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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

das sei Angelegenheit des Generals Montclar, der sich bald einfinden werde.

Die Aufregung und mit ihr zugleich die Wuth und Verzweiflung der Bürgerschaft stieg immer höher. Der Resident Frischmann wagte sich nicht aus seiner Wohnung, die Zünfte bedrohten den Rath mit Ermordung, weil sie mit richtigem Instinct vermutheten, er werde die Franzosen einlassen. Man wollte aus den straßburgischen Flecken und Dörfern einige tausend Landleute in aller Eile in die Stadt ziehen, aber Montclar hatte alle Zugänge abgesperrt; nur wenige Bauern schlichen sich durch und überbrachten in dieser „Angstnacht“ die Mittheilung, daß schon alle Ortschaften von den Franzosen besetzt, alle an den Kaiser und an den Regensburger Reichstag gerichteten Briefe der Stadt von Louvois aufgefangen und unter lautem Gelächter der Officiere erbrochen worden seien.

Am 28. September, einem Sonntage, fing Montclar an, die Stadt zu berennen, und sagte den Abgeordneten derselben: Straßburg sei seinem Könige durch den westphälischen und den nymwegischen Frieden überlassen worden. Wenn dieser bislang noch nicht für gut befunden habe, sich seines Rechtes zu bedienen, so erfordere doch jetzt sein Interesse, daß er Straßburg nehme, denn er wisse, daß eine kaiserliche Truppenmacht in demselben sich festsetzen wolle. Er, Montclar, sei ein alter Freund der Stadt, und es solle ihm leid thun, wenn sein liebes Straßburg sich durch Halsstarrigkeit in’s Verderben stürzen wolle. Morgen werde der Herr Marquis von Louvois mit der Hauptarmee ankommen, und die Straßburger möchten vernünftig sein. Der König wünsche, die Stadt bei ihren Freiheiten zu erhalten, sie durch Vermehrung ihrer Privilegien glücklich zu machen, aber die Bürger dürften sich nicht als rebellische Unterthanen gebehrden, sondern müßten der französischen Krone Treue geloben und halten.

So voll Lug, Trug und Unverschämtheit war dieser General Montclar, ein würdiger Diener seines Herrn!

Es erschien, der Gewalt gegenüber, lächerlich, daß die Straßburger seinen erlogenen Behauptungen die Wahrheit entgegenstellten; auch erwiderte er auf ihre Einwendungen weiter nichts, als daß er gekommen sei, des Königs Willen bekannt zu machen; es zieme sich für ihn nicht, darüber zu raisonniren. „Sie müssen sich platterdings unterwerfen, oder sich einer Execution gewärtig halten.“

Damit entließ er die Abgeordneten, welche in der Stadt Montclar’s Aeußerungen berichteten. Sogleich versammelten sich die dreihundert Schöffen, die Professoren der Universität, der Kirchenconvent, und auch der kaiserliche Resident wurde zur Berathung herbeigezogen. Die Zünfte stellten sich an den Lärmplätzen auf, Weiber und Kinder strömten in die Kirchen. An Truppen waren nur fünfhundert dienstfähige Söldner in der Stadt; diese, mit etwa dreitausend Mann waffenfähiger Bürger, reichten nicht aus, um die weitläufigen Festungswerke gegen ein Angriffsheer zu vertheidigen, das jetzt mehr als vierzigtausend Mann zählte. Man sah wohl, daß Straßburg verloren sei.

Am 29. September traf Louvois in dem benachbarten Illkirch ein und ließ hochmüthig dem verächtlichen, weil verrätherischen, Rathe zu wissen thun, daß einige Abgeordnete zu ihm hinauskommen möchten; er werde ihnen im Auftrage seines Königs etwas eröffnen. Es kamen Abgeordnete, welchen der Mordbrenner genau mit denselben frechen und unwahren Behauptungen entgegentrat, die schon am Tage vorher Montclar geäußert hatte. Als die Abgeordneten dieselben als ganz unrichtig nachgewiesen, ergrimmte Louvois, ließ jede Maske fallen und rief: „Ich verlange eine kurze deutliche Erklärung, ob Straßburg den König von Frankreich für seinen souverainen Herrn erkennen, seinen Soldaten die Thore öffnen und eine Besatzung einnehmen, oder ob die Stadt in einen Aschenhaufen verwandelt sein will.“ Er fügte hinzu, man habe lange genug Bedenkzeit gegeben, an der Sache selbst lasse sich nun einmal nichts ändern; der König wolle es so, und wenn man verstockt bleibe, dürfe man nicht ferner auf Gnade hoffen. Dann drehete er sich mit stolzer, verächtlicher Miene um und ließ noch fallen, daß man sich bis Mittag entschlossen haben müsse.

Die Abgeordneten kamen in die Stadt zurück, in welcher ein ungeheurer Jammer sich erhob. Man war von Kaiser und Reich im Stiche gelassen, die Verräther drängten zur Uebergabe, und unter den Gründen, welche von anderer Seite geltend gemacht wurden, fiel einer am schwersten in’s Gewicht. Man sprach nämlich die Erwartung aus, daß das Reich unmöglich seinen „Hauptschlüssel“ auf die Dauer in den Händen des gefährlichsten Reichsfeindes lassen, also die französische Besitznahme nur vorübergehend sein werde.

Der Rath bat in Anbetracht seiner „Ew. Excellenz bekannten Gesinnungen“ um Aufschub bis zum 30. September Mittags, weil er die Bürgerschaft zu befragen habe und sie auf das Unabänderliche vorbereiten müsse. Nachdem die Sachen einmal so weit gekommen waren, blieb dieser freilich keine Wahl mehr; nur allein die Schneiderzunft, wie ich schon hervorhob, erklärte sich bereit, bis auf den letzten Mann zu kämpfen, und wollte von keinem Vergleich und von keiner Unterwerfung unter den Reichsfeind etwas wissen.

Von ehrlichen Leuten wurden damals manche Gründe hervorgehoben, welche eine Uebergabe als unvermeidlich erscheinen ließen. Zuerst das alte, klägliche und leider wahre Lied, daß man vom Kaiser keine Hülfe erhalten habe, auch in größter Bedrängniß eine solche nicht erwarten dürfe; ferner seien die Festungswerke, aus Mangel an Geldmitteln, in nicht vollkommenem Zustande. Durch die langjährigen Quälereien der Franzosen sei der Wohlstand der Kaufleute wie der Handwerker völlig untergraben worden; die Stadt habe keinen Credit mehr und deshalb die Besatzung entlassen müssen, als sie derselben am Nöthigsten bedurfte; es seien nicht einmal Leute genug vorhanden gewesen, die Wälle zu besetzen; ein Widerstand, der unter so kläglichen Umständen doch nicht von Erfolg sein könne, werde die Stadt nur völlig zu Grunde richten und Ludwig der Vierzehnte so wie so seinen Willen erreichen.

Ich habe schon gesagt, daß Straßburg als Festung eine reine Jungfrau geblieben war. Weder Karl der Kühne von Burgund, noch Heinrich der Zweite von Frankreich, noch die Schweden während des dreißigjährigen Krieges hatten dasselbe erobert. Nun, von Kaiser und Reich verlassen, von Verräthern gedrängt, von der Noth bezwungen, öffnete es seine Thore. Es schloß am 30. September eine Capitulation mit dem Mordbrenner Louvois, der Vollmacht hatte, die Stadt Straßburg „unter Seiner Majestät Gehorsam anzunehmen.“ Dieser bestätigte ihr (auf dem Papier, wohl verstanden) alle Privilegien, auch die kirchlichen, denn Straßburg war protestantisch; nur das Münster sollte den Katholischen wieder eingeräumt werden. Die Bürgerschaft sollte von allen Contributionen befreit sein. Daß diese Capitulation nicht gehalten, sondern sofort verletzt wurde, versteht sich bei Menschen wie Louvois und Ludwig dem Vierzehnten von selbst. Zu den Unterzeichneten gehörten von Zedlitz und Güntzer.

Am 30. September 1681 um vier Uhr Nachmittags rückten fünfzehntausend Franzosen in Straßburg ein; das alte Bollwerk Deutschlands befand sich in Ludwig’s Händen! Dem Reiche war, wie man damals schon ganz richtig sagte, damit eine „unheilbare Wunde“ geschlagen. Aber weshalb hat dasselbe eine Stadt, an welcher ihm so viel gelegen sein mußte, ganz vernachlässigt und nicht alle seine vereinigten Kräfte aufgeboten, um sie sich zu erhalten?

Du siehst, lieber Alfred, welche Sünden und Fehler ein starkes Deutschland wieder gut machen muß, welche geschichtliche Gerechtigkeit es jetzt zu üben hat!

Was geschah in Straßburg nach der Besitznahme durch die Franzosen? Zu den schlimmsten Reichsverräthern gehörte Franz Egon von Fürstenberg, der katholische Bischof der Diöcese, welcher nicht in der protestantischen Stadt, sondern in Zabern wohnte. Er hatte, sammt seinem Bruder Wilhelm, seit Jahren als bestochener Söldner in Ludwig’s Interesse gearbeitet. Am 4. October mußten die Bürger den Eid der Treue ablegen; am 20. zog Egon von Fürstenberg unter dem Schall französischer Pauken und Trompeten in die evangelische Stadt ein, gefolgt von seiner Klerisei, und nahm Besitz von der Münsterkirche. Ludwig selbst eilte herbei, um das Kleinod, nach welchem er lange gierig gestrebt und das er endlich geraubt hatte, persönlich zu besichtigen. Jener verrätherische Egon empfing den „königlichen Mordbrenner“, denn das war Ludwig, am großen Portale und dankte ihm, daß er durch des Königs Arm wieder in den Besitz der Kirche gekommen sei, aus welcher die Ketzer seine Vorgänger vertrieben hätten. Dann fügte der „grauköpfige Schurke“, wie die Straßburger diesen Bischof nannten, die schamlosen Worte hinzu: „Ich kann mit dem alten Simeon sagen: Herr, nun lässest du deinen Diener in Frieden fahren, denn meine Augen haben deinen Heiland gesehen.“ Der Heiland dieses grauköpfigen Bischofs war der bluttriefende Verfolger der Hugenotten, der König, welcher das Elsaß und die Pfalz mit Mord und Brand verwüstete.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 567. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_567.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)