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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

anschlugen, als gelte es, in einer Minute ein Malter Korn zu dreschen. Der Angstruf: „Les Prussiens!“ trieb in der That alle Kinder Frankreichs aus den Häusern, und im Augenblick waren die Zugänge auf die Höhen so vollgestopft, daß mehrere Schlosserlehrlinge und Gesellen sich schon anschickten, den Flüchtigen etwas Eisen zur Beschleunigung zwischen die Beine zu werfen. Nur die Intervention einsichtigerer Bürger verhinderte dieses patriotische Vergnügen. Nachdem unser Braunschweiger vielleicht schon längst aus Freude über sein gelungenes Bravourstückchen einen guten Schoppen im „Nähkörbchen“ zu St. Johann geleert hatte, kamen nach und nach wieder einige Rothhosen zum Vorschein, begrüßt von dem Hohngelächter unserer Gassenjugend, in welches sie selbst einzustimmen nicht unterlassen konnten.

So hatten wir den Feind in unsern Mauern bis gegen Abend des 5. August, nachdem er in den drei vorhergehenden Nächten den Bahnhof und andere Gebäude in St. Johann mit Granaten beschossen und eine grenzenlose Verwüstung angerichtet hatte. An mehreren Stellen brannte es zu gleicher Zeit, und ist unter Anderm eins der ältesten Baudenkmale, das in der Nähe des „Exercierplatzes“ belegene „Deutschherrenhaus“ theilweise ein Raub der Flammen geworden. Glücklicherweise ist die schöne Kirche verschont geblieben.

Bevor ich Ihnen ein schwaches Bild zu geben versuche von dem gigantischen Kampfe am 6. August, muß ich der Vollständigkeit halber erst noch einige andere Thatsachen erwähnen, welche gleichfalls in der Geschichte Saarbrückens verdienen verzeichnet zu sein.

Es war am 3. August, als unser würdiger Bürgermeister, Herr Carl Schmidborn, von dem in St. Arnuel auf dem Rothenhofe eingemietheten französischen Obersten ein Schreiben folgenden Inhalts erhielt: „Herr Maire! Der Unterzeichnete giebt sich die Ehre, Sie zu einem guten Gabelfrühstück auf morgen früh acht Uhr höflichst einzuladen; leider muß ich aber hinzufügen, daß Sie, Herr Maire, alles dazu Nöthige werden mitbringen müssen, denn bei uns hier außen herrscht vollständig leere Küche.“

Was war zu thun? Nun, Herr Schmidborn zog es vor, der Einladung nicht zu folgen, beauftragte jedoch den vielbekannten Restaurateur Fr. Walter, ein solennes Frühstück anzufertigen und in das französische Lager zu besorgen. Als nun ein junger Koch und das nothwendige Transportpersonal halbwegs des genannten Rothenhofs gekommen waren, erschienen Franzosen und nahmen den Nahenden den Speisekorb ab; Niemand außer dem Koch durfte hinauf. Während des Servirens frug der Oberst den jungen Saarbrücker, wie viel Preußen am 2. August den Franzosen gegenübergestanden hätten. Auf die Antwort: „Drei Compagnien vierziger Füsiliere, die an sechs Orten vertheilt waren,“ entfiel dem Commandanten die Gabel.

„Das ist unmöglich!“ rief er, „das kann nicht die Wahrheit sein!“

„Herr Commandant,“ entgegnete der junge Saarbrücker, der als Koch früher im Lager von Chalons thätig war und den Kopf auf dem richtigen Fleck sitzen hat, „Sie werden wahrscheinlich Gelegenheit haben, Herrn Schmidborn zu sprechen, und aus dessen Mund werden Sie ganz sicher dasselbe und nichts Anderes hören!“

„Nun, ich werde mich erkundigen; sollte es aber wahr sein, was Sie mir da sagen, dann – wehe unserer Armee!“

Dasselbe äußerte Nachmittags der Officier, als er Herrn Schmidborn seinen Besuch abstattete, diesem gegenüber und versicherte außerdem der Stadt seinen besonderen Schutz.

Nachmittags um drei Uhr kam der Obergeneral Frossard aus dem französischen Bivouac in die Stadt, begleitet von einem großen Gefolge und einer Abtheilung reitender Jäger sowie einer Compagnie Jäger von Vincennes zur Bedeckung. Er stattete ebenfalls unserm Bürgermeister einen Besuch ab, wollte es aber auch nicht glauben, daß den ganzen Divisionen, die er im Kampfe am 2. August sich entwickeln ließ, blos eine Handvoll Männer, aber Männer in des Wortes wahrer Bedeutung, entgegengestanden waren.

„C’est impossible!“ rief er ein über das andere Mal, und er mag wohl einen Vorgeschmack erhalten haben, mit welchem Feinde er es zu thun bekommen würde. Auf sein Ansinnen, wenigstens auf dem Rathhause die französische Tricolore aufzustecken, ging unser Bürgermeister nicht ein.

„Herr General, wir haben keine solche und sind darauf nicht eingerichtet!“ entgegnete der wackere Mann, und damit hatte es auch sein Bewenden.

Der General versprach, strenge Mannszucht halten zu wollen, und zog alsdann wieder ab, vorsichtig, wie er gekommen war; die vierziger Füsiliere, „les pieds du diable“, wie sie von den Franzosen genannt werden, mochten den General wohl zur Vorsicht mahnen, denn tausend Schritte vor ihm sprengten beständig zwei Hornisten und ein Officier, die erst das Terrain recognoscirten und in jeder Straße ein Signal gaben, ehe der General hineinritt. Gegen vier Uhr ritt er wieder zur Stadt hinaus, wohl nicht ahnend, daß es der letzte Gang sein würde, den er auf deutschem Boden machte.

Nachdem am 5. August die Kunde hier angelangt war von dem Siege des Kronprinzen, wie strahlten da die Blicke der Saarbrücker! Die Franzosen wurden immer seltener in den Straßen, und so wie sie verschwanden, verschwand auch das lothringische Gesindel, das sich mit ihnen in unseren Städten eingefunden hatte. Die Zelte schwanden auf den Höhen „Winterberg“ und „Triller“ und man sah, wie die Rothhosen colonnenweise abzogen. Wohin? vielleicht die Preußen aufzusuchen, die in den Ortschaften und Wäldern des Köllerthales lagerten – oder gingen sie weiter fort über die Grenze zurück? so fragte man sich, aber erst der kommende Tag sollte blutige Antwort geben.

Am 6. des Morgens rückten die ersten preußischen Truppen durch Saarbrücken; es waren Mannschaften des siebenten Armeecorps, das mit seiner Avantgarde nordwestlich von hier bei Guichenbach stand; Artillerie und Infanterie, von der Bevölkerung mit Jubel begrüßt, und gespeist und getränkt von Reich und Arm. Gegen Mittag rückte die Cavalleriedivision Rheinbaben durch, und kaum war ihre Avantgarde über die Hochebene und den Exercirplatz hinaus, so entwickelte sich auch schon der Kampf; der Feind hatte sich festgesetzt und verschanzt auf den Spicherer Höhen. Diese Höhen ziehen sich südwestlich und kaum eine Stunde von unserer Stadt links und nicht weit von der Chaussee von hier nach Forbach hin; sie überragen wohl an dreihundert Fuß das tiefe Thal, das sich westlich nach Frankreich hin erstreckt. Die Spicherer Höhen bilden in der That eine natürliche Festung, sie sind theilweise bewaldet und mit vier kluftartigen Einschnitten versehen, in welchen die Franzosen einen Hinterhalt hatten, aus dem vertrieben zu werden sie sicherlich nicht dachten. Sie entwickelten immer größere Massen und gaben ein mörderisches Feuer auf die tapfere Infanterie, welche ohne jede Deckung das Thal gewinnen mußte, um an den Fuß der verhängnißvollen Hügelkette zu gelangen, welche bastionsartig das Thal beherrscht. Außerdem hatte der Feind die Thalsenkung südwestlich des Exercirplatzes sowie die dahinterliegende Höhe, den „Galgenberg“, stark besetzt. Gegen Mittag griff die vierzehnte Division unter General v. Kamecke die Franzosen an, anfänglich mit Erfolg, bis der General Frossard immer neue Divisionen in den Kampf warf und so das Gefecht zum Stehen brachte. Furchtbar dröhnte der Kanonendonner, Schnellfeuer und ganze Bataillonssalven folgten ohne Unterbrechung, aber noch immer wich die einem zehnfach überlegenen und wohlgedeckten Feinde gegenüberstehende Schaar der Preußen nicht. Doch es war hohe Zeit, daß Truppen der sechszehnten Division und des dritten Armeecorps noch rechtzeitig eingriffen. Das wackere vierzigste Füsilierregiment, unterstützt von drei Escadrons und drei Batterien der sechszehnten Division, hatte schon zwei Mal auf dem ersten Hügelkopf festen Fuß gefaßt, mußte aber immer wieder vor der Uebermacht zurück, und erst als noch fünf Bataillone der fünften Division anlangten und auf dem linken Flügel der vierzehnten Division angriffen, da gelang es, die steilen waldbedeckten Höhen von Spichern zu gewinnen.

Noch einmal versuchte es der Feind, die Preußen zurückzuwerfen, allein vergebens, und als die fünfte Division nach und nach vollständig in die Gefechtslinie eintrat, drangen unsere braven Truppen immer weiter auf dem Hügelplateau vor. Da noch einmal erhielten die Franzosen bedeutende Verstärkungen und noch einmal wüthete der fürchterliche Kampf um die Spicherer Höhen, doch vergebens entwickelte der Feind eine in der That heldenmüthige Tapferkeit, die Preußen blieben Sieger und unter dem Schutz ihrer Artillerie zogen sich die Franzosen in wilder Flucht zurück, begünstigt von der Nacht, die ihren dunklen Schleier über das mit Todten und Verwundeten besäete Schlachtfeld ausbreitete.

Daß die Franzosen ihre Stellung für uneinnehmbar hielten, dafür liegt der Beweis auch darin, daß ganze Compagnien mit

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 587. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_587.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)