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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

„Um solch einen Neger?“ wiederholte Anna empört. „Hast Du vergessen, was dieser Neger für mich gethan hat? Hätte er nicht auch sagen können, als ich da oben hing in einer Angst, die kein Mensch mir nachfühlen kann: ‚Um solch ein Kind soll ich mein Leben wagen?‘ Und hätte mich herabstürzen lassen können, daß ich zerschmettert wäre? O, wenn Du wüßtest, wie mir war, als ich meine fast erlahmten Arme statt um den sinkenden Balken um diese treue schützende Brust schlang, Du würdest begreifen, daß ich ihm beistehen muß bis zum Tode, wie er mir beistand!“

„Anna!“ sagte Victor, sie in größter Unruhe umschlingend. „Anna, laß Dich beschwören, höre mich doch! Hast Du nicht auch gegen mich Pflichten, habe ich nicht dasselbe für Dich gethan wie Frank, nicht ebensoviel Recht an Dich wie er?“

„Nein, Victor, nein – ich bin nicht undankbar, aber das hast Du nicht. Du hast mich besitzen wollen, hast für das Leben, das Du wagtest, mein ganzes Leben eingefordert! Frank hat mich nicht für sich gerettet, hat mich nicht zum Lohn für seine That begehrt, ich war ihm nichts als ein Kind, das er auf den Armen getragen und behütet hatte wie ein treuer Diener. Er klebte sich für mich mit seinem Blute an die nackte Mauer an, vollbrachte, was kein anderer Mensch vollbrachte, und als er mich, den Preis seiner furchtbare That, errungen hatte, legte er mich meinen Eltern in die Arme und sagte: ‚Ich habe nur meine Schuldigkeit gethan!‘ O Victor, gegen diese bescheidene Größe kommst Du nicht auf! Du und Vater und Mutter, Ihr Alle fordert etwas von mir, macht ein Recht an mich geltend – er nur, er, der das Schwerste für mich gethan, erhebt keinen Anspruch an mich! Deshalb gebe ich ihm freiwillig, was er verdient, und was ich freiwillig geben kann, das gebe ich um so freudiger. Ach, daß ich Dir das erst Alles erklären muß, und derweil wir hier schwatzen, haucht die edle Seele vielleicht den letzten Athemzug aus. Komm, Victor, lieber Victor, laß uns eilen!“

„Wie – auch ich soll mitgehen? Willst Du auch mich der Ansteckung aussetzen?“

„Victor,“ rief Anna, „vor wenigen Tagen hast Du mit Wind und Wellen gekämpft, und jetzt fehlt Dir’s an Muth, eine Gefahr mit der zu theilen, für die Du sterben zu können schwurst.“

„Beste, ich will lieber mit den Elementen kämpfen als mit solch einer Krankheit, die fürchte ich mehr als Alles. Ich kann nun einmal nicht dafür, der Ekel ist unüberwindlich – ich würde sicher der Ansteckung erliegen! Wozu soll ich mich denn aussetzen?

Wenn ich Dir etwas nützen könnte, wäre es etwas Anderes; aber gegen Herrn Frank habe ich doch weiß Gott keine Pflichten, die mich vergessen machen dürften, daß ich einer alten Mutter einziger Sohn bin!“

Anna war bleich, ihre großen blauen Augen ruhten durchbohrend auf ihm. „Du bist doch ein Feigling!“ – Sie stieß seinen Arm von sich und ging. Er eilte ihr in größter Angst nach.

„Anna, Anna, höre mein letztes Wort! Wenn Du wirklich zu dem Mohren gehst, um Dir jene gräßliche Krankheit zu holen, dann sind wir Beide geschieden. Du hast die Wahl zwischen mir und dem Neger, – nun überlege, wen wirst Du wählen?!“

Anna maß Victor von Kopf bis Fuß mit einem unbeschreiblichen Ausdruck. „Frank!“ sagte sie mit so harter deutlicher Stimme, daß es durch die Hausflur wiederhallte.

Sie war verschwunden und Victor sah ihr wie vom Donner gerührt nach. Das hatte er nicht gedacht.

Athemlos erreichte Anna die Inspectorswohnung. „Lebt er noch?“ rief sie der Magd zu, die mit einem Bündel am Arme aus dem Hause lief.

„Ja – aber wie! Ich gehe fort, ich will’s nicht auch bekommen.“ Sie eilte von dannen.

Einsam und öde lag das sonst so freundliche Haus da. Weit und breit war kein Mensch mehr zu sehen; die Wohnung Franks war jetzt zu einem Schreckensort geworden, den alles Leben floh.

„Sie verlassen Dich Alle, armer Frank,“ rief es in Anna’s Herzen; „aber ich komme!“

Sie stürmte vorwärts und riß die Thür auf. Frank wand sich in den fürchterlichsten Krämpfen, seine Frau kniete am Boden neben ihm und weinte laut. Aber zu Häupten des Lagers saß still und ruhig ein treuer Pfleger, den nichts von dem Bette des Kranken schreckte.

„Frank, lieber Frank!“ rief Anna und warf sich in die Arme des Negers.

Da stieß Frank einen gellenden Freudenschrei aus. „Unser Kind, unser Kind kommt zu mir, jetzt kann ich besser sterben!“

„Frank,“ sagte Anna, „Du wirst nicht sterben, so lange der da“ – sie deutete auf Alfred – „bei Dir ist! Der wird Dir helfen, ich weiß es gewiß, denn der kann Alles!“

Und sie machte sich plötzlich von Frank los und trat zu Alfred. Sie sah ihn lange tief und innig an. „Gelt, Du wirst ihm helfen, Du treuer, muthiger Alfred!

(Fortsetzung folgt.)


Zuflucht unter der Erde.

Aus einem Briefe unseres Feldmalers F. W. Heine.
Courtry, gegen Ende September 1870.

Soeben komme ich von einer Streifpartie der ersten Compagnie des dreizehnten (königlich sächsischen) Jägerbataillons zurück, die mir doppelt unvergeßlich sein wird, weil sie uns nicht blos auf’s Wasser, sondern sogar unter die Erde, in ein ganz romantisches Höhlenleben führte. Von Letzterem habe ich in der Abbildung ein Stück darzustellen versucht.

Was zunächst die Wasserpartie betrifft, so erhielt am 19. September die genannte Jägercompagnie den Befehl, die Marne von Meaux aus in der Richtung nach Paris bis Pomponne nach Fahrzeugen abzusuchen und alles Aufgefundene dieser Art nach Pomponne zu transportiren. Der ganze Montag verging über dieser nicht ganz leichten Expedition, der ich mich natürlich sofort angeschlossen hatte, und es schien beinahe schon, als hätten wir einen vergeblichen Gang gemacht; aber noch am Abend glückte es uns, in der Nähe des Dörfchens Carnetin eine Baggermaschine und vier große mit Blech ausgeschlagene Kähne aufzuspüren, welche letzteren angebohrt und versenkt waren. Die Hebung dieser Schätze mußte auf den folgenden Tag verschoben werden. Am Dienstag früh Punkt halb Acht rückten wir zu diesem Behufe aus unserem Quartier Annet unter dem Commando des Hauptmanns Walde aus. Es war ein herrlicher Herbstmorgen, der für uns nicht unwesentlich noch dadurch verschönert wurde, daß auch der Marketenderwagen dem Zuge folgte. Die Hebungsarbeit ging gut von Statten. Bis Mittag waren zwei der Kähne flott; ein dritter, tiefer versunkener kostete mehr Anstrengung, wurde aber doch endlich mit kräftigem Zerren der Mannschaft an den Seilen und unter fröhlichem Gesange zu Tage gefördert. Der vierte, mit Kohlen beladene schwamm noch. Wir banden nun je zwei Stück zusammen, errichteten einen Mast auf jedem und konnten kurz nach drei Uhr unsere Fahrt stromabwärts auf dem herrlichen Flusse und bei schönstem Wetter beginnen. Wer von uns hätte sich’s vor wenigen Monaten etwa in Meißen an der Elbe, das Vielen der Dreizehner wohlbekannt ist, träumen lassen, daß wir so bald auf der Marne „bomätscheln“ würden! Zu den vielen gesprengten Brücken, die wir auf unserer Fahrt passirten, gehörten auch die beiden, den Lesern der Gartenlaube durch meine Abbildung (Nr. 42) bekannten im Städtchen Lagny, das wir gegen sechs Uhr Abends erreichten. Wir sahen noch die Wirkung der Brückensprengung an den Gebäuden des Städtchens; sämmtliche Fenster waren eingeschlagen und große Löcher und Sprünge in das Mauerwerk gerissen. Hier lag württembergische Infanterie als Besatzung, deren Regimentsmusik gerade einige schöne Märsche aufspielte. Unsere Durchfahrt zwischen den Trümmern der zweiten, steinernen Brücke habe ich in dem bezeichneten Bildchen gleich mit dargestellt; sie war nicht leicht, aber sie gelang; wir nahmen von Lagny noch ein fünftes Boot mit und landeten glücklich mit unserer Flotille in Pomponne, als die Nacht, und zwar eine prachtvolle Sternennacht, schon völlig eingebrochen war. Trotz alledem mußten wir nun wieder über Lagny zurück nach unserem Quartier Annet marschiren.

Schon auf dem Wege nach Lagny erfuhren wir von einigen Ulanen und Württembergern, daß sie einer Schaar Nationalgarden

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 728. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_728.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)