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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

besucht und gemerkt, daß es den Preußen (damals wurde es noch gebaut und die Kriegsmarine war noch nicht an den Bund übergegangen) gewaltiger Ernst mit dieser Seeveste sei. Unter ihren Riesenkanonen liegen jetzt auch die drei Panzerfregatten, die mitten durch die ungeschickten Faulenzer von Franzosen gefahren sind. Verfaulen werden die drei Possekel dort sicher nicht, sondern gelegentlich ’mal hervorbrechen, um dem Gegner den Küraß auf dem Leibe auszuhämmern.“

„Meine, daß dies längst hätte geschehen können,“ murmelte ich dazwischen, um dem Alten etwas warm zu machen.

„So, wirklich?! Du klönst ook, as Du dat versteihst, mien soite Jong. Mit Kanonenkugeln schießt man nicht auf Seemöven. Mark Di dat!“ ...

„Werd’s mir merken. Wie steht’s aber nun endlich mit all’ den Inseln bis an das holländische Rottum?“

„Ebenso, wie mit den Küsten. Sind eingewickelt in Watten, wie Edelsteine in Watte! Von Heppens bis Carolinen-Siel ist an der Küste ein Sumpf mit zahllosen Torfgräben durchzogen, an die vier bis fünf Meilen lang, wo nicht der kleinste Weiler einen Baugrund finden kann. Dort, vor dem neuen Brack liegt unser trotziges Wanger-Ooge, wo sich manche Landratte in den schönsten Seebädern Deutschlands Kraft und eiserne Knochen holen könnte, wenn sie weniger bequem wäre. Dort ist auch die letzte Durchfahrt, die Harle, in die ich mich nicht mal ohne kundigsten Lootsen hineinwagen möchte, so wüthet Ebbe und Fluth in allen diesen confusen, labyrinthischen Gerinnen aufeinander. Spiker-Ooge, Langer-Ooge und Baltrum sind nur für Fischerjollen erreichbar, ebenso Norderney besser vom Lande, von der Stadt Norden her, über Krug hinaus, als von der See her. Die Doppelinsel Juist, Bill und Ostdorp und endlich dito Borkum, Ostland und Westland, sind durch die Oster- oder Wester-Ems zu erreichen, wenn man nicht mit den Stiefeln auf dem gottverd… Juister und Borkumer Riff, wo schon so manche brave Theerjacke ihr Ende gefunden, sitzen bleibt. Und was schließlich dennoch an Mannschaft und Strandkanonen etwa gebraucht werden sollte, ist längst an Ort und Stelle und kann jeden Augenblick mit der Eisenbahn nach Emden geschafft werden. Das hat jetzt zum Glück eine Schleuße, die der blinde Mann mit den wunderbaren ledernen Welsen-Buxen nicht geben wollte bis an’s Ende der Tage, weil seine Ostfriesen, die es längst verdient hatten, unter einer andern als einer elenden Unterrocks- und Schmarotzerregierung zu stehen, nicht ganz artig gewesen waren, das heißt die lackirten Spitzbuben nicht gewählt hatten, die man ihnen von Hannover aus so gern octroyiren wollte.“

„Demnach wäre also von dieser Seite her nichts zu besorgen.“

„Wir können bei uns, an der Elbe, ebenso gut singen, wie die am Rhein:

‚Lieb’ Vaterland, kannst ruhig sein!‘

Der alte Haudegen, der Vogel von Falckenstein, hat sich überall in seinem General-Gouvernementsgebiet umgethan und gesagt, was eben viel sagen will, daß er mit uns zufrieden wäre und zur Belohnung dafür solle uns jeder Franzmann, der unsere Küsten betritt, verfallen sein. Da werden wir wohl freilich lange warten müssen, denn bis jetzt rücken und rühren sich die Kerle noch nicht, und die neutralen Schiffe gehen täglich zu Dutzenden nach und von Hamburg ein und aus. Wenn das eine regelrechte Blokade ist, so bin ich mein Lebtag nicht auf Salzwasser geschwommen … Doch jetzt komm, mien Jong, mi ward schon die Zunge dröge (trocken); steckt wi uns een gauden Havannah in den Snabel un kleddern wi Trepp af na uns’ Fregatte.“

Bald umringelten uns die blauen Wolken einer prachtvollen „Corona Regalia“ und wir schlugen mitten durch Blumenflor und smaragdgrünen Rasen, den Weg zum Strande ein, gefolgt von den übermüthig und läppisch lärmenden und springenden Hunden. –

Jens Hinrich hat, als alter Hagestolz, keine sonderlichen Bedürfnisse; ich glaube kaum, daß er jährlich die Hälfte seiner Revenüen aus seinem bedeutenden Vermögen verbraucht. Eines aber ist ihm, außer Rothspohn und Havanna-Cigarren (die er stets direct von seinem alten Freunde Don Juan Miranda in der Vuelta bei Havanna bezieht), unentbehrlich, das ist, täglich einige Stunden auf seinem alten Elemente, dem Wasser, zuzubringen. Zu diesem Zwecke hat er sich, nach eigener Zeichnung, in England einen eisernen Schraubendampfer von winzigen Dimensionen (zwanzig Fuß lang, sechs Fuß breit mit circa zweiundeinhalb Fuß Tiefgang) bauen lassen, der jedoch, vermöge seiner verhältnißmäßig sehr starken Maschine (sechs Pferdekraft) mit Locomotivkessel, der schnellste Renner auf der ganzen Unterelbe und auch dafür bekannt ist. Das ist auch der Grund, weshalb er „the Outrigger“ getauft ist. An dem ganzen, außerordentlich starken Schiffchen, dessen Wandung von gewalzten Eisenplatten beinahe halbzöllig und innen stark verankert ist, befindet sich nicht ein Loth Holz, denn selbst der zwölf Fuß hohe Mast, der nie Segel trägt, sondern nur bestimmt ist, die norddeutsche Bundesflagge zu zeigen, besteht aus eisernen Röhren, die wie ein ungeheures Fernrohr bis zum Verschwinden in einander geschoben werden können. Ebenso läßt sich der sieben Fuß hohe Schornstein umlegen und durch einen vorgesteckten Schwalch in der Biegung schließen. Von dem Rauch wird man überdies nicht belästigt, weil er fast gar nicht vorhanden, denn die Heizung geschieht, vermittelst einer sinnreichen Vorrichtung, durch – Petroleum, von dem immer einige eiserne Ballons unter Deck vorräthig sind. Schiff- und Dampfsteuerrung liegen dicht neben einander, so daß eine Person zur Fahrt vollkommen genügt. Alle diese Eigenschaften und ein dem Elbwasser ähnlicher graugrüner Anstrich lassen den „Outrigger“, wenn es nicht hell ist, kaum auf hundert Schritte, namentlich bei frischer Brise, erkennen. Vor Sturzwellen schützt das hermetisch geschlossene Deck, auf dem nur ein sehr hübscher Einpfünder, eine alte spanische Signal-Carronade thront.

Da lag das schmucke Ding auf dem Sande (es war gerade Ebbe), so daß man seinen Bau vollständig mustern konnte. Alles war in Ordnung; der alte Brückenwärter, früher Heizer auf einem Amerikaner, hatte zum Ueberfluß den Kuhlschwabber (Wollbesen zum Waschen) nicht geschont. –

Es war gegen neun Uhr Abends; die goldige, überhalbe Mondscheibe leuchtete uns trefflich, kein Lüftchen regte sich nach der drückenden Schwüle des Tages, als wir mit noch ablaufendem Wasser, so daß alle Watten, Untiefen und Moorinselchen (die bei der Fluth bedeckt sind) leicht zu erkennen waren, von Blankenese abstießen und mit Viertel-Steam in einem schlanken Bogen, den Süllberg gerade im Rücken lassend, nach der Borsteler Küste hinüberluvten. Mit einer Viertel-Wendung waren wir in vollem Fahrwasser und Jens Hinrich ließ nun der Schraube ihren vollen Willen, was sich wie ein entfernter Trommelwirbel anhörte. Wir flogen wie ein abgeschossener Pfeil dahin, was mich natürlich nicht hinderte – der Kaptein mußte nach Steuer und Compaß sehen, denn es lag eine dicke, flimmernde Luft auf der Elbe – den Proviant zu revidiren, den uns Katrin’ vorsorglich in die Sitzkoje gepackt hatte. Nun, es ging, mit einem Dutzend Léoville, ein paar kalter Enten, einer riesigen Mettwurst, Sahnenbutter, Chesterkäse und Spintbrod war die Lage erträglich. Wir kauten denn auch, denn das feuchte, zehrende Klima macht gewaltigen Appetit, bis Twielenfleth tapfer darauf los, bis wir in das Stader Fahrwasser kamen. Hier mußten wir vorsichtiger fahren. Bald zeigten sich die dunklen Umrisse von Brunshausen, so daß wir es gerathen fanden, Mast und Flagge aufzuziehen und unter den gewaltigen Kanonen des Schwinger Fort, die weit über die Wälle hinausstarrten, vor Anker zu gehen. Eine Stromwacht nahm uns in Empfang und führte uns zum Commandanten der freiwilligen Stromwehr, einem alten Cameraden Jens Hinrich’s, der uns nicht ohne den obligaten, steifen kalten Grog entließ. Neues hatte der Cuxhavener Telegraph nicht gebracht, außer daß General Vogel von Falckenstein im Laufe des Tages die mächtigen Schanzen inspicirt, die dort oben aufgeworfen und mit dem scharfen Geschütz armirt waren, und daß er sich ausnehmend zufrieden erklärt hatte. – Mit besten Grüßen an die uns namentlich benannten Orts- Commandanten der freiwilligen Seewehr in Glückstadt etc. bis Ritzebüttel stachen wir wieder in die Elbe.

Es war inzwischen über eilf Uhr geworden, und wir fuhren mit halber Kraft durch das Butzflether Gatt gerade aus, den Krückauer Sand rechts lassend. Hier erst konnten wir wieder vollen Dampf geben, so daß wir bereits vor ein Uhr Morgens in Glückstadt vor Anker lagen. Wir schraubten die Hähne der Feuerung aus, entleerten das Dampfreservoir und schlossen die Deckplatte, das Schiffchen unter der Obhut der Strandwächter lassend. Die Wirthin des Fährhauses, eine ehemalige Flamme von Jens Hinrich, der also nicht immer fühllos gegen das schöne Geschlecht gewesen, machte uns schnell ein paar Betten zurecht, und bald lagen wir in Morpheus’ Armen, aus denen ich nur öfters durch das sägemühlenartige Schnarchen meines Stubengenossen unsanft aufgerüttelt wurde. …

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 575. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_575.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)