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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

für etwa zehn Secunden der Richtung, die er nahm, und ob er nicht gekommen sei, gerade hier einzuschlagen – aber der war auch im Nu vergessen, und auf das Pfeifen der Chassepotkugeln achtete Niemand mehr. Sie kamen zu dick und verloren dadurch an Interesse.

Die Unterhaltung drehte sich allerdings ausschließlich um die Gegenwart, also die Belagerung der Stadt – aber auch hier hörte ich die Behauptung, der ich schon bei vielen anderen Ingenieurofficieren begegnet war, daß sich die Veste höchstens noch fünf Tage – wenn so lange – halten könne. Man hatte vor einigen Tagen zufällig vor Nr. 52 eine Schleuße entdeckt und war, ohne einen Augenblick zu versäumen, darangegangen, sie zu unterminiren; denn so nahe standen wir schon dem Feinde, daß man sich ihm auf andere Weise nicht nähern konnte. Diese Schleuße sollte am nächsten Mittag gesprengt werden und man hoffte, dadurch das Wasser in dem letzten Festungsgraben so zu verringern, daß ein Sturm nachher gewagt werden konnte. Niemand dachte natürlich daran, wie schon wahrscheinlich in diesem nämlichen Augenblick in Straßburg selber die Uebergabe, die am nächsten Abend denn auch wirklich stattfand, discutirt wurde.

Und wie das nun, während wir so in unserer Deckung saßen und plauderten, prasselte und krachte, wie das knallte, blitzte und zischte und durch die Luft flog in sausendem Feuerbogen; aber deshalb schmeckt der Cognac nicht schlechter. Ja – es war möglich, daß im nächsten Moment schon eine ungeschickte Granate oder Bombe mitten zwischen uns hineinschlug und Tod und Verderben rings verbreitete, aber vor der Hand gingen die Geschosse noch alle über uns hin, oder trafen auch wohl hie und da mit dumpfem Schall die weiche Erde der Außenwerke – und jetzt hatten es die Leute auch hier, wenn nicht gerade Einer von einer Kugel getroffen wurde, verhältnißmäßig gut, denn die schon länger anhaltende Trockenheit bot ihnen wenigstens eine trockene Bahn und ein eben solches Lager. Furchtbar aber soll der Aufenthalt in diesen Gräben gewesen sein, als der Regen noch unablässig herabströmte und den ganzen Boden in einen flüssigen Schlamm verwandelte, in dem man, bis an die Kniee einsinkend, herumwaten mußte. Noch jetzt gab es Stellen in den Laufgräben, wo man auf der elastischen, oben aber trocken und hart gewordenen Kruste fühlte, daß man auf weichem Schlamm ging, und ganz entsetzlich muß in dieser nassen Zeit der Aufenthalt hier gewesen sein, denn an ein Ausweichen oder Umgehen der Schmutzstellen war ja nicht zu denken.

Es war spät am Abend, als ich die Parallelen wieder verließ, aber ein Soldat mußte mich durch das Labyrinth derselben hindurchführen, wenn ich nicht lange Stunden brauchen wollte, mich hinauszufinden. Für Schrecken durfte übrigens Niemand empfindlich sein, der hier hindurch ging, denn ein paar Mal geschah es, daß ein Geschütz, von unten verdeckt und deshalb nicht sichtbar, ganz plötzlich und unmittelbar über unseren Köpfen abgefeuert wurde – aber man gewöhnt sich ja an Alles, warum nicht auch an das Knallen!

Sobald ich die Chaussee endlich erreichte, bekam ich wieder einen ziemlichen Ueberblick über Straßburg – rechts davon glühte noch ein Brand aus einem der Dörfer, den ich schon am vorigen Abend bemerkt hatte, und deutlich ließ sich auch von den Wällen das da und dort aufblitzende Geschützfeuer erkennen. Sicher war man auch hier keineswegs, denn Bomben und Granaten hatten schon häufig das noch vor mir liegende Schiltigheim erreicht, und auf der Chaussee selber wäre ich beinahe gefallen, weil ich in ein von einer Bombe aufgewühltes Loch gerieth.

Die ganze Nacht hindurch feuerten noch unsere, wie die feindlichen Geschütze mit vollem Ingrimm gegeneinander, als ob die Festung an gar keine Uebergabe denke, und doch wehte am nächsten Nachmittag um fünf Uhr schon die weiße Fahne vom alten Münster, und Straßburg – war wieder eine deutsche Stadt!


Blätter und Blüthen.

Am Ziel. Straßburg war unser! Am 27. September Abends hatte sich die Festung übergeben und schon der Morgen des nächsten Tages fand mich in den Parallelen, die so wacker und brav gegen die Wälle vor ihnen gearbeitet hatten. Wie die Mannschaft, so hatten auch die vortrefflichen Geschütze ihre ganze Schuldigkeit gethan, und jetzt, da das lange ersehnte Ziel erreicht war, umgaben mich, wenn ich zu einer Batterie trat, die braven Kanoniere und erzählten leuchtenden Auges von dem, was ihre ehernen Pflegebefohlenen geleistet. Sie hatten fast durchweg Blumensträuße in die Zündlöcher der Geschütze gesteckt; die Wachen trugen oben in den Mündungen der Gewehrläufe Sträuße; ja bei den ebenfalls blumengeschmückten Riesenmörsern, welche Sprenggranaten von hundertvierundsechszig Pfund schießen, versicherte mich der Obergefreite, indem er das blanke Ungestüm hätschelte und streichelte, die Kugeln seien so sanft dahin geflogen „wie eine Taube“. Eine schöne Taube das!

Wie vollendet gut übrigens die deutschen Geschütze bedient worden sind, mag von hundert Beispielen hier nur eins bezeugen.

In einer württembergischen Vierundzwanzigpfünderbatterie in der ersten Parallele bei Schiltigheim standen am Morgen des 27. September mehrere höhere preußische Officiere und sprachen ohne Rückhalt ihre volle Anerkennung über die Raschheit und Genauigkeit der Schüssse aus, durch welche eine gegenüberliegende französische Batterie zum Schweigen gebracht worden war. In dem Augenblicke sah einer der Herren durch sein Glas, daß auf dem Festungswalle der Versuch gemacht wurde, eine neue Kanone anstatt der zerschmetterten aufzufahren. Der Oberfeuerwerker sah seinen Hauptmann an, dieser nickte lächelnd, die Officiere legten sich mit ihren Gläsern in die Luken, nach zwei Secunden krachte der Schuß, und Kanone und Bedeckungsmannschaft auf dem jenseitigen Walle kollerten übereinander und verstummten für immer.

Aus dem Labyrinth der im Zickzack die drei Parallelen verbindenden Laufgräben gelangte ich zu den nun berühmt gewordenen Lünetten 53 und 52; beide Werke sind zwei bewaffneten Riesenfäusten vergleichbar, welche von den zwei inneren Hauptwällen aus dem Angreifer entgegengestreckt worden waren. Die Kraft und die Fülle der deutschen Kugeln hatten aber die Steinwehren dieser Vorwerke zu Mehl zerrieben und ihre Bewohner völlig daraus vertrieben. Ein paar Arme voll Sandsäcke in den Canal geworfen, bildeten nebst den Trümmern einer Mine bei Lünette 53 die Brücke; eine Reihe leerer Fässer mit aufgelegten Brettern bei Nr. 52; im Laufschritt hinüber, die Erde durchwühlt, die Angriffsseite umgestülpt gegen die zwei inneren Wälle, eine ganze Reihe von kleinen Mörsern neben- und übereinander hier aufgepflanzt: und am andern Morgen spieen die deutschen Siebenpfünder ihren Eisenhagel den Feinden zu, und über sie weg krachten aus den Batterien der ersten Parallele die brescheschießenden Kugeln.

Eine etwas mühsame Wanderung über die Trümmer der Lünetten brachte mich auf den zweiten Wall, dicht vor das Steinthor, d. h. an die Stelle, welche die Spitze des von den drei hintereinander liegenden Parallelen gebildeten Angriffskeils gewesen war. Beim Zeichnen dieses interessanten Punktes hatte ich eine Masse von Zuschauern mir gegenüber, meistens Rothhosen. Ein Hornsignal rief sie aber bald ab, wenige Zeit nachher erschienen Pickelhauben auf den Wällen und für die seitherigen Vertheidiger derselben hatte nun die schwerste Stunde geschlagen, die der Waffenstreckung.

Roth schien die Sonne durch den immer noch qualmenden Staub, welchen der fast drei Stunden dauernde Zug der Gefangenen aufgewühlt hatte, da kehrte ich noch einmal zurück zu den Laufgräben und ging im ersten derselben bis hinüber nach Königshofen, wo die beiden Riesenmörser standen, die zwei „Oberhochzeitbitter des Herrn v. Werder bei der Jungfrau Straßburg“, wie sie scherzweise in der Batterie genannt wurden. Ich wollte das Conterfei dieser beiden im Skizzenbuch für die Leserwelt der Gartenlaube haben – da sind sie. Die fröhlichen Kanoniere hatten von einem benachbarten, in Trümmer geschossenen Hause eine blaue Tafel mit weißer Schrift herübergeholt und an der Pulver- und Kugelkammer aufgehängt; „Niederlage von Feuerspritzen“ stand deutsch und französisch auf derselben.

Am nächsten Tage gelang es mir, im „rothen Haus“ am Kleberplatz ein hübsch gelegenes Zimmer, allerdings mit zerschmetterten Scheiben, zu bekommen; als ich gegen Abend ein wenig von den außerordentlichen Eindrücken, die ich im Laufe des Tages empfangen, dort ruhen wollte und vor das Fenster trat, winkte die über das Häusermeer aufragende Münsterpyramide, überglänzt vom röthlichen Abendsonnengolde, so einladend zu mir herüber, daß ich sogleich wieder aufsprang und eine Viertelstunde später auf der Plattform der Münsterterrasse stand; noch rosiger und luftiger glänzte aber dort die herrliche Pyramide, ich mußte hinauf und stieg und schraubte mich durch die engen Wendeltreppchen bis zur oberen Krone; dort lag ein besonders hübsch gemeißeltes Stück des rothen Sandsteines, aus welchem die Kirche gehauen ist, und dicht daneben eine halbe deutsche Zwölfpfündergranate. Ueber dem Eisenleiterchen am Thurmschluß angekommen und durch eine Lücke zum Kreuz mich hinausbiegend, erkannte ich sogleich die Herkunft dieser beider Stücke: Ein französischer Officier hatte, scheint es, während der Belagerung die Thurmspitze ebenfalls erstiegen, um hier nach den Arbeiten der Belagerer auszuschauen; er war aber bemerkt worden, eine deutsche Granate nahm den vierhundertfünfunddreißig Fuß hohen Flug und traf so sicher, daß sie die Hälfte des Kreuzstammes durchschlug, an den Querast desselben prallte, das äußerste Ende desselben abschlug und nun ruhig auf der obersten Krone am Fuße des Kreuzsockels liegen blieb. Der Officier mag die Ueberzeugung mit sich genommen haben, daß man auch in den höchsten Regionen jetzt nimmer sicher sei bei Spionierdiensten, welche gegen Deutschland gerichtet sind; ich aber nahm die Granathälfte und das Kreuzstück, sauber in meinen Plaid gewickelt, mit fort, nachdem ich noch oben die Zeichnung der beiden Lünetten und Wälle bei dem Steinthor gemacht, und mit meinem Taschenmesser ein Stück der weißen Uebergabsfahne wegannectirt hatte.

Am dritte Tage nach der Uebergabe hatte Straßburg schon wieder beinahe sein gewöhnliches Ansehen; die Menschenmenge fluthete auf und ab, alle Läden waren offen, nur hin und wieder huschte noch scheu ein französisches Blaßgesicht mit dunkeln Augen und Haaren (selbst Damen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 739. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_739.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)