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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

mir andeutete, daß mein Name ein sehr bekannter und gewissen Herren in dem glücklichen Mecklenburg noch immer höchst widerwärtig sei. Gewisse Traditionen von 1849 seien noch nicht verschollen, und unter diesen sei besonders diejenige hartnäckig, welche von der Schlappe handle, welche ein Bataillon der von mir befehligten Mannheimer Volkswehr den Mecklenburgern bei Ladenburg versetzte!

Wie kleinlich! – Es scheint, der Ochsenkopf (der ist ja doch wohl das Wappen Mecklenburgs) hat ein nachhaltigeres Gedächtniß als der Adler. In der preußischen Armee gehört 1849 zur alten Geschichte. Ich habe mit preußischen Officieren hoher Grade gesprochen, die mir in Ludwigshafen und Rastatt gegenüberstanden, und wir haben uns freundschaftlich über diese Ereignisse unterhalten. Man war objectiv genug, mich militärisch zu loben, und ich kann versichern, daß diese Anerkennung von Seiten braver ehemaliger Feinde mich für manches Bittere entschädigt hat, was ich gerade von der Seite her erfuhr, von der ich Anerkennung zu erwarten vollkommen berechtigt war.

Doch zurück zu den Angehörigen des Ochsenkopfes. Ich ward in meinen Stall zurückgeführt, und nachdem man meinen Stock sorgfältig entfernt hatte, ließ man mich zufrieden.

Ich schlief ganz sanft, erwachte in ziemlich guter Laune und beobachtete mit Interesse das Benehmen der verschiedenen Leute, die jeder nach seiner Art ihre Toilette machten. Unter den Leuten war ein prächtiger Oberwachtmeister, der mir außerordentlich wohlgefiel. Der Mann bemerkte, daß ich seit gestern gar nichts genossen hatte, und bot mir seine Feldflasche an, die ganz vortrefflichen Portwein enthielt, wie ihn gewiß der Großherzog nicht besser trinkt. Ich nahm den Schluck dankbar an und unterhielt mich mit dem Oberwachtmeister. Er war mehrere Jahre in Amerika in Diensten der Hudson-Bay-Pelzcompagnie gewesen und erzählte mehrere recht interessante Indianerabenteuer. Von ihm erfuhr ich, daß man nach Saarlouis telegraphirt, aber noch keine Antwort erhalten habe. Ich vermuthe, man wollte sich erkundigen, ob der Commandant mir wirklich einen Paß gegeben habe, obwohl dies keinem Zweifel unterliegen konnte, da der Major und Auditeur die Unterschrift genau kannten.

Als ich eben überlegte, ob ich nicht am besten thue, an den Großherzog zu appelliren, den mir einer der naiven Gensd’armen noch als den Vernünftigsten bezeichnete, kam ein preußischer Armeegensd’arm mit einer geschriebenen Ordre des Etappencommandanten, den Arrestanten (mich) augenblicklich an ihn abzuliefern. „Die mecklenburgische Gensd’armerie wird einen schönen Wischer bekommen, weil sie den Herrn festgehalten hat, nachdem ihn der Commandant gesprochen hatte und passiren ließ.“ – Meine Sachen mussten mir sofort ausgeliefert werden. Man hatte dem Auditeur des Corps sogleich alle meine Papiere ausgehändigt, und derselbe sah aus den an mich gerichteten freundschaftlichen Briefen hoher Personen, wie aus Dokumenten einer gewissen Gesellschaft, daß auch keine Spur eines Verdachtes gegen mich gerechtfertigt war.

Es gab – wie ich durch die Glasthür sehen konnte – eine lebhafte Discussion zwischen dem mecklenburgischen Officier und dem preußischen Major, an der auch ein kleiner nervöser, leberkranker Oberstlieutenant theilnahm, welcher der eigentliche Etappencommandant war. Als ich in das Bureau berufen wurde, entschuldigte der Oberstlieutenant das Versehen in höflicher Weise, äußerte jedoch, daß ich mir die Sache selbst zuzuschreiben habe, „indem ich mit einem französischen Kutscher angekommen sei und mich in nicht für mich passende Gesellschaft gemischt habe.“ Das war nämlich die Entschuldigung der Getreuen des Ochsenkopfes; und man sah ihr auf der Stelle ihren Ursprung an. Ich fand die Gesellschaft braver deutscher Soldaten keineswegs unpassend für mich und ziehe sie auf alle Fälle der solcher mecklenburgischer Officiere vor, wie ich sie an jenem Abend kennen lernte, doch weiß ich sehr wohl, daß sie glücklicherweise zu den Ausnahmen gehören.

Wir hatten nach solchem glücklich überstandenen Abenteuer von zehn Uhr Morgens bis drei Uhr Nachmittags im Eisenbahncoupé zu sitzen und auf die Abfahrt nach Saarbrücken zu warten, wo wir spät Abends ankamen und wo ich meinen werthen Gastfreund Banquier Simon – der des Druckfehlers in der Gartenlaube wegen nun überall Snude genannt wird – beim Abendessen fand. Im besten Scherzberger aber that ich ihm auf den Toast Bescheid, „daß der isolirte Mecklenburgische Ochsenkopf bald der allgemeinen deutschen Bouillon einverleibt werden möge.“

Nach langem Hin- und Herüberlegen beschloß ich meine Operationsbasis zu ändern. Ich kam zu der Ueberzeugung, daß die Opfer, die ich zu bringen, und die Strapazen, die ich auszuhalten habe, mit dem, was ich wirklich vom Kriege sehe und erlebe, nicht in Verhältniß stehen und daß ich auf andere Weise verfahren müsse. Belagerungen pflegen sehr langweilig und selten interessant zu sein, und das Ende der Belagerung von Metz abzuwarten, schien mir daher unthunlich. Ich beschloß daher, zur Erholung meiner Gesundheit für ein, zwei Tage nach Frankfurt am Main zu gehen, hauptsächlich, um mich auf’s Neue auszurüsten. Heute denke ich von hier abzureisen und nach einer Inspicirung von Bitsch und Straßburg nach Paris zu gehen. Um doch meine Zeit hier einigermaßen nützlich anzuwenden, beschloß ich die Lazarethe zu besuchen und ging zunächst in die Klinik des Herrn Dr. Bockenheimer in Sachsenhausen, die mir von dessen Schwester auf das Bereitwilligste gezeigt wurde. Ich kam mit meiner Frau dorthin, die selbst gelernte Krankenpflegerin ist und mich auf diese Anstalt aufmerksam machte, als eben die Frau Kronprinzessin von Preußen dieselbe verließ; es ist wirklich eine Musteranstalt. Der Eingang zu den einfachen aber geschmackvollen Hause ist durch Zierpflanzen und Blumen in gefälliger Weise geschmückt und man empfängt so von vornherein einen angenehmen Eindruck.

Man zeigte mir das Haus vom Keller bis zum obersten Stock, und wohl haben die Damen Ursache, es bereitwillig zu zeigen; denn das Ganze ist ebenso zweckmäßig eingerichtet, als ordentlich gehalten.

Ich war überall, in Küche, Keller, Speisekammer, Eiskeller, Badezimmer und Secirzimmer: die Empfangzimmer sind geräumig, luftig und anständig; und die Krankenzimmer sind ganz vortrefflich. Ich freute mich über die überall herrschende Ordnung, die reine Luft, die Weiße der Bettwäsche und das zufriedene Aussehen der Verwundeten. Es lagen in der Anstalt einige zwanzig mehr oder weniger schwer verwundete Officiere, und alle, mit denen ich redete, waren ganz außerordentlich zufrieden, und haben auch wirklich Ursache dazu. Glücklicherweise waren hier weder Johanniterherren noch Johanniterdamen, die durch ihr unpraktisches Wesen, durch ihr Vornehmthun und ihre Ostentation gar häufig Verwirrung und andere Mißstände verursachen.

Im obern Stock befand sich das Magazin mit Binden etc.; die auf Frankfurter Weise hübsch geordnete Wäschekammer; die Wohnungen der barmherzigen Schwestern und deren kleines, einfach eingerichtetes Betzimmer. – Ich nahm aus dieser sehr verdienstlichen Anstalt einen sehr angenehmen Eindruck mit und empfehle sie allen Leuten, die irgendwo Geld übrig haben, welches sie zu einem wohlthätigen Zweck anwenden wollen. Die Verwundeten bezahlen dem Doctor nichts und die Anstalt besteht (zum kleinsten Theil) durch freiwillige Gaben; einstweilen hat wohl der Doctor selbst noch das Meiste zuzulegen.

Ich wollte noch ein königliches Lazareth auf der Pfingstweide besuchen; allein ich erfuhr aus sicherer Quelle, daß dergleichen Besuche, besonders von Personen, die der Presse angehören, nichts weniger als gern gesehen würden. Ueber die Gründe dieser zarten Verschämtheit in meinem nächsten Briefe.




Ein sächsisches Bivouac auf dem Schlachtfeld von St. Marie aux Chênes.
Von unserem Specialberichterstatter J. Z - r.

Mit klingendem Spiel kamen die Regimenter des zwölften Armeecorps (Königreich Sachsen) am Tage nach der Schlacht von Gravelotte von einer großen Recognoscirung, die sie nach Metz hin unternommen hatten, zurück. Um St. Privat, welches sie mit den preußischen Garden am Abend vorher erstürmten; hatten sie im Bivouac gelegen. Die Sonne neigte sich eben zum Untergange und beleuchtete das vor uns liegende und von der Höhe weithin übersehbare Schlachtfeld. Regiment auf Regiment, frisch und stolz,

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 643. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_643.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)