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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


zu schießen; allein da die Franzosen sich immer wieder auf demselben zeigten und von hier in alle Werke der Belagerer sehen konnten, so widerstanden die Artilleristen nicht immer der Versuchung, ihre Beobachtungen durch eine Kugel zu unterbrechen. – Das Schiff ist unversehrt, nur sind einige Chorstühle abgebrannt und der obere Theil der Orgel ist zerstört; allein die berühmte Uhr ist nicht beschädigt. Die Leute, welche Ansichten vom Münster verkauften, machten brillante Geschäfte.

Der Verlust der Belagerer beläuft sich an Todten und Verwundeten, leicht Verwundete mitgerechnet, auf sechshundert Mann. Von den Belagerten fielen fünfhundert Soldaten, gegen zweitausend waren verwundet; von den Bürgern kamen vierhundertachtzig um und verwundet wurden auch gegen zweitausend, die größere Anzahl Weiber und Kinder. Die Zahl der Obdachlosen ist ungeheuer.

Wer jetzt nach Straßburg kommt, wird es bereits sehr verändert finden, denn man hat sogleich angefangen, aufzuräumen. Es wimmelt in den Straßen von Menschen, sowohl Einheimischen wie Fremden; auch befinden sich noch eine Menge französischer Verwundeter und viele Officiere in der Stadt. General Werder hat befohlen, daß die Letzteren (auf Ehrenwort entlassen) bis zum 6. October abreisen sollen.


Die beiden gesprengten Brücken in Lagny.
Nach der Natur aufgenommen von unserem Specialartisten F. W. Heine.


Im Rothen Hause wimmelt es von Officieren, die sämmtlich über die enormen Preise klagen, deren Erhöhung nach der Belagerung so wenig Grund hat, daß General v. Werder sich bewogen gefunden hat, dagegen einzuschreiten. Obwohl es vorgekommen ist, daß drei Preußen von französischen Soldaten ermordet wurden, so habe ich doch von Seiten der Bürgerschaft nicht die geringste feindselige Demonstration gesehen.

Der Weg nach Kehl führt in der Nähe der Citadelle vorbei, die ein Trümmerhaufen und im jetzigen Zustande für militärische Zwecke gänzlich unbrauchbar ist. Die auf der andern Seite des Rheins, in Kehl, aufgestellten badischen Mörser haben sie gänzlich zerstört. Auf einer fliegenden Brücke gelangte ich über den Rhein, da die schöne eiserne Brücke theilweise demolirt ist. Der neue Bahnhof in Kehl und die angrenzenden Stadttheile in ziemlich beträchtlicher Entfernung sind ebenso zerstört, wie die Vorstädte von Straßburg, und eine Menge von Menschen sind dadurch obdach- und erwerbslos geworden. Die Deutschen werden auch ihnen zur Hülfe kommen.[1]




Aus eigener Kraft.

Von W. v. Hillern geb. Birch.

(Fortsetzung.)


26. In Sturm und Regen.

„Ich fürchte, Du fängst die Suche mit Anna verkehrt an,“ sagte Herr Hösli, als er mit seiner Frau beim Nachmittagskaffee saß. „So, wie ich Anna von Kindheit auf kannte, hatte nichts größeren Reiz für sie als das Verbotene. Sie hat sich von dem Augenblicke an erst recht für den jungen Grafen interessiert, als sie sah, daß wir ihn von ihr fern zu halten wünschten. Hätten wir sie gewähren lassen, sie wäre ruhig und gleichgültig geblieben; so aber hast Du ihren Trotz aufgestachelt und sie erst recht auf seine Seite getrieben.“

„Nach dieser Theorie dürften wir das Kind ja gar nicht mehr wissen lassen, was wir wünschen und nicht wünschen. Wir müßten ihr nachsehen, wohin sie ihren Lauf nimmt, so unthätig und machtlos, wie man dem vom Bogen geschossenen Pfeil nachblickt. Wahrlich, das wäre denn doch eine sonderbare Art elterlicher Pflichterfüllung. Aber ich weiß schon, Du klügelst Dir immer etwas heraus, womit Du Deine Schwäche gegen das Kind beschönigen könntest.“

Herr Hösli lächelte. „Frau, das Kind ist recht und ist so ganz von unserem Schrot und Korn, daß wir sie ruhig gehen

  1. Eine zweite Schilderung aus Straßburg werden wir in unserer nächsten Nummer aus der vortrefflichen Feder des bekannten Schriftstellers Venedey bringen.
    D. Red.
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 701. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_701.jpg&oldid=- (Version vom 21.10.2019)