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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Straßburg, und besonders den Münster, ganz deutlich vor sich hatte, und hier wurde wieder von beiden Seiten scharf herüber und hinüber geschossen. Die Sandsäcke dienen da zu Observationsplätzen, schützen aber auch nicht in allen Fällen, denn auf diese Entfernung schlägt eine Chassepotkugel, wenn sie den Sack nicht gerade im Centrum trifft, ebenfalls durch. So war am vorigen Tage ein Soldat gerade vor die Stirn getroffen, und zwar hatte die Kugel erst den Sandsack etwas tief, durchbohrt und dann den Mützenschirm getroffen, dadurch aber glücklicher Weise nur noch Kraft genug behalten, den Getroffenen hintenüber zu werfen, der diesmal mit einem Tag Kopfschmerzen davon kam.

Welch ein eigenthümlicher Anblick das war, sich so dicht, ja fast unmittelbar vor der belagerten Stadt zu wissen, während die schweren Sprenggeschosse über unseren Köpfen hin- und herflogen, und Wallbüchsen- wie Zündnadelkugeln die Privatconversation zwischen den feindlichen Posten unterhielten! Und da drüben die

Die Lunetten 52 und 53 vor Straßburg.
Nach der Natur vom Thurm des Münsters aus aufgenommen von R. Heck.

I Erster Wall. – II Zweiter Wall. – III Steinthor. – IV Steinstraße. – V Klosterweg (Verbindung des zweiten Walls mit Lunette 53) – Nr. 52 und 53 Die beiden Lunetten. – VI Dritter (äußerster) Wall. – VII Dritte Parallele. – VIII Zweite Parallele. – IX Erste Parallele. – 17 Laufgräben. – X Verbindungsgruben zwischen Schiltigheim und Königshofen. – XI Rotunde der Eisenbahn. – XII Schiltigheim. – XIII Nonnenkloster, Sanitätsspital. – XIV Kirchhof St. Helena. – XV Landstraße nach Hagenau. – XVI Bahn nach Paris.

belagerte Stadt! Der Münster lag so nahe, daß ihn jede Zündnadelkugel mit Bequemlichkeit hätte erreichen, ja einen bestimmten Punkt hätte treffen können – die beschädigten Stellen an der äußern Steinhauerarbeit waren deutlich sichtbar, aus dem Dachstuhl ragten nur noch einzelne Sparren empor –, und die Häuser dazwischen! – Großer Gott! da sah man freilich nur noch einzelne ausgebrannte Mauern stehen, Schutthaufen und Ueberreste friedlicher Gebäude, die Spuren von Fenstern, welche den Platz anzeigten, wo früher glückliche friedliche Menschen gewohnt.

Festungen! – Es hatte früher und in vergangenen Jahrhunderten einen Sinn, als friedlicher Bürger in eine Festung zu ziehen, um gegen die Vorfahren unserer „edeln Geschlechter“ geschützt zu sein, die als Raubritter die Welt durchzogen und besonders die Landstraßen unsicher machten. Damals und mit den schlechten und einfachen Geschützen bot eine starke Mauer hinlänglichen Schutz gegen die herumlungernden hochadeligen Wegelagerer, und der Kaufmann wußte in solchen befestigten Plätzen seine Güter sicher und unangreifbar. Wie aber hat sich das schon in jetziger Zeit geändert, und wie wird es sich noch ändern, wo man auf gar nichts weiter sinnt, als die Mordwerkzeuge und Geschütze derartig zu verbessern, daß ein Widerstand dagegen fast gar nicht mehr möglich ist! Ich gebe zu, daß es für die Besatzung einer Festung in Friedenszeiten außerordentlich angenehm ist, Theater, geselligen Verkehr, Bibliotheken, Kunstschätze, zoologische Gärten und alle dergleichen Dinge, die der Bürgerstand anschafft und unterhält, haben und benutzen zu können, aber wer schützt das Alles bei einem ausbrechenden Kriege und bei einer Belagerung? Kein Mensch. Die Vergnügungsorte und schattigen Spaziergänge werden erbarmungslos rasirt, die Gebäude den feindlichen Bomben und Granaten preisgegeben, und die Privathäuser, Theater, Bibliotheken, Clubs und sonstige Vergnügungs- und Erholungsorte, wenn irgend möglich, von dem Feind in Brand oder in Trümmer geschossen.

Nein! – Ich gebe zu, daß Festungen als Waffenplätze und Depôts von Munition und Lebensmitteln noch ebenso nöthig sind als in früheren Jahrhunderten, aber dann soll man auch nur rein militärische Stationen aus ihnen machen, und kein friedlicher Bürger hat unter den jetzigen Verhältnissen etwas in ihren Mauern zu thun oder zu suchen. Langweilt sich die Besatzung in der Zwischenzeit, so ist das ihre Sache, aber mit der Verbesserung, ja man könnte sagen der Vervollkommnung der Geschütze und

Mordgeschosse handelt eine Regierung wahrhaft gewissenlos, wenn sie den ruhigen Bürger zwischen ihre Geschütze einkeilt, und von ihm verlangt, seinen Wohnort an solchen gefährdeten Stellen zu nehmen. Nehmen wir Köln! Die ganze deutsche Nation hat beigesteuert, um den prachtvollen und herrlichen Dom aufzubauen, und denken wir uns, daß ein französisches Heer gegen die alte Stadt vorgedrungen wäre und sie beschossen hätte. Der Commandant würde so wenig an eine Uebergabe gedacht haben, wie Bazaine in Metz daran denkt, oder wie Uhrich, der Commandant

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 736. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_736.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)