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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

No. 42. 1870.
Die Gartenlaube.
Illustrirtes Familienblatt. – Herausgeber Ernst Keil.

Wöchentlich 11/2 bis 2 Bogen. Vierteljährlich 15 Ngr. – In Heften à 5 Ngr.


Ein Damen-Duell.
Von Sacher Masoch.
(Schluß.)


Koltoff war, als er das Manuscript las, auf dessen Titelblatt in schöner Fracturschrift die Worte „Der Mensch und die Natur, ein philosophischer Versuch von J. Koltoff, Lieutenant in der Preobraschenskischen Garde“, standen, von seinem eigenen Werke so begeistert, ja gerührt, daß er Thränen vergoß, Monsieur Perdrix seinen Lebensretter nannte, ihn umarmte, küßte, in fünf Kneipen schleppte; in jeder auf Kosten Lapinski’s glänzend bewirthete und ihm endlich, gleichfalls aus Lapinski’s Tasche, ein Honorar von zehn Rubeln, damals in der That eine stolze Summe, einhändigte.

Lapinski, der von „Dem Menschen und der Natur“ kein Wort verstand, zeigte sich gleichfalls entzückt.

Koltoff konnte also mit dem Bewußtsein einer Leuchte der Wissenschaft vor die schöne Lubina treten. Noch denselben Abend las er die Schrift des Tanzmeisters, von der er jetzt schon selbst überzeugt war, daß es seine Schrift sei, der Fürstin vor, welche ihn von Zeit zu Zeit durch ein „wie geistreich!“ oder „vortrefflich!“ oder „in der That ganz neu, vollkommen neu!“ unterbrach, so daß er zuletzt, mit gerechtem Stolz erfüllt, ihr und sich selbst das Wort gab, bei diesem ersten Schritt, den er so bescheiden einen Versuch“ genannt hatte, nicht stehen zu bleiben, sondern zu seinem und seines Vaterlandes Ruhme auf dem so glücklich betretenen Pfade fortzuschreiten.

„Der Mensch und die Natur“ aber kam aus den Händen des schönen Majors in jene der Fürstin Daschkoff und wurde von dieser der Czarin vorgelegt. Und Katharina die Zweite, dieses geniale Weib mit dem kühnen Blicke eines großen Mannes, las es. Sie las es und sagte: „Es enthält nichts Neues, aber es verräth umfassende Kenntnisse und es ist sehr gut geschrieben.“

Damit war das Glück des jungen Officiers gemacht.

Einige Tage nach der kaiserlichen Lecture erhielt er das Patent eines Capitains im Regiment Tobolsk, welches damals gleichfalls eine Dame, die schöne Amazone Frau von Mellin, befehligte. Das Manuscript des französischen Tanzmeisters aber wurde auf Kosten der Petersburger Akademie gedruckt.

Der Siegesjubel des philosophischen Officiers wurde nur dadurch ein wenig getrübt, daß auch der „Capitain“ Koltoff, der Verfasser des Buches „der Mensch und die Natur“, die schöne Amazone mit nicht größerem Erfolge belagerte, als der Lieutenant Koltoff, der Friseur des Bären.

Die coquette Schöne wich mit ebensoviel Geschick als Ausdauer jeder Auseinandersetzung aus.

Und endlich geschah es, daß Koltoff eines Abends bei der liebenswürdigen Lubina einen Anderen fand. Dieser Andere war ein schöner Pole Czartoriski, welcher den polnischen Gesandten nach Petersburg begleitet hatte; er zeichnete sich durch die seiner Nation nächst der französischen eigenthümliche Eleganz und Feinheit des Benehmens aus, hatte in Paris die Modeschriftsteller kennen gelernt und verstand es, über das physiokratische System und die Rechte des Menschen ebenso blendend zu sprechen, wie über die Toilette der Marquise von Pompadour und die Einrichtungen des Hirschparkes.

Als er die Fürstin verließ, küßte er ihr mit einem mehr liebenswürdigen als ehrerbietigen Blick die Hand, und die Fürstin erwiderte diesen Blick mit einem Lächeln.

Koltoff, in dem längst Alles wogte, begann zu fiebern. Kaum hatte der Pole das Gemach verlassen, so überhäufte er Lubina mit Vorwürfen, welche ihn ruhig, ja gleichgültig anhörte.

„Also dies ist Ihr neues Ideal?“ rief der von Eifersucht entstellte wüthende Capitain endlich.

„Sie sind in der That ein Mann von Geist,“ erwiderte die Fürstin. „Sie erraten, was Andere kaum ahnen. Sie haben mich in diesem Augenblicke über meine eigenen Gefühle aufgeklärt. Ja, dieser Pole ist mein Ideal; er –“

„Für wie lange?“ unterbrach sie Koltoff barsch; „es gab eine Zeit, wo Sie ein anderes Ideal hatten.“

„Ja wohl, ein anderes,“ lispelte die Fürstin mit einem müden Lächeln; „ich habe schon viele Ideale gehabt.“

Koltoff ging mit großen ungeduldigen Schritten in dem duftigen Boudoir auf und ab; so daß sich die weißen Fenstervorhänge wie Segel aufblähten und die Porcellanchinesen auf dem Kamin mit den großen Köpfen zu nicken begannen. Jetzt blieb er vor der übermüthigen Frau, welche er gegen seinen Willen köstlich unterhielt, stehen und sprach sehr ernst, beinahe feierlich: „Wir müssen zu einem Resultate kommen, Madame!“

„Also kommen wir zu einem Resultate,“ spottete Lubina.

„Heute noch!“

„Heute noch.“

„Sie werden offen und ohne Rückhalt auf meine Fragen antworten!“

„Ja.“

„Offen und ohne Rückhalt?“

„Offen und ohne Rückhalt.“

„Lieben Sie mich noch?“ begann Koltoff sein Verhör.

Die Fürstin schwieg.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 689. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_689.jpg&oldid=- (Version vom 10.6.2019)