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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Die Gräfin Saltikoff lud die Pistolen.

„Nun schießen Sie, meine Damen!“ befahl Katharina die Zweite.

Die Fürstin spannte den Hahn ihrer Pistole und trat vor. „Ich liebe ihn so sehr,“ sprach sie auf das Höchste erregt, „daß ich ihn lieber todt zu meinen Füßen sehen will, als in den Armen einer Andern,“ und sie zielte auf Koltoff.

In dem Augenblicke jedoch, wo sie abdrückte, schlug ihr Fräulein von Narischkin mit einem Aufschrei der Verzweiflung den Lauf in die Höhe, so daß der Schuß in die Luft ging.

„Nein, nein,“ rief sie zugleich, „er darf nicht sterben, nehmen Sie ihn hin, meine Liebe ist zu groß, ich will ihn lieber verlieren als sein Blut fließen sehen!“

Die Fürstin jubelte. „Nun sind Sie mein, Koltoff,“ rief sie, „mein Sclave!“

„Gemach,“ sprach die Kaiserin, ihr die Hand auf die Schulter legend, „Fräulein Narischkin hat bewiesen, daß sie ihn mehr liebt, als Sie. Er gehört ihr.“


Zwei Wochen später feierte Koltoff seine Vermählung mit Sophia von Narischkin.




Aus den Kämpfen der Schlacht und des Lazareths.
Vom Verfasser des Artikels: „Bei den Kanonen“.
(Schluß.)


Nach einer Nacht, die immer noch schlimmer hätte sein können, als sie in Wirklichkeit war, brachte man mich zum Pfarrer des Dorfes. Wenn bei demselben auch schon sämmtliche Stuben voll Verwundeter lagen, so war dieser Aufenthalt doch ein Eldorado gegen den früheren. Mir nebst drei anderen Cameraden wurde ein Zimmer angewiesen. In das Bett des Pfarrers kroch sofort ein Camerad, zwei lagerten sich auf Strohsäcken und ich mußte mit Streu vorlieb nehmen.

Der Pfarrer hatte uns freundlich bewillkommnet. Er selbst war erst seit einigen Tagen hierher versetzt und hatte sich noch gar nicht eingerichtet, als das Elend des Krieges das Dorf überzog. Und welch ein Elend! Selbst der Pfarrer und seine Schwester hatten nichts, rein nichts zu essen. Als wir ihnen von unserem Vorrath abgaben, dankten sie uns mit Thränen in den Augen.

Unsere Burschen waren unsere Krankenpfleger und erfüllten ihre Aufgabe mit der größten Hingebung. Nur mit der größten Mühe konnte das zum Kühlen der Wunden nöthige Wasser herbeigeschafft werden, da die öffentlichen Brunnen theils von den Franzosen zerstört, theils in Folge des übermäßigen Gebrauchs versiecht waren. Das Wasser wurde schließlich so schlecht, daß wir es nicht mehr trinken und später sogar nicht mehr zum Kühlen gebrauchen konnten.

An diesem Tage, am 17. August, erhielt ich Besuch von meinen Cameraden, welche in der Nähe bivouakirten. Abends bildeten Altarkerzen, auf eine Weinflasche gesteckt, die Beleuchtung. Mich nach dem Ursprunge der Lichter zu erkundigen, habe ich wohlweislich unterlassen.

Die Nacht war gut; wir waren so erschöpft, daß wir trotz unserer Schmerzen einen „Riesenschlummer“ thaten. Außerdem war das Pfarrhaus ziemlich entlegen, so daß uns nichts störte. Unsere Burschen schliefen in derselben Stube, und sie mußten sich gegenseitig im Wachen ablösen, damit, wenn Einer von uns aufwachte, er gleich eine neue Compresse auf die Wunde erhielt.

Der 18. August war ein schöner, freundlicher Tag und schien uns so recht zum Transport nach Pont à Mousson geeignet, wo wir eine regelmäßige ärztliche Behandlung zu erhalten hofften. Am Vormittage erschien ein Johanniter, v. H., der uns Wagen versprach und unsere Hoffnungen fast bis zur Gewißheit steigerte. Aber – es kamen keinerlei Wagen. Statt dessen hörten wir Gewehrfeuer in der Nähe des Dorfes; der Pfarrer erzählte uns, daß man eine Schlacht erwarte. Wir waren in größter Spannung, als wir nun auch anhaltendes Geschützfeuer hörten und Niemand wußte, wie es stand. Aus dem sich immer mehr entfernenden Kanonendonner schlossen wir, daß unsere Truppen avancirten. Plötzlich vernahmen wir wieder ganz nahe Infanterie- und Mitrailleusenfeuer. Immer näher kam das Gefecht. Mußten die Unsrigen zurück? Waren wir geschlagen? Eine furchtbare Unruhe bemächtigte sich unser. Ein am Fuße verwundeter Officier ließ sich an das Fenster tragen, um zu recognosciren; aber außer Pulverdampf war nichts zu sehen. Wahrhaft entsetzlich war der Gedanke, daß Vionville mit in’s Gefecht gezogen, vielleicht vertheidigt und gestürmt würde, wir vielleicht in französische Gefangenschaft gerathen könnten. Dies Alles flog blitzschnell durch unsere Köpfe. Doch wir mußten es geduldig abwarten.

Nach Stunden großer Aufregung, gegen Abend, schwieg das Feuer der Franzosen und wir hörten deutlich, daß es preußische Geschütze waren, welche feuerten. Später erfuhren wir, daß die Franzosen zurückgeschlagen seien; daß wir aber einen Sieg errungen hatten, wurde uns erst am anderen Tage bekannt.

Der Pfarrer leistete uns oft Gesellschaft, und wir unterhielten uns viel mit ihm. Er war durchaus kein Anhänger des Kaiserthums und kein Chauvinist. Daß er in seinem Hause Preußen zu beherbergen haben würde, hatte er bei Beginn des Krieges nicht geahnt; übrigens schien er doch die Hoffnung noch nicht aufgegeben zu haben, daß ein Umschlag im Kriegsglück eintreten würde. – Ein kleiner Vorfall nahm uns Alle zu Gunsten des Pfarrers, der außerdem ein hochgebildeter Mann war, in hohem Grade ein. Von den Siebener Kürassieren waren viele Officiere gefallen, und einer der überlebenden Cameraden wollte denselben die letzte Ehre erweisen. Er stellte daher die Bitte an den Pfarrer, die Leichen einzusegnen, wenn auch die Gefallenen protestantischen Glaubens waren. Der Pfarrer griff sofort zum Hut und segnete die Leichen ein! Man sah ihm an, daß er es gern that.

Nach einer ziemlich schmerzensreichen Nacht wurden wir am andern Morgen durch Kaffee überrascht, das erste Warme, was wir seit dem Morgen des 16. August genossen. Eine schlimme Entdeckung war es aber, als unsere Burschen erklärten, gar kein Wasser mehr bekommen zu können. Außerdem waren sie den ganzen Vormittag fort gewesen und hatten sich nicht sehen lassen. Unsere Stimmung war dadurch keine brillante geworden, und die Burschen, welche wir im Verdacht hatten, auf dem Schlachtfelde gebummelt zu haben, mußten manches harte Wort hören, was sie auch hinnahmen und sonderbarer Weise, ohne die landläufigen Entschuldigungen hervorzubringen. – Mittags um ein Uhr öffnet sich die Thür, die Burschen alle vier treten ein, der vorderste mit einer Schüssel, und lange entbehrte Düfte von Braten dringen zu uns. Das Räthsel war gelöst. Statt auf dem Schlachtfelde umherzulaufen, hatten die Burschen für uns gesorgt, und ein feiner Gänsebraten erinnerte uns an die Fleischtöpfe der Heimath. Ich weiß nicht, daß mir jemals etwas so gut geschmeckt hätte wie diese Gans. Die Burschen hatten uns das Geheimniß nicht verrathen wollen; das Rupfen, Ausnehmen und Zubereiten der Gans, die sogar mit Aepfeln gefüllt war, hatte den Vormittag in Anspruch genommen. Die Burschen hatten offenbar mehr als die bloße Absolution verdient, die sie sofort erhielten.

Unsere Stimmung wurde noch mehr gehoben, als sich bald nach dieser Mahlzeit die Möglichkeit ergab auf einem Leiterwagen voll Stroh nach Pont à Mousson befördert zu werden. Der Abschied von unserm Pfarrer war in der That ein herzlicher.

Es war ein schöner, windstiller Abend. Die Sonne spendete ihre letzten Strahlen über das Schlachtfeld vom 16. August. Zerrissene Tornister und zerbrochene Helme lagen noch umher, sonst kennzeichneten nur große und kleine Gräber die Stelle des Kampfes. Wie lange wird es dauern, und der Landmann streuet friedlich seine Saat auf die jetzt noch blutigen Felder!

Hatten wir schon auf dem Marsche in Frankreich die Wohlthat guter Wege empfunden, so lernten wir sie jetzt erst recht schätzen. Ich mag gar nicht daran denken, wie wohl der Transport auf solchen Wegen, wie wir sie oft daheim im lieben Deutschland haben, ausgefallen wäre. – Lange Wagenzüge mit Verwundeten überholten wir – sie boten einen traurigen Anblick. Oft sahen wir noch herrenlose Pferde über das Feld laufen oder richtig gesagt, hinken, denn fast alle waren angeschossen.

In einigen Ortschaften reichte man uns sehr bereitwillig Wein

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 694. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_694.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2019)