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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

traten, lag die Landschaft, deren Mittelpunkt Bitsch ist, zauberisch schön vor uns.

Das Fort Bitche wurde auf Anrathen Turenne’s im Jahre 1679 von Vauban gebaut und bildet ein Glied der Festungskette, welche, wie Lichtenberg, Petite Pierre und Pfalzburg, die Grenze zu schützen bestimmt ist. Während des spanischen Successionskrieges (1710) wurden die Werke geschleift, allein 1740 unter Ludwig dem Fünfzehnten wurde das Fort wieder aufgebaut, wie es heute ist, mit einem Geldaufwand von drei Millionen Franken.

Das Fort, das bis heute noch nie genommen worden ist, liegt auf einem mäßig hohen Felsen (fünfzig Metres), der von Gallerien, Casematten und Gängen durchschnitten ist. Es befindet sich hier ein siebenundachtzig Metres tiefer Brunnen, eine Mühle, ein Pferdestall, Backöfen und Quartier für tausend bis zwölfhundert Mann. Wenn die Gebäude auf dem Felsen zerstört sind, kann sich die Garnison in den Felsen zurückziehen oder diesen sprengen, nachdem sie sich durch weit hinausführende Minengänge gerettet hat. Die kleine Stadt Bitsch, welche dreitausend Einwohner hat, liegt dicht am Fuße des sie überragenden Felsens. Ein bequemer Weg führt nach dem Fort hinauf, allein dieses ist auch durch in Felsen gehauene Gallerien mit der Stadt in Verbindung gesetzt.

Die Batterien der Baiern, die aus fünfzehnzölligen Mörsern und schweren Zwölfpfündern bestehen, sind am Abhange eines Bitsch in südwestlicher Richtung gegenüberliegenden Berges errichtet, der das Fort dominirt und nach meiner Schätzung gegen zwölf- bis fünfzehnhundert Schritte davon entfernt ist. Die Vorposten sind am Fuße des Berges vorgeschoben. – Von der Höhe hat man eine wunderschöne und äußerst malerische Ansicht von Bitsch. Man sieht das Fort von der schmalen Seite, wodurch die auf dem Felsen befindlichen Gebäude burgartig zusammengedrängt erscheinen. Am Fuße des Berges, auf dieser Seite, sieht man das Städtchen Bitsch. Hinter dem Fort zieht sich die Eisenbahn hin, auf der noch ein Zug steht. Den Hintergrund des Gemäldes bilden die schönen Linien der Vogesen, die hoch über die Festung, obwohl ziemlich weit entfernt, herüberragen. Auf einer Höhe links von Bitsch liegt ein Außenwerk, welches aber, wie auch ein kleineres weiterhin, unbesetzt ist.

Man hatte mir gesagt, daß die Stadt Bitsch ganz zerstört sei. Das ist nicht wahr. Es sind nur einige Häuser darin abgebrannt. Die Gebäude des Forts sind indessen schon ziemlich zerschossen, die beiden Hauptgebäude, das Arsenal und die Caserne, waren niedergebrannt, und der Rauch stieg noch aus den Trümmern heraus. Major Pfeiffer behauptete, daß der Brand nicht durch die baierischen Geschütze entstanden, sondern absichtlich von der Besatzung veranlaßt sei. Er habe in der Nacht in den Gebäuden zuerst ganz ruhige Lichter gesehen, welche allmählich immer größer geworden seien, bis endlich Flammen aus dem Dache brachen.

Von Einwohnern, denen es gelang, sich Nachts zwischen den Vogesen hindurchzuschleichen, erfuhr man, daß der Commandant und Befehlshaber der Artillerie entschlossen sein, das Fort zu halten und sich lieber in die Luft zu sprengen, als sich zu ergeben. Wenn er die Gefälligkeit haben wollte, das bald zu thun, wäre es sehr nützlich, auf der andern Seite, glaube ich, würden die Baiern gern ein Auge zudrücken, wenn er die unterirdischen Passagen benutzte und sich davon machen wollte. Ich sehe nicht wohl ein, wie sie sonst das Nest nehmen wollen, welches keinen anderen Werth hat, als daß es die Eisenbahn nach Saargemünd versperrt. – Die Einwohner von Bitsch haben den Commandanten ersucht, sich zu ergeben. Er sagte, er habe nichts dagegen, daß sie es thäten, allein in diesem Falle werde er ihr Städtchen in Brand schießen.

Während ich mit dem Hauptmann auf dem kahlen Abhange im Angesicht von Bitsch spazieren ging und die schöne Landschaft bewunderte, feuerten die Mörser in kurzen Zwischenräumen fortwährend auf das Fort. Die Elevation der Mörser war ziemlich bedeutend, und es dauerte eine ganze Weile, ehe man den eigenthümlich dumpfen Knall der im Fort crepirenden Bomben vernahm. Durch Soldaten, welche sehr vorsichtig über den Raum krabbelten, auf dem wir promenirten, wurde ich erst darauf aufmerksam, daß eine solche Promenade gefährlich sei. Man beehrte uns indessen weder mit einer Granate noch mit Chassepotkugeln, worauf der Hauptmann schloß, daß die Besatzung Mangel an Munition leiden müsse; am ganzen Tage sei noch kein Schuß aus dem Fort geschehen und sonst durfte sich kein einzelner Mann zeigen, ohne daß man eine Granate nach ihm aussandte.

Wie viel Schuß die Baiern gethan haben etc., weiß ich nicht; ich hatte leider gar zu wenig Zeit; doch hörte ich, daß die Zahl der Todten und Verwundeten sehr unbedeutend war, während sie in Bitsch ziemlich groß sein soll.

Sehr zufrieden mit der Benutzung der mir so knapp zugemessene Zeit, empfahl ich mich dem Hauptmann und stieg den Berg hinunter. Wenn ich die Ruhe des Thales und das hübsche Dorf Reyerswiller betrachtete und an die gemüthliche und behagliche Lage der baierischen Officiere und Soldaten dort dachte und diese mit der der preußischem Soldaten vor Metz verglich, dann thaten mir die letzteren doppelt leid. Wenn die Preußen an den Erfolgen dieses Krieges den Löwenantheil beanspruchen, so haben sie denselben auch wirklich dadurch verdient, daß sie überall vorn stehen und mehr Strapazen erdulden als irgend welche andere deutsche Truppen. Man muß es übrigens den Baiern wie anderen Bundesgenossen nachsagen, daß sie den Preußen volle Anerkennung widerfahren lassen und sich dieselbe zum Muster nehmen.

Mein Rückzug nach Niederbronn bot nichts Bemerkenswertes. Am nächsten Morgen fuhr ich nach Bendenheim, um von dort unter strömendem Regen nach dem vor Straßburg liegenden Mundolsheim zu marschiren.

Diese Fußpartie war erschrecklich melancholisch. Es regnete leise, und der Boden war so aufgeweicht, daß man bei jedem Schritte ausglitschte. Mundolsheim, eines der reichsten Dörfer des Elsaß, sah trübselig und schmutzig aus. Der Münster stand noch, wie er seit Jahrhunderten gestanden, aber der Regen ließ ihn wie eine Nebelsäule erscheinen. Dabei bummte es fortwährend von Straßburg her.

Von allen kriegerischen Operationen ist eine Belagerung für mich die langweiligste und uninteressanteste, besonders die einer Festung nach Vauban’schem System, die niedrig liegt, – und vollends bei schlechtem Wetter. Das geht seinen ruhigen, schmutzigen Zickzackgang von Parallele zu Parallele; die Batterieen werden errichtet, wie wir es in der Schule gelernt, und die dummen Kugeln schlagen gegen die noch dümmeren Wälle, bis sie zerbröckeln und Bresche geschossen ist. Diese hilft auch noch nichts, denn ehe sie gestürmt werden kann, muß man über ein oder zwei schändlich breite und tiefe „nasse“ – das heißt mit Wasser gefüllte – Gräben.

Nachdem ich deßhalb die Ueberzeugung gewonnen, daß die Katastrophe noch auf sich warten lassen würde, so beschloß ich des lieben Briefschreibens halber für zwei, drei Tage per Dampf an einen ganz vom Kriegsgetümmel entfernten Ort zu fliehen. Zu diesem Zweck trabte ich gegen Abend wieder durch den Schmutz nach Bendenheim zurück, wo man eben eine Bretterbude mit der Aufschrift „Officier-Casino“ einrichtete, deren feuchte Pracht mich so wenig anlockte, daß ich mit dem nächsten Zuge vielmehr nach Weißenburg abdampfte, das ich am anderen Morgen um fünf Uhr verließ, um bei Maxau über den Rhein zu fahren; oder vielmehr hinüber zu gehen, denn der Zug hielt vor der Brücke und man mußte seine Sachen auf das andere Ufer schleppen.

Auf dem Wege an verschiedenen Stationen traf ich eine Menge Straßburger Flüchtlinge, die alle in sehr freudiger Aufregung waren. Die einer jungen schönen Dame, die mit mir im Coupé war und ein Haus in Straßburg besaß, war fast noch größer, denn wenn sie eine Bekannte sah, jauchzte sie laut auf, und eine Frage und eine Exclamation jagte die andere. Ihr Haus war unversehrt, und überhaupt schien die Angst in der Stadt größer als der Schaden zu sein und die im Publicum davon verbreitete Erzählungen sind übertrieben.

An einer Station stiegen ein junges Ehepaar nebst strammen Säugling mit ausgezeichneten Lungen ein. Es war ein ehemaliger preußischer Officier, der eine reiche Französin geheirathet hatte und ein schönes Gut bei Paris besaß. Er hatte Alles im Stich lassen und fliehen müssen. Anderwärts traf ich deutsche Flüchtlinge aus Lyon, alle natürlich empört über die gegen sie verübte Nichtswürdigkeit.

Ich hoffe, daß die Deutschen durch ihre Sentimentalität und Principienreiterei den eisernen Grafen nicht beirren werden, und daß er mit den Franzosen verfährt, wie er es für recht hält. Zu große Milde gegen die Franzosen wäre Grausamkeit gegen die Deutschen. Die Franzosen müssen radical curirt werden, halbe Mittel sind bei ihnen wirkungslos; „Narren muß man mit Kolben lausen“.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 686. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_686.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)