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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

von Straßburg, daran dachte, und wie wäre dies Kunstwerk, das dem ganzen Deutschland gehört, dann von französischen Kugeln mißhandelt und zerstückelt worden! Nein, die Verhältnisse haben sich in jetziger Zeit total geändert – Festungen sind nicht mehr das, was sie sein sollen, und für was sie von Anfang an bestimmt waren, denn man kann sie wohl noch eine Zeit lang vertheidigen, aber ihre Insassen nicht mehr schützen. Müssen Festungen bestehen – und daran zweifelt Niemand –, dann soll man sie abgesondert von friedlichen Wohnungen anlegen. Der Commandant wird dann auch nie in die peinliche Lage kommen, zwischen seiner Pflicht und seinem menschlichen Gefühl zu schwanken – er darf seine Mauern bis auf den letzten.Stein vertheidigen, ohne daß das Wimmern von Frauen und Kindern zu ihm dringt, und selbst die Vertheidiger entmannt. In früheren Jahrhunderten genügte, wie gesagt, eine starke Mauer, um einen Platz fest zu machen und den damals unvollkommenen Geschützen Trotz zu bieten; jetzt ist das nicht mehr der Fall. Unsere Geschütze werfen Kugeln und Sprenggeschosse in ganz unglaubliche Entfernungen, ja werden noch immer verbessert, so daß der frühere Schutz, den die Festungen gewährten, in das gerade Gegentheil umgeschlagen ist. Bei jedem ausbrechenden Kriege sind gerade die in einer Festung Wohnenden am allermeisten gefährdet, und wir werden es in allernächster Zeit in Frankreich erleben, daß Paris z. B. keine größere Thorheit begehen konnte, als sich mit Forts und Wällen zu umgeben.

Wir befanden uns hier am äußersten Ende der auf dieser Stelle ausgeführten Gräben, und ich konnte dort genau beobachten, wie sich die Leute immer weiter in den Boden hineinwühlten, um der bedrohten Stadt näher und näher zu rücken. Der Laufgraben zog sich nach links in die Höhe und auf offenen und hohen Boden hinaus, aber gebückt standen hier zwei Mann mit Schaufeln, gruben aus Leibeskräften, und warfen dann die Erde stets rechts hinauf, wodurch sie mit jedem Spatenstich die Grube tiefer machten und den Wall zugleich erhöhten. Allerdings entgingen diese vorgeschobenen Arbeitspunkte dem Feinde nicht, und er richtete mit Vorliebe sein Chassepotfeuer darauf, aber es zeigte sich auch kein Kopf über der Umwallung, und langsam doch sicher rückten die Erdarbeiten solcher Art vor.

Von diesen Vorschanzen aus hatte man übrigens einen vortrefflichen Ueberblick über Straßburg, aber es war ein weit mehr wehmüthiges als erhebendes Gefühl, die arme mißhandelte Stadt da drüben zu beobachten. Ununterbrochen zischten dabei die Bomben und Granaten hinüber und zeigten durch den aufsteigenden Dampf und Staub, wie sicher sie gezielt gewesen und wie unfehlbar sie stets explodirten. Uebrigens unterhielt der Feind, hinten von seinen Wällen vor, auch ein sehr lebhaftes Feuer gerade auf diesen Punkt, ohne daß er jedoch vielen Schaden angerichtet hätte. Einzelne Verwundungen kamen aber trotzdem vor, und wirklich sicher durfte man sich nirgends fühlen.

Eine Stunde hatten wir etwa an diesen Stellen zugebracht, und ich konnte mich in der Zeit wahrlich nicht satt sehen an den malerischen Gestalten unserer wackeren Soldaten, wie sie da, jeden Punkt an der schrägen Wand benutzend um ihr Gewehr aufzulegen, hingen, und nie auf das Gerathewohl ihren Schuß hinausfeuerten, wie es die Franzosen unausgesetzt thaten, sondern immer erst ihr Ziel zu fassen suchten. Als wir zurückgingen und dicht vor den Lunetten den durch die Planke nur scheinbar geschützten Graben wieder passirten, lag Blut im Weg.

„Ist Jemand getroffen?“

„Mann durch den Kopf geschossen – haben ihn eben weggetragen!“ und mahnend zischten dabei ein paar Chassepotkugeln über unsere Köpfe weg.

Jetzt wurde die Ablösung vorgenommen. Die jetzige Wache hatte vierundzwanzig Stunden in den Laufgräben zugebracht und zog sich nun an den neu Einrückenden hin durch die engen Gänge hinaus, um einen wenigstens etwas sicherern Posten zu beziehen. Die Geschütze donnerten dabei ununterbrochen fort, und unaufhörlich rasselten Bomben hoch durch die Luft den schon zusammengeschossenen Mauerwerken zu. So lange es dabei hell war, gehörte ein gutes Auge dazu, den matten Nebelstreifen zu erkennen, den sie da oben am blauen Himmel zogen, aber die Sonne neigte sich mehr und mehr zum Horizont, und ich war fest entschlossen, den Abend hier in den Laufgräben abzuwarten; Bis dahin war auch aus Straßburg selber heraus wenig mit schwerem Geschütz gefeuert worden. Es schien fast, als ob sie dort nicht so sehr mit schwerer Munition versehen wären. Wie es aber dunkel wurde, begann von dort das Feuer, und der Grund wurde mir bald erklärt. In der Dunkelheit versahen unsere Truppen nämlich ihre Geschütze mit Munition – Wagen auf Wagen folgte dabei der Chaussee, und auf den jetzt trockenen und harten Wegen hörte man das Rasseln derselben auf weite Entfernung. Die Wagen fuhren aber auch in scharfem Trab, denn sie wußten recht gut, daß die Belagerten sofort ihr Feuer darauf richteten, und daß die Führer der Transporte die Zeit abzukürzen wünschten, in der sie sich auf der offenen, den Kugeln völlig ausgesetzten Landstraße befanden, läßt sich denken – und jetzt wurde der Anblick wahrhaft wundervoll. Nicht mehr ungesehen sausten die Bomben, mit einem Geräusch, das fast selber einem rollenden Wagen glich, durch die Luft, sondern der glühende Zünder daran bezeichnete die Bahn, die sie nahmen, mit einem Feuerstreif, und zugleich konnte man dabei deutlich die wirbelnde Drehung erkennen. Sie kamen aus jenen furchtbaren Geschützen, den gezogenen Mörsern, von denen zwei – ich glaube die ersten, die je bei einer Belagerung verwandt wurden – in Gebrauch waren.

Und wie das jetzt knatterte, knallte, zischte und brummte! Chassepotkugeln machten ein Geräusch, als ob man sich vor einem Bienenschwarm befände, und es verging sicher keine Minute, in der man nicht acht oder zehn vorüber pfeifen hörte. Gingen sie ziemlich hoch, so verrieth ein länger anhaltendes Pfeifen die Bahn, die sie nahmen; fuhren sie dicht und unmittelbar über die Wallgräben fort, so war es mit einem kurzen, scharfen „sst“ abgethan. Zu verführerisch blieb es dabei, dem Flug, den die feuerausstrahlenden Bomben nahmen, mit den Augen zu folgen und zu beobachten, wo sie einschlugen, aber man mußte zu diesem Zweck den vollen Kopf über der Brustwehr zeigen, und Obrist-Lieutenant v. Osten-Sacken wollte endlich nicht mehr dulden, daß ich oben blieb.

Shrapnels und Granaten kreuzten sich dabei unaufhörlich, aber das unheimlichste Geräusch von Allem machten die zurückfahrenden Bombensplitter, die, an dem Wall zersprungen, theilweise wieder über die Laufgräben sausten. Es war ein tief brummender, modulirender Schall, wie gerade der Wind in die ungleichen Stücken griff, diese aber wurden um so gefährlicher, als die von ihnen genommene Richtung unberechenbar blieb. Seitwärts, schräg, gerade zurück dröhnten sie, bald da, bald dorthin, und wo sie dann zufällig einschlagen, bereiten sie unrettbar Verderben.

Die Besatzung der Laufgräben selber durfte sich aber nicht unnöthiger Weise exponiren, obgleich sie sich lange an das Kugelpfeifen gewöhnt hatte und es wenig genug beachtete. Nur ein Doppelposten stand an jeder vorspringenden Ecke, den Kopf, so gut es eben gehen wollte, durch Sandsäcke geschützt, und wachsam umherspähend, ob der Feind nicht doch etwa, im Dunkel der Nacht, einen Ausfall versuchen sollte. Er hätte, wenigstens wenn er unbemerkt ankam, bösen Schaden anrichten können. Die Belagerten schienen aber doch zu etwas Derartigem die Lust verloren zu haben und nicht daran zu denken, ihre wenn auch zerschossenen Mauern zu verlassen. Das Feuer von der Stadt aus wurde allerdings, je deutlicher das Rollen der Munitionscolonnen gehört werden konnte, desto heftiger, und die Chassepot-Schützen hatten – wie das ja auch schon selbst im offenen Feld beobachtet ist – Körbe mit Patronen neben sich stehen, in die sie nur zum Laden hineingriffen, um die ganze Nachbarschaft mit Blei zu bestreuen. Es ist unglaublich, welch’ rasende Munition die Franzosen in diesem Krieg vergeudet haben.

Unter dem Kugelpfeifen hatten wir es uns indessen ganz gemüthlich gemacht, und zwar vor einer Ecke, in welcher starke Balken einen ziemlich engen Schlafraum überdeckten und ihn dadurch wenigstens gegen ausschlagende Granaten oder Bombensplitter schützten. Einer vollen Bombe würden sie jedoch kaum gewachsen gewesen sein. Hier tranken wir vor allen Dingen einen heißen Kaffee, den der Bursche des Obristlieutenants gebracht, verzehrten ein delicates kaltes Huhn, und setzten dann einen tüchtigen Cognac darauf. Die Herren lebten hier überhaupt gar nicht schlecht, da ihnen Deutschland so nahe lag, und sie von dort rascher und leichter mit Vorräthen versehen werden konnten, als die armen Teufel, die weit ab in ihren oft versteckten und zerstreuten Bivouacs lagen. Und wie schmeckte das, während uns Freund wie Feind dabei mit einem brillanten Feuerwerk versorgte! Es ist wahr, die Unterhaltung stockte manchmal, wenn ein grober Bombensplitter mit dumpfem Baßton angebrummt kam, und man lauschte dann wohl vorsichtig

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 738. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_738.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)