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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Im Lager unserer Heere.
Von A. v. Corvin.
Sechster Brief. Das zerstörte Straßburg.


Straßburg, 27. September.

Es war an dem in der Geschichte dieses Krieges für immer denkwürdigen 27. September, als ich in Begleitung und unter dem Schutze zweier preußischen Pionnierunterofficiere, die in der Umgegend für ihre Compagnien requirirt hatten und von denen der eine im Frieden der königliche Baumeister Klopsch und der andere der Architekt und königliche Hofzimmermeister Otto Gutzeit war, unbehelligt von den scharf ausschauenden und controlirenden Wachen bei Auenheim über den Rhein setzte und nun in der Frische eines klaren Herbstvormittags auf dem Rheindamme nach dem reizenden Ruprechtsau fuhr, wo die dort einquartierten Soldaten ein idyllisches Schäferleben zu führen schienen. Sie halfen den Bauern bei ihrer Arbeit und neckten sich mit den hübschen Mädchen. Von Feindschaft gegen die Soldaten bemerkte man nicht das Geringste. Wir fuhren auf der mittleren Schiffbrücke über die Ill und waren bald in Hönheim. Gutzeit beobachtete fleißig das Münster und schaute nach dem weißen „Fähnle“ aus, welches immer noch nicht erscheinen wollte. Statt dessen sah man in der Luft zerplatzende Shrapnels, die stets Dampfwolken hinterließen, welche wir zuerst für einen Luftballon hielten. – Die Pionniere sagten mit aller Bestimmtheit, daß der Sturm spätestens bis Sonntag stattfinden werde.

Ueber Nieder- und Mittelhausbergen kamen wir gegen ein Uhr nach Oberhausbergen, in welchem Dorfe wir nicht weniger als achttausend Mann einquartiert fanden. Das Wirthshaus war von der Wache eingenommen; ich nahm daher mit Dank die Einladung der beiden Unterofficiere an, ihr Quartier mit ihnen zu theilen.

Hier sah ich mir aus der Bodenluke Straßburg an, welches etwa drei Viertelstunden von hier gelegen ist und klar vor uns liegt. Man erkannte selbst die Details am Münster und sah deutlich die Häuser. Die Wälle erkannte man von dieser Entfernung nicht und Straßburg sah von hier aus wie eine offene Stadt. Noch unterhielten unsere Batterien ihr Feuer. Man konnte von meinem Standpunkte jeden Schuß sehen, und ich versprach mir für die kommende Nacht ein furchtbar schönes militärisches Schauspiel. Gegen halb fünf Uhr gingen Gutzeit und ich zu dem Lieutenant, welcher die Pionniercompagnie befehligte, um für mich von ihm die Erlaubniß zum Besuch der Parallele zu erbitten; allein mein Gesuch wurde abgeschlagen und mir gesagt, daß ich zum Besuch der Parallelen die Erlaubniß des Generals v. Werder haben müsse.

Indem ich eben mein Bedauern darüber ausdrückte, stürzte ein Soldat in’s Zimmer und schrie: „Die weiße Fahne weht auf dem Münster“ – man kann sich kaum eine Vorstellung von der Wirkung machen, welche diese Nachricht hervorbrachte. Alles stürzte aus den Quartieren auf die Straße und rannte nach dem Ausgange des Dorfes, von wo man das Münster am klarsten sehen konnte. Die Nachricht war zu gut, um gleich geglaubt zu werden, und die Fahne ließ sich schwer erkennen. Sie sollte auf der Gallerie links vom Thurme stecken, allein in diese Ecke schnitt gerade die Contour der am Horizont liegenden Berge, und nur ein sehr scharfes Auge konnte die ziemlich kleine Flagge erkennen. Indessen es war darüber kein Zweifel. Man hatte von der Parallele her ungeheures Jubelgeschrei gehört, und das Feuer war fast auf der ganzen Linie verstummt. Nur von einem Flügel her, von wo man die Fahne nicht gleich sehen konnte, brummte hin und wieder ein Schuß.

Adjutanten jagten wie wahnsinnig hin und her. Wer ein Pferd auftreiben konnte, sattelte es, und Officiere und Doctoren trabten der Festung zu; Jeder wollte in derselben der Erste sein. Die Garde-Landwehr mußte antreten und marschirte bald nach der Festung zu ab. Die Aufregung war unbeschreiblich. Manchen Landwehrmann sah man da mit gefalteten Händen und feuchtem Auge. Er gedachte an Weib und Kind daheim. „Nun wird’s Friede,“ rief einer dem andern zu, „und wir gehen zu Muttern.“ Mancher, dessen Gesicht noch vor wenigen Minuten sehr ernsthaft gewesen war, weil er die Nacht in die Parallelen sollte, vielleicht seine letzte Nacht, lächelte nun froh und sandte ein Dankgebet zum Himmel. Wir hörten bald, daß es noch Niemand gestattet sei nach Straßburg zu gehen, und wir Alle fügten uns in Geduld. Ich war vollkommen zufrieden, daß ich so gerade zur rechten Zeit gekommen war, und begab mich bei einbrechender Dunkelheit auf mein Observatorium. Rauch stieg noch von Straßburg auf, und hinter dem Dome, sowie links von der Stadt, brannte es lichterloh. Von allen Seiten her hörte man Gesang, meistens „Die Wacht am Rhein“, oder „Was ist des Deutschen Vaterland“.

Am folgenden Morgen erhielten die Truppen Befehl, sich um elf Uhr auf dem rechten Flügel der ersten Parallele aufzustellen, wo die Garnison von Straßburg die Waffen strecken werde. Obwohl eine solche Ceremonie selbst in den Zuschauern ein peinliches Gefühl hervorruft, so würde ich doch um keinen Preis dieses historische Schauspiel versäumt haben; es hat mir leid genug gethan, daß ich die Uebergabe der französischen Armee bei Sedan nicht gesehen habe.

Von Oberhausbergen führt ein gerader Weg nach Straßburg. Man kommt zunächst an eine außerordentlich große Brauerei, die einem Herrn Hatt gehört. Es ist ein Wunder, daß sie nicht abgebrannt ist, denn eine Unmasse von Bomben und Granaten sind in dieselbe hineingeschlagen. Hinter ihr fängt nämlich der zur ersten Parallele führende Communicationsweg an, ein tiefer Laufgraben, durch welchen die aus Oberhausbergen kommenden Truppen in die Belagerungswerke gelangten, und welcher besonders zur Zeit der Ablösungen stets wüthend beschossen wurde. Die Zerstörung in dieser Brauerei ist ungeheuer; allein manche Maschinen sind doch unversehrt geblieben. Im Keller steht das Bier fußhoch; jedoch eine Menge der dort liegenden Fässer sind noch gefüllt, und die Soldaten finden Mittel und Wege, sich aus denselben ihre Kochgeschirre oder irgend welche andere Gefäße zu füllen.

Auch ich erquickte mich durch einen Labetrunk. Der Eiskeller, der weiter hin am Wege liegt, ist ebenfalls abgebrannt, allein das Feuer war nicht genügend, das Eis zu schmelzen, noch das ausgelaufene Bier, es aufzulösen. Es liegt da in ungeheueren Schichten. Hinter der Brauerei links und rechts vom Wege liegt ein vorstadtartiges Dörfchen, Galgendorf, welches meistens aus leicht gebauten Fachwerkhäusern besteht, – oder vielmehr bestand. Es gewährt nun einen merkwürdigen Anblick, in seiner Art fast noch merkwürdiger als der, den man in Straßburg selbst hat. Diese Häuser sind geradezu der Erde gleich gemacht; allein die meisten stehen noch, und es ist jammerschade, daß kein Photograph bei der Hand war, um diesen Anblick festzuhalten: Jedes Haus ist von Kugeln, wie ein Sieb, durchlöchert, und manche brachten die wunderbarsten Effecte hervor. Die Dächer, die nicht zusammenstürzten, haben nicht einen gesunden Dachziegel. Als ich vorüberkam, sahen Soldaten aus allen Luken heraus, um von den hohen Punkten die interessante Ceremonie mit anzusehen. Die Leute, die jetzt zurückkommen, werden Mühe haben, ihre Häuser zu erkennen.

Der Weg führt rechts bei dem Bahnhofe vorbei, den man schon von Weitem an zwei großen runden, stehen gebliebenen Locomotiv-Häusern erkennt. Rechts davon ist zum Schutze des Bahnhofes eine Lünette erbaut, welche schon frühzeitig geräumt wurde. Es war das sehr günstig, denn ehe sie genommen war, konnte man die Belagerungsarbeiten kaum beginnen. Auf dem Walle der Lünette standen Gruppen zuschauender Officiere und auch eine rothjackige Schlachtenbummlerin. Noch mehr Officiere, Doctoren etc. standen auf dem Glacis und ich gesellte mich zu ihnen. Ueberall lagen Stücke von Bomben und Granaten umher.

Die Truppen, welche von verschiedenen Dörfern herkamen, bildeten zwischen dem Glacis der Lünette und dem Dörfchen Königshofen, welches weiter rechts liegt, ein großes Viereck. – Wir mußten ziemlich lange warten, denn die Brücke am Weißthurmthor (Porte Nationale) war von den preußischen Pionnieren noch nicht hergestellt. Endlich, gegen halb zwölf Uhr, kam die französische Garnison, siebenzehntausendeinhundertundzehn Mann und vierhundertundacht Officiere. Bei den deutschen Truppen angekommen, hielten sie. Die Franzosen sowohl wie die Preußen präsentirten das Gewehr; dann legten Erstere ihre Waffen nieder und stellten sich zum Abmarsch an der Festungsseite des Vierecks auf, während die Escorte sich an ihrer Seite vertheilte.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 696. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_696.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)