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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


wissen. Ich habe einmal Unglück. Ich habe ja mehr Menschenleben auf der Seele! Und da ich dies Bewußtsein so leicht zu tragen schien – wie sollten Sie nicht denken, daß ich’s auch leicht genommen, wo es galt, durch eine rasche That ein Menschenleben mehr auszulöschen und zu verderben, das mir nun einmal im Wege zu stehen schien? Ich bin ja ein wüster Gesell, ein ruchloser, verluderter Mensch! Vielleicht liegt das weniger in meiner innersten Natur, als in den Umständen, die mich dazu gemacht haben, aber ich bin es, ich scheine es Ihnen nun einmal! Und kurz und gut, es ist dumm von mir – sehr dumm, diese Bitterkeit, diese Wuth, daß Sie mich so nahmen, wie ich mich eben gab. Und nun, mein’ ich, haben wir genug davon geredet. Sie wollen mich entfliehen lassen? Ohne Hintergedanken? Nun ja, ich will’s glauben. Und ich danke Ihnen. Annehmen werde ich Ihr Erbieten nicht. Haben Sie geglaubt, ich würde es?“

„In der That, nein; ich konnte mir denken, daß, wenn auch schuldig sogar, Sie dennoch viel zu stolz sein würden, um von mir einen solchen Dienst anzunehmen.“

„Das sagen Sie sehr bitter. Und Sie haben Recht. Ich werde von Ihnen einen solchen Dienst nicht annehmen!“

„Dann können wir freilich diese Unterredung enden,“ sagte Melusine, sich zum Grafen wendend. Und doch schien es, als ob ein Etwas sie zurückhielte, als ob sie sich von der Hoffnung nicht losreißen könne, daß endlich ein versöhnendes Wort fallen würde, welches die Brücke bilden könnte, über der diese beiden trotzigen, hochmüthigen Herzen, die sich mit solcher Leidenschaft suchten, ohne es sich selbst gestehen zu wollen, sich finden könnten!

Das Wort fiel nicht, von Ulrich’s Lippen wenigstens fiel es nicht, und wie sehr Melusine auch in ihrem Herzen empfand, daß es im Grunde doch an ihr sei, ihm ein Unrecht abzubitten, das sie ihm angethan, indem sie ihren Glauben an seine Schuld einstimmig mit allen Uebrigen ausgesprochen – sie konnte es dennoch nicht über sich gewinen, noch mit einem Schritte nur weiter zu gehen! Und hatte sie nicht schon das Aeußerste gethan, hatte sie es nicht geradezu ausgesprochen, daß sie an seine Schuld nicht glaube? Warum griff er diese Worte nicht auf, warum hielt er sich nicht daran, warum zeigte er sich nicht versöhnt dadurch, warum ließ er sich nicht herab, auch nur noch eine Frage an sie darüber zu stellen? O, er war von einem gar nicht zu brechenden Starrsinn, und halb in Empörung, halb in Verzweiflung darüber verließ sie ihn.




18.

Sie war so erregt, daß sie draußen an dem Richter vorübereilte, ohne daran zu denken, ihm den Bescheid zu geben, den er von ihr erwartete; als sie in den Saal trat, erregte der Hufschlag eines galoppirenden Pferdes im Hofe ihre Aufmerksamkeit. Sie warf einen Blick durch’s Fenster und sah einen französischen Officier da unten sein Pferd anhalten und hörte ihn gleich darauf nach Jemand rufen, der es ihm abnehmen könne. Der Reitknecht kam aus den Ställen heran, der Officier stieg aus dem Sattel und verschwand dann unter dem Schloßportal.

Melusine ging hinaus, dem Ankommenden entgegen, und erwartete ihn oben an der Treppe; sie sah den Officier emporsteigen; er trug einen mit einem Wehrgehenk umschlungenen Säbel in der Hand.

„Der Herr Graf von Maurach?“ fragte der Officier in französischer Sprache.

„Er ist schwerlich sichtbar,“ versetzte Melusine in derselben Sprache, „können Sie mir mittheilen, was Sie ihm zu sagen wünschen?“

„Ich weiß nicht,“ antwortete der Franzose zögernd, „ich komme von Seiten Seiner Hoheit und bin dessen dienstthuender Adjutant; ich habe dem Herrn Grafen diesen Säbel zu überbringen, sowie eine Botschaft auszurichten.“

„Sie haben ihm diesen Säbel zu überbringen?“ rief das junge Mädchen in höchster Ueberraschung aus.

„So ist es!“

„Aber ich bitte Sie, reden Sie, wie kommt es, daß der Großherzog …“

„Dem Herrn Grafen diesen Säbel sendet?“ entgegnete der Franzose, der an Melusinens Sprache sah, daß er eine Landsmännin vor sich habe, und deshalb annehmen mochte, daß er einer solchen Dame gegenüber mit seiner amtlichen Mittheilung weniger geheim zu thun brauche. „Nun, ma foi, sehen Sie, der Herr Graf hat uns in der verflossenen Nacht ein wenig brüsk und stürmisch überfallen und dem Großherzog einen Säbel entführt, auf den seine Hoheit einen sehr großen Werth legte, weil er ihn in der Schlacht bei den Pyramiden und an dem glorreichen Tage bei Ramanieh getragen hat. Das hat sich heute Morgen bei näherem Nachsehen erst herausgestellt. Der Großherzog ist sehr zornig über den Mißgriff geworden und hat mich abgeschickt, den Grafen um die Rückgabe der Waffe zu ersuchen im Austausch gegen diesen Säbel hier, der eine viel kostbarere Arbeit, ein Geschenk der …“

Melusine war so betroffen von dieser unerwarteten Mittheilung des Franzosen, daß sie die Lehne des Treppengeländers ergriff und krampfhaft erfaßte, wie um sich daran aufrecht zu erhalten.

„Was … was sagen Sie da?“ rief sie, ihn unterbrechend, aus. „Der Graf hat in der verflossenen Nacht …“

„Zu einer ein wenig ungewöhnlichen Stunde freilich,“ fiel der Officier ein, „es mochte nicht weit von Mitternacht sein, als er im Jägerhofe, der Residenz Seiner Hoheit, auftauchte –“

„Um diesen Säbel von ihm zu erhalten?“

„Nein, nein, Sie verstehen mich nicht, der Herr Graf hat in der verflossenen Nacht einen Säbel des Großherzogs erhalten, welchen Seine Hoheit …“

Melusine, der sich die Gedanken durcheinander wirrten, die nichts mehr fassen konnte, als daß Graf Ulrich die Nacht hindurch nur deshalb entfernt gewesen, um die Aufforderung, die sie so thöricht an ihn gerichtet, zu erfüllen; daß er trotz der für ihn so schwerwiegenden und bedeutungsvollen Eröffnung, welche ihm gestern die ermordete Frau gemacht, an nichts Anderes gedacht hatte, als ihr, Melusine, den Beweis zu geben wie ernst es ihm darum zu thun sein, ihre Wünsche zu erfüllen – Melusine, die nur dies erfaßte, griff nach der Waffe, welche der französische Officier trug, indem sie ausrief:

„O geben Sie mir, geben Sie mir diese Waffe, ich will sie dem Grafen bringen, er wird sogleich mit Ihnen reden …“

Damit eilte sie davon; der Officier folgte ihr, über diese Heftigkeit der jungen Dame verwundert, nach, er erstieg die letzten Stufen der Treppe und trat in den Salon ein, um dort das Weitere abzuwarten. –

Sie war unterdeß zu Ulrich zurückgeeilt; sie fand ihn in seinem vorderen Zimmer, bei dem Richter, eben im Begriff, diesem klar zu machen, daß er sich mit seinem Ehrenworte, nicht fliehen zu wollen, begnügen könne, was der Beamte sehr kühl abwies; Melusine ergriff stürmisch des Grafen Arm und den Säbel, den sie in der Hand trug, erhebend, hoch aufathmend, rief sie aus:

„Hier – da ist Ihr Geheimniß! Es ist verrathen! – Dort vor der Thür steht der Zeuge, der Sie beschämt. Sie waren während der ganzen Nacht nicht hier, sondern fern, meilenweit fern – erklären Sie dem Richter, wo Sie waren – sagen Sie es ohne Aufenthalt, damit er gehe, den wahren Schuldigen zu suchen.“

Graf Ulrich war erblaßt; er begriff diese Dazwischenkunft Melusinens nicht, aber er sah, daß sein Geheimniß ihr, der es am letzten auf Erden verrathen sein sollte, verrathen war – mit einem unbeschreiblichen Blicke von Bestürzung sagte er: „Was ist geschehen? Was soll die Waffe da? Wie kommt sie in Ihre Hände? Soll ich damit etwa den Mord ausgeführt haben? Ich kenne sie nicht!“

„Sie kennen sie nicht, nein, aber Sie kennen eine andere, die in Ihrem Besitz sein muß, die Sie in der verflossenen Nacht in Düsseldorf waren sich zu holen – Sie haben sie, Sie können sie zeigen als den besten Beweis, wie unschuldig Sie sind an dem Verbrechen – oder wollen Sie noch leugnen …“

„Ich will nichts leugnen. Ich war in der verflossenen Nacht in Düsseldorf – und ich habe Niemanden gemordet! Genügt Ihnen das?“

Melusine drückte ihre beiden Hände auf ihr hochklopfendes Herz. Sie konnte nicht reden. Sie sah ihn stumm an. Es lag ein Flehen in ihrem Blick, wie ein Flehen um ein wenig Güte und Nachgiebigkeit und um das endliche Aufgeben all’ dieses Trotzes. Aber Ulrich stand vor ihr mit denselben, mit unveränderten Zügen. Die Farbe kehrte nicht in sie zurück. Die tiefen Falten seiner Stirn glätteten sich nicht. Tiefaufathmend wandte sie sich endlich zu dem Richter.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 571. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_571.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)