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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

kleine Lazareth, in welchem selbst Officiere keinen Bissen hatten und dringend flehten, sie aus dem verfl– Neste zu erlösen.

Wir fuhren von hier den Waldweg westlich von Ars, an welchem der äußerste rechte Flügel der preußischen Armee in der Schlacht vom 18. gekämpft hatte, hinauf. An friedlichen Bivouacs vorbei kamen wir nach Gravelotte hinein gerade vor das Hauptquartier des Generals v. Steinmetz. Officiere bewillkommneten uns, und der Commandant des Hauptquartiers, Major v. Str., rieth uns freundlichst, da der General um fünf Uhr ausrücken werde, sofort in dieses Quartier einzurücken, was wir auch befolgten.

Die drei Stuben des Parterre und die große Scheune lagen voll Schwerverwundeter. Da Johanniter sich nicht finden ließen, beredete ich mich mit den Militärärzten, unter denen ich wenigstens einen alten Bekannten fand und neue gewann, und wir räumten dann, so viel wir konnten, von den Verwundeten der nächsten Nähe noch in bereitstehende Wagen.

Es ist immer das größte Verlangen der Verwundeten, wegzukommen, und es ist dem, soviel irgend möglich, zu entsprechen. Auf den Soldaten im Felde übt die Nähe der Leidenden einen ungünstigen Einfluß, die Bequemlichkeiten sind stets äußerst gering und was davon, von Personen und Mitteln zur Hülfe vorhanden ist, muß möglichst bald wieder für den neuen Bedarf frei gemacht werden. Diese Nothwendigkeit erstreckt sich von der Armee weit rückwärts bis über die Hospitäler im westlichen Deutschland. Diese müssen immer entleeren, um eine Stätte denen bieten zu können, die für den Augenblick oder überhaupt nicht weiter gesandt werden dürfen. Wohl ist der Transport auf Leiterwagen sehr anstrengend, wenn man aber reichlich Stroh auflegen kann, so geht’s schon, selbst mit nicht eingegypsten Schußfracturen der untern Glieder. Die freie Luft ist bei leidlichem Wetter weit besser als die üble Atmosphäre überfüllter Bauernstuben, in denen es auch selten etwas Besseres als eine Schütte Stroh giebt. Nach Hause, nach Deutschland, da glaubt sich so ein armer Kerl schon gerettet.

Die Uebrigen wurden trotz eingebrochener Nacht bei Laternenschein verbunden, Kugeln ausgeschnitten, Knochenstücke, Tuch- und Lederlappen aus den Wunden entfernt. Wohl die wenigsten jetzt beschäftigten Wundärzte mochten vor den Kriegen in Schleswig und Böhmen eine Kugel ausgeschnitten haben, höchstens einmal Schrote oder Posten eines unglücklichen Jägers. Jetzt war das tägliches Brod. Wunderbar, wie die Kugeln auf dem Knochen ihre Gestalt ändern, wie sie selbst Knöpfe, Portemonnaiebügel, Geldstücke zugerichtet haben. Wer auf eine Sammlung bedacht gewesen wäre! aber die Leute behalten diese Andenken gar gerne selbst.

In Gravelotte war entsetzlicher Wassermangel, selbst zum Verbinden manchmal kein Tropfen. Dabei gab es außerordentlich viel zu thun. Erst noch im eigenen Hause, dann in der Nachbarschaft, wo besonders die Schulstube etwa zwanzig schwer Verwundete barg. Man konnte dort kaum einen Mann verbinden, ohne auf einen andern zu treten. Dazwischen noch friedlich Katheder und Wandtafeln. Ich fand dort einen Mann, dem ein Granatstück das Bein im Oberschenkel ganz abgerissen hatte, nur oberflächlich verbunden. Ich übergab ihn den Militärärzten, aber er überlebte die nöthige Operation nur kurze Zeit. Eine nicht ganz leichte Operation, welche ich selbst machte (die Urethrotomie aus freier Hand wegen Schußverletzung), hatte guten Erfolg. Ich erwähne das nur, um dem liebenswürdigen und vortrefflichen Stabsarzt Dr. Vogelsang, mit welchem ich damals zusammenwirkte und den nun auch schon die fremde Erde deckt, nachzurufen. Die Kriegschirurgie ist eben eine entsetzlich anstrengende, markzehrende Arbeit.

Sonst nimmt wohl hülfreich das Messer mit kühnem Schnitte langjähriges Leid weg; man überlegt für einen Fall tagelang, man hat alle Hülfe, jedes Instrumentchen, das stille Krankenzimmer, die beste Pflege und Nahrung; hier liegen Hunderte, eben in frischester Jugendkraft, jeder ein Held, jetzt ein vernichtetes, verkrüppeltes Dasein. Kaum hat der Arzt Zeit zum Entschlusse, seine Arbeit nähert sich der einer Maschine in erschreckender Weise, dabei kein Lager, kein Wasser, kein Ersatz für ein Instrument, das zerbricht oder sich im Stroh versteckt, kaum Speise, keine freundliche Hand zur Pflege. Doch nein, wenn auch sparsam, waren schon bis hier hinauf Pflegerinnen gedrungen und außer uns auch Berliner Hülfsmannschaften, welche allerdings alsbald wieder abmarschiren zu müssen glaubten. Drei französische Aerzte, deren Aeußeres uns wenig gefiel, verwiesen wir zu ihren gefangenen und verwundeten Landsleuten, da sie doch unsere Soldaten nicht zu verstehen vermochten.

So gut ich selbst mit den Militärärzten stand, sah ich nur zu bald ein, daß wir ihnen in einer Sache im Wege waren. Unser Quartier erregte Neid, und sie hätten es gern bezogen, in dem Vertrauen, weil das Haus zum Theil noch mit ganz schwer Verwundeten belegt war, vor außerärztlichen Ansprüchen behütet zu sein. Dabei konnte unser augenblicklich sehr erwünschtes Eingreifen plötzlich ein Ende nehmen; die Verwundeten verringerten sich durch Abfuhr von Stunde zu Stunde, während das militärärztliche Personal, da der größte Theil der Armee bei Metz blieb, sich mehr und mehr heranzog. Johanniter, uns eine längere Beschäftigung zuzutheilen oder uns zu einem anderen Orte zu weisen, waren auch jetzt nicht zu finden. So kam ich denn mit den Aerzten überein, Verwundete nach Courcelles zu begleiten, und machte mich mit diesen und meinen Leuten noch am nämlichen Tage auf den Weg. Nach andauernder Fahrt übernachteten wir in Corny und kamen an Metz vorbei Nachmittags nach Courcelles.

Wir fuhren zunächst zum Bahnhofe, bekamen aber weder beim Etappencommando noch im Johanniterhospital eine befriedigende Auskunft. Obwohl man auf die Nacht große Transporte erwartete und uns sehr gut brauchen konnte, wollte sich Niemand unser annehmen, und das Personal des Spitals schlug uns bestimmt und wenig höflich die Erlaubniß ab, unser Verbandzeug und unsere Bahren bis zum Gebrauche dort, wo sie gerade am Platze waren, abzustellen. In einem Speicher über einem Stalle fanden wir endlich ein nothdürftiges Nachtquartier.

Vor fünf Uhr weckte uns das bekannte Rollen der langen Reihe von Wagen mit Verwundeten. Wir eilten zum Bahnhofe, und alle Hände konnten sich nützlich machen. Man nahm das Stroh von den Wagen, lagerte die Leute in langen Reihen darauf, verband, operirte und trug in die Waggons. Es gab Wein und Butterbrod an dem Buffet des überaus engen Bahngebäudes. Es fing an zu regnen, und da die niedrigen Hütten nur für einen kleinen Theil der Ankommenden reichten, war es doppelt nöthig, daß reichliche Hülfe thätig war. Neben uns arbeiteten Darmstädter, und die Militärärzte waren sehr dankbar für den Zuwachs an Kräften. Von den Johannitern leitete unterdessen Graf … unermüdlich die Ausladung von Liebesgaben, Graf St. schien hauptsächlich die Führung der Schwestern zu haben.

Als die Einladung beendet war, kam den Meisten von uns das Gefühl, es sei wenig gerathen, länger hier zu bleiben. Man kümmerte sich nicht darum, wo wir unser Haupt hinlegen, noch mit was für Speise wir die angestrengten Kräfte ersetzen sollten. Es lag auf mir die Sorge für achtzehn zum Theil noch sehr junge Leute, die bereits unwohl zu werden begannen. In der That wurden mehrere von der Ruhr, und nach der Heimkehr Einer vom Typhus befallen, und ich schiebe davon die Schuld hauptsächlich auf Courcelles. Es schien unsicher, ob man bei der Herstellung der Bahn zwischen Ars und Nancy weiter Verwundete hierher senden werde, und auch hier erschienen neue Hülfsmannschaften. Ich wollte es, da wir auch zu Hause nützen konnten, nicht verantworten, länger auf’s Gerathewohl hier zu bleiben, und ich erlangte, daß man uns am Abend in einem Güterwagen zunächst mit nach Remilly nahm.

Dort wurde gerade der würtembergische Sanitätszug unter Professor Bruns eingeladen, welcher in sehr guter Weise hergestellt war, indem man aus den bekannten langen würtembergischen Wagen die Sitze entfernt und an den Langwänden auf den Boden Bahren gestellt und darüber eine zweite Reihe in Gurten aufgehangen hatte. Zwischengeschobene offene Güterwagen erlaubten die Einladung, und man konnte die Bahren dann durch mehrere Wagen durchtragen. Die Fama erzählt, daß die Sanitätswagen auch noch den Vortheil boten, unzeitgemäße Minister zu stürzen.

Eine andere Einrichtung hatte Baiern getroffen, indem in kleine Güterwagen vier oder fünf Betten gestellt waren, deren Füße zuweilen auf angeschraubten Federn ruhten. Es wird nicht leicht sein, die besonderen Wagen für den ganzen Bedarf herzustellen. In den meisten Fällen werden für die Leute, welche nicht sitzen können, Strohmatratzen ausreichen. Man kann deren in ungemein kurzer Zeit, wenn man aller Orten Auftrag giebt, die nöthige Zahl herstellen, kann ihrer fünfzig in einem Wagen, also zweitausend in einem Zuge transportiren, wo es dann wegen leer zurückgehender Züge nie an Wagen zu deren Vertheilung fehlt,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 675. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_675.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)