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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Kosten zu leben. Es handelt sich ja bei mir nicht um momentane Hülfe. Es fehlt jede Aussicht für die Zukunft, und wenn ich auch von Brod und Wasser leben und Spiel und Frauen für immer abschwören will, wie soll ich von meiner elenden Lieutenantsgage meine Schulden zahlen? Zuletzt wird mir doch nichts übrig bleiben, als – eine Kugel.“

„Sollte es wirklich keinen anderen Ausweg mehr geben?“ sprach Lapinski. „Laß uns nachdenken. Aber versprich mir vor Allem, nichts gegen Dein Leben zu unternehmen, ehe unser Witz sich nicht erschöpft hat. Gieb mir die Hand darauf.“

„Unter Bedingungen,“ entgegnete Koltoff.

„Gut,“ entschied der Erstere, „wenn wir binnen einem Monate zu keinem Resultate gelangt sind, steht es Dir frei –“

„Mich zu erschießen?“

„Zu erschießen, zu ersäufen, zu vergiften, rädern zu lassen, was Dir besser gefällt.“

„Abgemacht.“

Die Cameraden schüttelten sich herzlich die Hände.

„Aber was hast Du für ein Project?“ begann Koltoff.

„Vor der Hand noch gar keins,“ erwiderte Lapinski, „aber mir ist nicht bange darum. Gäbe es etwas Erfinderischeres auf der Welt als das Hirn eines Lieutenants? Also gieb Acht! Fangen wir gleich mit dem Kühnsten an. Stürze Orloff und schwinge Dich zum Günstling der Czarin auf.“

„Was fällt Dir ein!“ rief Koltoff.

„Warum nicht?“ meinte der Camerad. „Die Geschichte ist nur halb so lebensgefährlich wie das Erschießen, Du bist ein hübscher Junge, es muß Dir gelingen.“

Koltoff antwortete mit einem lauten Lachen.

„Warum lachst Du?“ fuhr Lapinski fort. „Heutzutage ist Alles möglich, Alles, sag’ ich Dir, das Wunderbarste und Seltsamste, genau so wie zu Zeiten des Kalifen Harun al Raschid. Aber ich sehe, zu einem solchen Wagestück hast Du nicht den Muth, oder ist Katharina die Zweite vielleicht nicht ganz nach Deinem Geschmacke? Ziehst Du die schwarzen Augen vor?“

„Genug des Spaßes!“ sagte hierauf Kolloff; „der Weg, den ich gehen soll, muß vor Allem ein ehrlicher sein.“

„Hm“ – Lapinski sann nach. „Ich hab’ es!“ schrie er plötzlich auf. „Ich hab’ es. Du mußt heirathen.“

„Heirathen? Nein, da will ich mich lieber erschießen,“ erwiderte der Lieutenant mit dem Ausdrucke wirklichen Entsetzens in dem jugendlichen Gesichte.

„Verloren bist Du einmal,“ lachte der Camerad, „so wähle mindestens die angenehmste Todesart und – heirathe.“

„Angenommen, ich könnte mich entschließen,“ sprach Koltoff, „wo fändest Du eine Frau für mich, eine reiche Frau, die dem armen verschuldeten Officier die Hand reichen würde?“

„Nichts leichter als das,“ erwiderte Lapinski; „ein reiches Mädchen zu finden, das Dich nimmt, aus purer Liebe nimmt, das hielte schwer: unsere Fräulein vom alten Adel und leeren Geldsack speculiren sämmtlich auf Generale oder mindestens auf einen reichen Bojaren vom Lande; aber eine Dame, die selbst ein großes Vermögen hat, kann sich schon den Luxus gestatten, einen Mann zu nehmen, den sie liebt.“

Koltoff lächelte. „Du hast vielleicht sogar schon eine Braut für mich in petto?“

„Warum nicht? Hundert auf einmal,“ sprach Lapinski, „ich habe darin schon manchem braven Menschen geholfen aus reinem Vergnügen an der Sache, und weil ich, wie Dir bekannt, in Allem Ordnung liebe und halte, so habe ich mir zu diesem Zwecke ein genaues Lexikon aller unserer heirathsfähigen Damen angelegt.“

„Wie?“ rief Koltoff immer heiterer, „ein Heirathslexikon?“

„Hier,“ fuhr Lapinski fort, ein ziemlich voluminöses Notizbuch hervorsuchend, „da hast Du es. Du findest sie alle beisammen, unsere Schönen, jede mit genauer Personbeschreibung, sowie Angabe ihres Vermögens, Charakters, Vorlebens und anderweitiger Verhältnisse.“

„Das ist in der That kostbar,“ lachte Koltoff. „Laß also sehen.“ Und die beiden jungen munteren Officiere begannen das Heirathslexikon zu studiren.

„Ich wäre dafür, alphabetisch vorzugehen,“ begann Lapinski nach einer Pause, „versuche bei der Ersten Dein Glück, und bekommst Du einen Korb, so belagere die Zweite und so fort von A bis Z.“

„Das wäre doch zu leichtsinnig,“ meinte Koltoff, „ich bin meinetwegen bereit, meinen Nacken dem Pantoffel einer Frau zu beugen, aber es muß ein Pantoffel sein, – eine Frau wollte ich sagen, welche ich liebe.“

„Wie ist also Dein Geschmack, blond, braun, schwarz?“

„Vor Allem lege ich auf ein bescheidenes Wesen Werth.“

„Dann erschieße Dich auf der Stelle,“ rief Lapinski, „im Reiche und am Hofe der nordischen Semiramis Katharina der Zweiten ein bescheidenes Wesen! Weißt Du nicht, daß unsere besten Frauen, von dem Beispiel oben verführt, mindestens Amazonen und Blaustrümpfe sind?“

„Was also thun?“

„Wenn Du schon zu gewissenhaft bist, alphabetisch vorzugehen, so laß das Fatum entscheiden,“ meinte der übermüthige Camerad.

„Wie?“

„Wie? Ganz einfach. Wir machen es wie die Araber, wenn sie ihren Koran um Rath fragen,“ erwiderte Lapinski, „wir stechen mit einer Nadel in mein Lexikon, und dort, wo die Spitze haften bleibt, dort hast Du Deine Braut zu suchen.“

„Gut.“

Lapinski nahm hierauf eine Nadel und verfuhr ganz in der Weise und mit dem Ernste orientalischer Fatalisten, dann schlug er das durchstochene Notizbuch auf. „Du hast ungeheures Glück,“ sagte er, nachdem er den Stich aufgesucht und geprüft. „Dein Schicksal führt Dich zu der zugleich schönsten und reichsten Dame meines Verzeichnisses.“

„Laß sehen!“ rief Koltoff erregt.

„Lubina Fürstin Mentschikoff,“ las Lapinski, „Wittwe des Fürsten Iwan, dreiundzwanzig Jahre alt, hohe imposante Gestalt, schlank, herrliche Formen, stolze, schöne Gesichtszüge, schwarzes Haar, schwarze feurige Augen, tiefe Altstimme. Charakter fest und verläßlich, Wesen gebieterisch, aber liebenswürdig und anmuthig, viel Geist, große Bildung, besitzt ein Vermögen von zwei Millionen Rubeln, vollkommen frei und unverschuldet, ist ihren Verwandten gegenüber vollkommen selbstständig. Ihr Ruf sowohl in ihrer Ehe, als seitdem, der beste. Besondere Bemerkungen: gilt als Männerfeindin.“

„Dient sie nicht in der Armee?“ fragte Koltoff.

„Warte. Richtig, ja. Sie dient im Regimente Simbirsk und hat den Rang eines Majors.“

„Das kommt ungelegen,“ meinte Koltoff.

„Weshalb? unsere Amazonen tragen ja sämmtlich Officiersepauletten, die Gräfin Iwan Saltikoff, die Fräulein Jadwiga Niewelinski und Sophia Narischkin und viele Andere, und Frau von Mellin commandirt sogar ein Regiment.“

„Aber ich bitte Dich,“ rief Koltoff, „wie soll ich es anfangen, meinem Vorgesetzten eine Liebeserklärung und einen Heirathsantrag zu machen?“

„Ich weiß nichts davon, daß dies gegen das Reglement wäre,“ entgegnete Lapinski. „Zu Deinem Glücke hat Peter der Große nicht im Entferntesten daran gedacht, daß es Lieutenants in Reifröcken und einen Major geben könnte, welcher der mediceischen Venus Concurrenz macht. Also fasse Dir ein Herz, es wird Dir nicht den Kopf kosten, beziehe jetzt ruhig Dein Bivouac, und morgen beginnen wir die Operationen, das heißt der Herr Lieutenant der Preobraschenskischen Garde wird anfangen, dem Herrn Major des Regimentes Simbirsk den Hof zu machen.“

„Und wenn mich der schöne Major für meine Kühnheit in Arrest schickt?“ lachte Koltoff.

„Dann tröstest Du Dich damit,“ erwiderte der Camerad, „daß Amor Dein Profoß ist.“




Es war gegen Mittag, als Koltoff am nächsten Tage von seinem Freunde aufgepoltert wurde, welcher in rosigster Laune, den Schnurrbart unternehmend aufgedreht, mit den großen Sporen klirrend, bei ihm eintrat.

„Zu den Waffen!“ schrie Lapinski. „Auf den Feind! der Krieg beginnt, zu den Waffen!“ und zu gleicher Zeit stellte er sich vor den Nachttisch und begann mit den Fäusten auf demselben Reveille zu trommeln.

Koltoff, der Selbstmörder, dehnte sich behaglich in seinem Bette und gähnte. „Was drängst Du so?“ sprach er langsam gedehnt, „wir haben ja nichts zu versäumen.“

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 650. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_650.jpg&oldid=- (Version vom 23.5.2019)