummer von Quelen, meine Herren? Sie schicken unseren Leuten noch einige Bonbons herüber, damit diesen die Lust vergehe, ihnen die Kartoffeln und die Fourage wieder abzukneifen. Aber nicht nur denen drüben – auch uns. Aufgepaßt, meine Herren! Sehen Sie, hier kommt sie herüber, die Granate aus der Batterie von Sablon, dort unten crepirt sie, nur tausend Schritte von uns – schade! Ach, meine Herren Collegen von der französischen Artillerie, Sie schießen sehr schlecht. Sie müßten wissen, daß Sie nicht auf achttausend Schritt, sondern höchstens auf siebentausend treffen können, daß bis hierher also tausend zu viel sind. Unten bei den Pappeln crepirt sie, und wir hier oben warten darauf, freuen uns der kleine Aufregung, und nun verderben Sie uns so den Spaß. Das ist nicht cameradschaftlich. Wenn wir mit unseren gezogenen Vierundzwanzigpfündern auf solche Distancen uns einlassen, dann erreichen wir sie auch, und dann, meine Herren –– Guten Abend!

Die Dunkel des Abends, die sich über Berg und Thal breiten, mahnen zum Aufbruch. Ueberall hin die Stille des Herbstes, und durch die Ruhe des Abends hört man nur das Schnauben der Pferde. Von zwei Seiten des Berges geht die Cavalcade hinab, nach zwei Zielpunkten, nach Jouy mit den umliegenden Cantonnements, und nach dem Schlosse von Corny.

Die Laternen des Schlosses werfen ihr grelles Licht auf eine Gruppe inmitten des Schloßhofes. Fünf Schwedter Dragoner mit aufgesetztem Carabiner bilden einen Kreis um neun Männer. Dieselben tragen sämmtlich die landesübliche Blouse, nur einer einen hellen Sommeranzug; es sind Leute von zwanzig bis fünfzig Jahren; einer von ihnen, der älteste, unterscheidet sich von den Uebrigen durch seine Corpulenz. Alle sind barhaupt, im Ganzen auch die jüngeren finstere, unheimliche, abstoßende Erscheinungen.

„Camerad,“ wendet sich ein Officier zu dem Dragoner, „wer sind die Leute?“

„Aus einem Dorfe bei Briey; sie haben mit den übrigen Einwohnern desselben Mannschaften vom fünfunddreißigsten Regiment beim Requiriren überfallen, fünf getödtet und mehrere verwundet. Dann haben sie gegen eine Schwadron Husaren, die außerhalb des Dorfes bivouakirte, die Franzosen herbeigeholt. Das ging nämlich so zu. Ein Detachement der Schwadron kam in das Dorf geritten und hatte hier vor einer Scheune abgesessen. Plötzlich hören sie Cavallerie ankommen, glauben aber, da es bereits Nacht ist und sie die Uniformen nicht erkennen können, daß es Leute von den Unseren seien, bis sie französische Zurufe vernehmen, und die französischen Cavalleristen auch schon gleich auf sie einhauen. Diese waren wenigstens dreimal so viel, als Preußen. Ich sage Ihnen, keiner von unseren Landsleuten wäre wohl lebend mehr aus dem Dorfe gekommen, ohne den Trompeter. Ja, Herr Hauptmann, ohne den Trompeter. Der, nicht faul, kletterte von der Tenne der Scheue hinauf auf den Heuboden, dort hatte er eine Dachluke bemerkt, durch die steckte er die Trompete und blies für die Schwadron außerhalb des Dorfes das Alarmzeichen so feste und laut, daß die draußen auch nicht lange auf sich warten ließen und dann die Franzosen in die Flucht jagten. Das war wieder ein richtiges Trompeterstückchen. Der im Sommerhabit, der so schlottert, ist der Schulmeister, der Dicke der Maire, und nun sollen wir sie zum fünfunddreißigsten Regiment bringen. Das wird nicht viel Federlesens mit ihnen machen. Gute Nacht, Herr Hauptmann. Vorwärts mit Euch!“

Aus dem hell erleuchteten Hof geht der Zug zwischen den Posten hindurch hinaus in die Nacht und unter dem Rauschen der Bäume hin dem Grauen des Todes entgegen.




In den Schloßräumen Ludwigs des Vierzehnten.
Von Ludwig Pitsch.


Am 19. September rückte General v. Kirchbach an der Spitze des vielerprobten ruhmbedeckten fünften preußischen Armeecorps in der Stadt des „großen Königs“, wie die Franzosen immer noch diesen schlimmsten Räuber an Deutschlands Glück, Macht und Ehre zu nennen belieben, ein. Tags darauf verlegte der Kronprinz von Preußen dorthin sein Hauptquartier. Sieben Wochen waren vergangen, seit er mit seinem Heere die Grenze des Feindeslandes überschritt. Und nun als Sieger in dessen Herzen! das nahe Ziel, Paris, dort ausgebreitet, zu den Füßen seiner Tapferen, welche die Höhen ringsum besetzt halten und der noch jüngst so übermüthig auf ihre Macht pochenden Stadt jeden Verbindungsweg mit der übrigen Welt und jede Möglichkeit, sich der Gewalt des Siegers schließlich zu entziehen, abgeschnitten haben! Unentrinnbar lag der Preis so vielen blutigen Ringens vor uns da und gewärtig des Momentes, welcher das Zeichen geben sollte, von allen Höhen ringsum Verderben und Vernichtung auf die Forts zu schleudern, lebte einstweilen das Hauptquartier und ein Theil der dritten Armee in der Palast- und Casernenstadt des großen Ludwig so ziemlich wie in einer heimischen Garnison. Nur der Vorpostendienst in den Bergen,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 747. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_747.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)