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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


„Wir haben sehr viel zu versäumen,“ rief der Camerad; „Du vergißt, daß ich nur vier Wochen Zeit habe, um Dich zu verheirathen, mein Geliebter, und dann, wenn es nicht gelungen ist, bist Du toll genug, Deinem kostbaren Leben ein Ende zu machen. Also zu den Waffen, um so mehr als dies die Stunde ist, wo die Fürstin Lubina Mentschikoff nach den übereinstimmenden Berichten meiner Spione auf der Terrasse ihres Palastes die Morgenchocolade nimmt.“

„Du hast schon Spione?“ murmelte Koltoff erstaunt, indem er sich anzukleiden begann.

„Spione, gute Spione sind für eine geschickte und erfolgreiche Kriegführung unentbehrlich,“ antwortete Lapinski, „man muß über die Aufstellung und die Bewegungen des Feindes stets auf das Genaueste unterrichtet sein, um darnach seine Dispositionen treffen zu können.“ Der lustige junge Officier blickte auf seine Uhr. „Es fehlt eine Viertelstunde zu Zwölf. Genau vor fünfzehn Minuten ist unsere Göttin erwacht, in weiteren fünfzehn Minuten wird sie ihre Morgentoilette beendet haben und Schlag zwölf Uhr auf die Terrasse heraustreten. Also beeile Dich.“

In wenigen Minuten war Koltoff fertig, und die beiden Freunde durchschritten, ein französisches Kriegslied der Zopfzeit trällernd, die Straßen, welche zu dem Palaste der Fürstin Mentschikoff führten, aber sie näherten sich dieser feindlichen Festung, wie Lapinski das in schönem Renaissancestile erbaute, von einem weitläufigen Parke, im Geschmack von Versailles, umgebene Gebäude nannte, von rückwärts, durch ein schmutziges Gäßchen, das längs der Gartenmauer lief.

„Kein Mensch in der Nähe“ sprach Lapinski, „laß uns somit vor Allem recognosciren.“

Koltoff stellte sich auf seine Anordnung an die Mauer des Parkes und sein Camerad schwang sich auf seine Schulter und blickte hinein. „Auch im Garten ist Alles stille,“ meldete er „und weithin nichts zu entdecken. Wir können es also wagen, einzudringen.“

Ohne Weiteres schwang sich Lapinski hierauf von der Schulter seines Freundes auf die Mauer, und von dieser mit Hülfe eines Astes auf einen nahestehenden Nußbaum, von welchem er sich rasch zur Erde herabgleiten ließ.

„Warte,“ ertönte seine Stimme von innen, „ich will sehen, ob ich keine Bresche entdecke.“

Die Bresche fand sich nicht, aber dafür eine Gartenleiter, welche vor einer halbgestutzten Taxushecke aufgespreizt stand. Lapinski bemächtigte sich ihrer und schob sie über die Mauer, drüben wurde sie von Koltoff aufgefangen, der wenige Secunden darnach auf der Mauer erschien und die Leiter an sich zog, um dann bequem auf ihren Sprossen in den Garten hinabzusteigen. Die beiden Freunde näherten sich nun, durch die langen parallel laufenden Hecken verdeckt, dem Palaste, von dem eine geräumige Terrasse mit breiten Stufen gegen den Garten zu abfiel. Sie verbargen sich hinter einem großen Bosquet rother Rosen, etwa fünfzig Schritte von derselben entfernt.

Auf der Terrasse stand zwischen schlechten geschmacklosen Statuen der Venus und des Liebesgottes ein kleines Tischchen, für eine Person gedeckt, und vor demselben ein sammtner Armstuhl und ein Fußschemel von gleichem Stoffe.

Nicht lange, und ein Diener in gestickter Livrée nach französischem Schnitte erschien und brachte auf einem silbernen Brette die Chocolade, während ein zweiter die Flügelthüren weit öffnete.

Eine Dame trat mit raschem Schritte in stolzer gebieterischer Haltung heraus. Nach der Beschreibung des Heirathslexikons seines Cameraden konnte Koltoff keinen Augenblick zweifeln, daß es die Fürstin Lubina Mentschikoff war, aber die lebendige Erscheinung wirkte ganz anders, als das todte Wort.

Koltoff war in der ersten Secunde von der jugendlich majestätischen Gestalt, dem feinen geistvollen Gesichte, den großen blitzenden schwarzen Augen der schönen Amazone überrascht, in der zweiten geblendet, in der dritten bis zum Wahnsinn verliebt. Die Fürstin trug ihr dunkles, nur ganz leicht gepudertes üppiges Haar in einem großen, von einem hellrothen Bande zusammengehaltenen Knoten, über dem duftigen weißen Spitzennegligé einen Schlafpelz von rothem Atlas mit reichem Hermelinbesatz, nach damaliger Mode in der Taille knapp anschließend und dann in reichen Falten sich einbauschend bis zu der Schleppe, welche weit zurückfloß. Ohne daß sie nur im Geringsten ahnte, man beobachte sie, benahm sie sich doch bei ihrem Frühstück mit der ganzen coquetten Anmuth einer Rococodame, so daß der gute Lieutenant von der Preobraschenskischen Garde nahe daran war, alle Subordination bei Seite zu setzen und dem verführerischen Major vom Regimente Simbirsk glattweg zu Füßen zu stürzen.

„Nun, wie gefällt Dir Deine Braut?“ fragte Lapinski im Flüstertone.

„Du hast mich hierher geführt,“ erwiderte Koltoff, „nur um mich noch unglücklicher zu machen; wie soll ich nur eine Secunde hoffen, dieses herrliche Weib, diese Gottheit mein zu nennen, wo soll ich den Muth hernehmen, mich ihr zu nähern oder gar um ihre Hand zu werben?“

„Sehr gut, ausgezeichnet,“ sprach leise sein Freund; „Du bist verliebt, ja Du brennst lichterloh, wie ich sehe. Es geht also Alles nach Wunsch –“

„Wie?“

„Laß mich nur manövriren.“

„Was hast Du vor?“

„Du mußt ihr eine Liebeserklärung machen,“ fuhr Lapinski fort.

„Ja, aber wie soll ich das anfangen?“ fragte Koltoff ziemlich rathlos. „Ich kann doch nicht hier –“

„Ich denke nicht im Entferntesten daran,“ entgegnete Lapinski.

Indeß hatte sich, von dem Geräusche auf der Terrasse und dem Anblick der Fürstin angelockt, von dem Dache des Palastes herab sowie aus allen Büschen und Aesten eine zahlreiche Gesellschaft von Sperlingen, Finken, Zeisigen, Stieglitzen um die schöne Frau versammelt, welche ihr Brod zerpflückte und den schreienden und durch einander flatternden kleinen Bettlern die Krumen desselben zuwarf.

„Genug, Du wirst Dich doch nie sattsehen,“ fuhr Lapinski fort, „so reizend auch die Idylle gerade jetzt ist. Komm also, ich habe einen Plan, Du wirst heute noch die Bekanntschaft der stolzen Schönen machen. Was sage ich, heute! Auf der Stelle.“

Die beiden Officiere verließen hierauf ihr Versteck und den Park auf demselben Wege, auf welchem sie denselben betreten hatten.


Eine Stunde nach dem Frühstück pflegte die Fürstin Lubina Mentschikoff eine Spazierfahrt durch die Stadt zu machen und dann in der Caserne ihres Regimentes den Bataillonsrapport entgegen zu nehmen und die dringendsten dienstlichen Angelegenheiten zu erledigen.

Zugleich mit ihrer Equipage waren diesmal die beiden Lieutenants zur Stelle, welche sich indeß darauf beschränkten, den Palast und das Fuhrwerk aus weiter Entfernung zu beobachten. Der Wagen der Fürstin im Rococostyle war eine jener schwerfälligen Kriegsmaschinen, mit denen die eroberungslustigen Damen jener Tage zum Siege zogen, auf vier hohen Rädern ruhte ein viereckiger vergoldeter Kasten mit Glaswänden, welche die in demselben sitzende Dame von allen Seiten deutlich zu sehen gestatteten. Ein großer dicker Kutscher in rother Livrée mit großem dicken Zopf und einer weißen Halsbinde, welche gleich einem Riesenschmetterling unter seinem Kinn saß, leitete die schönen Holsteiner Pferde mit großer Würde.

Zwei Lakaien sprangen aus dem Palaste hervor der eine riß den Schlag auf. Die Fürstin folgte raschen Schrittes in einer Uniform, welche weibliche und männliche Toilette geschmackvoll verband; über die hohen schwarzen Reitstiefel, an denen gewaltige Sporen saßen, fiel eine reichfaltige sammetne Robe von dem Grün des russischen Soldatenkleides, welche, da sie von keinem Reifrock aus einander gespannt wurde, in natürlichen malerischen Falten fiel. Ein Ueberrock von gleichem Stoff und gleicher Farbe mit rothem Aufschlag und goldenen Litzen umschloß die Taille, an dem schwarzen Lackgürtel hing der Stoßdegen, auf dem weißen Toupet ruhte der dreieckige Hut mit weißem Federbesatz.

„Nun kaltes Blut und Geistesgegenwart!“ sprach Lapinski.

Die schöne Amazone war eben im Begriff ihre Handschuhe zu knöpfen, als ein alter Bettler, welcher bisher den Pferden schön gethan hatte, sie um eine Gabe ansprach. Sie warf ihm eine Münze zu, stieg elastisch in den Wagen, der Lakai schloß den Schlag und der Wagen rollte davon. Die Pferde gingen in ruhigem stolzem Trabe, aber nicht lange. Nach wenigen Schritten schon wurden sie unruhig, fielen in ein rascheres Tempo, begannen sich zu bäumen, zu wiehern und zeigten Lust durchzugehen. Der

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 651. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_651.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)