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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Am andern Morgen ging die Reise nach St. Avold. Unterwegs traf ich reitende Feldgeistlichkeit, mit der ich schon in Forbach spirituell Verkehr gepflogen und nach Wahrheit geforscht hatte, – da, wo man sie finden sollte, in vino. Der katholische Pfarrer, der seinen polnischen Küster bei sich hatte, war ein munterer junger Mann, dem seine wie ein Achtgroschenstück große Tonsur ganz pfiffig stand. Er war ein eifriger Wahrheitsforscher und bedauerte unendlich, daß er meinen Drang nach schnellem Fortschritt nicht befriedigen, respective nicht reiten konnte, wie seine nicht im Seminar erzogenen ketzerischen Collegen. Er fuhr übrigens im allerbequemsten Wagen und war mit Hundertthalerscheinen wohl versehn.

St. Avold ist ein reizend in sehr fruchtbarer, hügeliger Gegend gelegenes Städtchen, welches die Einwohner ringsum hartnäckig St. Afort nennen. Die Leute dort hatten sich noch nicht von ihrem Schrecken erholt. Sie hatten alle Fensterläden und Thüren geschlossen (es war übrigens Sonntag, glaub’ ich) und sahen merkwürdig verstört aus. Die Rohheit einzelner Soldaten hatte die Einwohner erschreckt. In einem Hause, gegenüber meinem Gasthof, „requirirte“ ein Soldat bei einem wunderhübschen Mädchen Tabak und als sie ihn nicht verstand, hielt er ihr die Pistole auf die Brust. Ich tröstete sie und versicherte ihr, daß sie keine Angst zu haben brauche, denn kein Soldat in der Armee würde auf eine Frau schießen.

Als ich am Morgen aufbrach, um nach Faulquemont zu reiten, traf ich vor der Stadt die reitende Corps-Artillerie des zweiten Corps und schloß mich der zweiten Batterie an, deren Hauptmann und Offiziere sehr liebenswürdig waren. Wir wurden im Hause einer Frau einquartiert, welche geradezu vor Angst ihren Kopf verloren hatte. Leute aus den vorliegenden Orten, meistens übrigens deutsch, waren im vollen Lauf gekommen und hatten geschrieen: „Wir sind verloren, die Preußen kommen, rette sich wer kann!“ Zugleich war das Gerücht ausgesprengt worden, daß die Preußen nicht nur alle junge Männer, sondern selbst Kinder von zehn Jahren mitnähmen, und ein wilder Schrecken ergriff die ganze Bevölkerung. Alle junge und selbst alte Männer rissen aus; man sah nichts als Frauen, die theils vor Angst zitterten, theils mit Haß auf die Soldaten blickten. Unsere Wirthin hatte ihren einzigen Sohn nach Metz geschickt. Als wir so freundlich mit ihr redeten, fiel ihr ein Stein vom Herzen, und mit der allergrößten Bereitwilligkeit sorgte sie für alle unsere Bedürfnisse. Wir mußten ihr die Bezahlung dafür aufzwingen.

Der Marsch am nächsten Tage nach Mainvillers war nicht lang. Wir kamen bei guter Zeit in’s Bivouac und richteten dasselbe in einem Obstgarten, mit sorgsamer Schonung der Obstbäume ein, während die Geschütze auf dem Felde daneben standen. Im dem Häuschen einer armen Frau auf einem Boden, zu dem wir auf einer Leiter hinaufklettern mußten, machte man für die Offiziere der Batterie und für mich eine Streu und wir schliefen ganz ausgezeichnet. Zum Mittagsessen hatte uns der Bursche pommersche Milchklöße und darauf grüne Bohnen mit Speck gekocht, die uns ganz köstlich schmeckten.

Am nächsten Tage passirten wir das königliche Hauptquartier in Herny. In Lugny begegneten wir einem Zuge, den ich anfangs für eine Menagerie hielt, die zu einem Jahrmarkt zog; allein die Fahne mit dem rothen Kreuz und die Inschrift auf den übrigens sehr hübschen Wagen belehrten mich, daß es die „Sanitäts-Gesellschaft der Pariser Presse“ war, die ich vor mir hatte. Etwa vierzig junge Leute in phantastischem Krankenwärter-Costüm wurden von einem Dutzend katholischer Geistlicher in ihrem gewöhnlichen Costüm begleitet. Die Letzteren machten Gesichter, als hätten sie eine faule Auster gegessen, und waren so tief in ihre stummen Betrachtungen versunken, daß sie meinen artigen Gruß nicht erwiderten. Die Faselhänse waren ganz gemüthlich über die Postenkette hinaus kutschirt und natürlich angehalten worden. Sie waren darüber sehr empört und der Ansicht, daß man sie, laut der Genfer Convention, wieder höchst artig über die Vorposten hinaus zu ihrer grrrande Nation und Armee bringen solle. Sie stellten das dem Könige vor. Polizeirath Stieber, der immer Spitzbube- und Mördergedanken hat, und Chef der Feldgensd’armerie ist, zitterte, daß unter den jungen Menschen vielleicht ein Fanatiker sein möchte, welcher nach dem Könige Schießversuche anstellen könnte, und ich muß gestehen, daß ich diese Furcht keineswegs ungerechtfertigt finde. Der König überließ denn auch die Angelegenheit Herrn Stieber, und dieser fand es keineswegs für zweckmäßig, so viele scharfäugige Pfaffen wieder zurückkehren zu lassen. Man dirigirte die gemischte Krankenpfleger-Gesellschaft nach Saarbrücken, wo sie reichliche Gelegenheit finden werden, Franzosen und die Bekanntschaft mit den „Barbaren“ zu pflegen, von denen sie durch ganz brutale Tapferkeit bis jetzt in jedem Gefecht geschlagen worden sind.

Unser nächstes Quartier war in Cheminot bei einem wohlhabenden Bauer. Als ich in den Hof trat, sah ich ihn mit einem langen Messer in der Hand in der Mitte stehen. Ich war überrascht, denn neben ihm, ebenfalls mit Messern, nur von kleineren Dimensionen, standen drei Weiber, alt wie die Parzen, aus deren Augen ein solcher Haß herausfunkelte, daß sie mich an durch Hunde gestellte wüthende Katzen erinnerten. Sie sannen Mord; da sie aber nicht den Muth hatten, Preußen abzuschlachten, so mordeten sie einstweilen Hühner und Tauben, und stellten sich aus Politik sehr eifrig; eine Politik, die ihnen sehr widerwärtig war, deren Nothwendigkeit ihnen aber hin und wieder durch eine drohende Geberde des Hausherrn in Erinnerung gebracht wurde. – Dieser Hausherr war in seinem Aeußern durchaus Bauer. Er trug eine blaue Blouse, benagelte dicke Schuhe und keine Strümpfe; allein sein Haus und Gehöft konnte sich mit dem manches adeligen Gutsbesitzers messen. Er hatte das Haus selbst gebaut und sehr schön eingerichtet. Obwohl er seine Betten, Vorhänge und sonstige Kostbarkeiten nach Metz in Sicherheit gebracht hatte, so sah man doch an den marmornen Kaminen und an den großen aus Nußbaumholz geschnitzten Schränken, daß der Mann nicht nur Geld, sondern auch Geschmack hatte. Seine Scheunen waren wohlgefüllt und in seinem Stalle hatte er ein gutes Dutzend kräftige Percheronpferde, wovon ihm die bösen Preußen bereits sechs genommen hatten. Er war ein Philosoph. Anstatt mit dem Schicksal zu hadern und sich in fruchtlosen Lamentationen zu erschöpfen, gab er sich alle Mühe, die Wuth der Feinde durch freundliche Bereitwilligkeit zu versöhnen. Das gelang ihm auch, und unsere Freundlichkeit versöhnte sogar die drei Höllenkatzen so weit, daß die Schwarzäugigste von ihnen in den Garten ging, um für uns Mirabellen und Johannisbeeren zu holen. –

In einem Quartier in diesem Dorfe wollten die Weiber den einquartierten zwei Soldaten den Hals abschneiden; als jedoch andere dazu kamen, verbargen sie die Messer unter ihren Röcken. Die Sache wird wohl nicht so ernst gemeint gewesen sein, wie sie mir ein Soldat darstellte; allein das ist sicher, daß die Weiber am wüthendsten sind. Franzosen sind gewöhnlich sehr geizig, um einen armseligen Franken können sie für ein Pfund Lärm machen; vollends die Weiber! Ein poulet oder ein lapin aus ihrem Stall genommen durchbohrt ihnen das Herz, und ihre Lamentationen schallen durch Berg und Thal. Die jungen Mädchen hielten sich alle versteckt; man sah nichts als alte Weiber.

Mainvillers war der letzte Ort, in welchem deutsch gesprochen wurde. Die Kinder auf dem Lande können alle deutsch, allein sie wagten nicht es zu reden, weil es ihnen von den Pfaffen verboten war. In den Schulen wurde die deutsche Sprache nicht gelehrt, so daß sie nur von Wenigen geschrieben werden kann.

Wir mußten schon gegen zwei Uhr Morgens aufbrechen. Der Marsch wurde beeilt, denn es hieß, daß man sich in der Front schlage. Ich hatte mich in den Marketenderwagen gesetzt, denn mein Pferd war gedrückt und nicht zu reiten. Der Pferdehändler, der mir Pferd und Sattel verkaufte – für hundertfünfzig Thaler – hatte mir nicht gesagt, daß der Sattel nicht der gewöhnliche des Pferdes war. Derselbe war zu eng und das Pferd bekam am Widerrist eine dicke Geschwulst, die alles Reiten außer Frage stellte. Ich war freilich unglücklich darüber, denn nun konnte ich nicht, wie ich wollte, vorauseilen. Auf unserem Wege konnten wir von Weitem ein großes Fort von Metz und auch die Kathedrale sehen.

Unser Marsch ging nach Pont à Mousson, einem Städtchen von zehntausend Einwohnern, welches in der Mitte zwischen Metz und Nancy an der Mosel liegt. Während wir geraume Zeit vor dieser Stadt hielten, passirten uns lange Züge französischer Gefangener und Verwundeter, die sich von den Schlachten herschrieben, welche in der Nähe von Metz am Vierzehnten und am Sechszehnten stattgefunden hatten.

Pont à Mousson ist eine hübsche, alterthümliche Stadt, welche von der Mosel durchflossen wird. Am östlichen Ufer derselben erhebt sich ein ziemlich hoher Hügel, auf dem die stattliche Ruine

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