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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

uns auf dem äußersten rechten Flügel südlich von dem Dorfe Gravelotte. Das Plateau, auf dem wir standen, war nach Süden zu von dem schon erwähnten gen Gorze sich hinziehenden Walde begrenzt und nördlich in der Richtung von Westen nach Osten von der pappelbepflanzten Allee, die von Metz über Mars la Tour nach Paris führt, durchschnitten. An dieser Straße liegt das Dorf Rézonville, in dessen Nähe es heute schon heiß zugegangen sein mußte, wie die Feuer- und Rauchsäulen bewiesen, die aus seinen Gehöften aufstiegen. In der That hatte die Schlacht vom Sechszehnten sich bis zu diesem Orte erstreckt, die heutige von hier aus begonnen. In nordöstlicher Richtung von Gravelotte aus zieht sich die Straße nach Conflans, die mit der Wegnahme des Knotenpunktes für die Franzosen zur Passage nach Paris ebenfalls unmöglich wurde. Mit ihr parallel aber geht von Metz aus eine Straße über Briey, die dem Feinde ebenso wie der Weg über Conflans nach dem Kampfe bei Mars la Tour noch offen war, wenn ihm damals die erforderliche Kraft und Sammlung zu dessen Benutzung geblieben wäre und an welcher die beiden Dörfer St. Privat la Montagne und weiter nach Metz zu St. Marie aux Chênes liegen.

Um das Dorf Gravelotte, das in einer Einsenkung vor uns lag, hatte sich der Kampf zuletzt gedreht. Ob es in den Händen der Unserigen sei, war nicht zu erkennen. Die dahinter liegenden Höhen, an denen sich die Franzosen auf das Festeste mit mehrfach übereinander angelegten Schützengräben verschanzt hatten, hatten dem Angriffe widerstanden und der Kampf ruhte an dieser Stelle, nur von der Artillerie einstweilen unterhalten. Dagegen wurde nach dem linken Flügel hin von Minute zu Minute das Feuern lebhafter. Man hörte wohl die Schüsse der Kanonen einzeln, obwohl sie sich ununterbrochen folgten, und auch das eigenthümliche Rasseln der Mitrailleusen unterschied sich deutlich, das Kleingewehrfeuer aber, Zündnadel und Chassepot, verschmolz in ein einziges Geräusch, wie man aus einem Platzregen keinen einzelnen Tropfen mehr heraushören kann; bald stärker werdend, bald plötzlich mit aller Wuth wieder nachlassend, um dann loszubrechen. Jeder Tropfen dieses Regens kann ein Menschenleben vernichten.


Max Schneckenburger, der Dichter der „Wacht am Rhein.“
Nach einer Originalzeichnung.

Wir eilten weiter, den Kämpfenden zu, keinen anderen Gedanken als den, der Entscheidung nahe zu kommen. Was unter anderen Umständen unser höchstes Interesse in Anspruch genommen haben würde, jetzt trat Alles in den Hintergrund. Gravelotte, das sahen wir jetzt, war unser. Von den nach Metz zu liegenden Höhen aber spieen die Kanonen. Gegen die an den Abhängen noch vom Feinde besetzten Schützengräben, aus denen ein mörderisches Feuern hervorbricht, gehen die Unseren zum Sturme vor.

Da, eben als wir uns der Straße nähern, welche nach Rézonville führt, entsteht von Gravelotte her eine Bewegung, die von Secunde zu Secunde zunimmt. Einzelne Wagen jagen heraus, Pferde, Mannschaften, Geschrei und Getöse nach rückwärts, nach Rézonville zu. Was ist das? Immer mehr – ganze Züge Reiterei sprengen heraus – der Feind muß plötzlich und unaufhaltsam die Höhe herabgekommen sein; das ist Flucht! Und zweifellos, denn es jagt immer weiter und immer neue Massen ergreift es. Wir stehen wortlos. Vor uns hatte in diesem Augenblick das Feuern nachgelassen, von weitem hatten wir hinter uns eine Batterie auf dem rechten Flügel sich langsam zurückziehen gesehen; waren das alles Anzeichen, daß die Unsrigen gezwungen worden waren, das Errungene wieder aufzugeben? Es fing bereits an zu dunkeln, dem Feinde konnte eine Ueberrumpelung gelungen sein – so wenig glaubhaft dies sein mochte – wie anders sollte sich sonst das sinnlose Ueberstürzen erklären lassen? Da erschollen von den gegenüber liegenden Höhen plötzlich donnernde Hurrahs – wenn unsere Bataillone damit vorgehen, wird der Feind vertrieben, und wenn er bis an den Wirbel sich in den Boden eingewühlt hätte. Das brachte Besinnung, der Strom verlangsamte sich, kam zum Stehen, über das Feld hin wurden die Regimentsnummern geschrieen, die Leute fanden sich wieder zusammen, und die ganze Affaire, die durch ein paar losgerissene Munitionsgespanne, deren Pferde durchgegangen waren, hervorgerufen worden war, verlief ohne weitere Folgen. Die Höhen von Gravelotte waren errungen.

Mittlerweile war auf dem rechten Flügel fast vollständige Ruhe eingetreten. Auf dem linken wurde um das Dorf St. Privat mit allen Kräften gerungen. Schon war der Abend so weit hereingebrochen, daß wir von den in der Luft platzenden Granaten, mit denen der Feind die preußische Garde und das zwölfte Armeecorps überschüttete, nicht blos die grauen Wölkchen, sondern auch den Feuerschein der Explosion sahen; die aus den brennenden Dörfern aufsteigenden Rauchsäulen färbten sich immer glühender und wie das Dunkel tiefer wurde, flammten diese schrecklichen Fanale immer heller auf. St. Privat, St. Marie und das unfern davon liegende Amanvillers waren in Brand geschossen, an anderen vereinzelten Punkten brannte es ebenfalls, der ganze Horizont wurde ein mattes Leuchten, und bald konnte man jeden Kanonenschuß deutlich aufblitzen sehen. Noch aber war die schreckliche Arbeit nicht vollendet, immer wieder auf’s Neue rüsteten sich die Bataillone zum Vorgehen gegen den Feind, von dem man nichts sah, dessen Geschosse aber die Höhen von St. Privat, die letzten, die er noch inne hatte, mit einer leuchtenden Linie umgürteten.

Um uns herum Todte, Sterbende, Trümmer, klaglos wankende Verwundete, zurückgeworfen von den noch besetzten Höhen, die gerade noch Kraft hatten, sich einen Ort zum Niederlegen zu suchen, Blut und Entsetzen! Der unbeschreibliche Ton der fliegende Geschosse, ein Surren und Heulen zugleich, schien einen Bestandtheil der Luft auszumachen, das kleine Geknatter hatte sich etwas beruhigt. Wir glaubten schon an ein Aufgeben des Kampfes, da die Dunkelheit immer tiefer hereingebrochen war. Auf einmal, als ob die Hölle alle ihre Pforten geöffnet habe, erhebt sich auf dem äußeren linken Flügel der Lärm auf’s Neue und mit hundertfach verstärkter Wuth und Eile. Wir sehen nichts mehr, aber mißzuverstehen ist diese Sprache nicht. Die letzten Kräfte werden daran gesetzt, den

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 620. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_620.jpg&oldid=- (Version vom 29.12.2019)