Seite:Die Gartenlaube (1870) 563.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

die Bonapartes, aber gefährlich auch für Tausende dort lebender deutscher Familien. Denn was sich seit dem griechischen Befreiungskriege, wo die Türkei durch ihre Verfolgung aller griechischen Ansiedler im Reiche den Zorn des ganzen civilisirten Europa gegen sich heraufbeschwor, kein Staat wieder erlaubte, das begeht nun Frankreich, das laut seines eigenen Zeugnisses bisher allein an der Spitze der Civilisation marschirte! Es ist nicht die blinde Wuth des Pöbels, sondern ein Decret der Gesetzgebung, welches die Ausweisung aller Deutschen aus Frankreich verordnet! Bis jetzt sind Hunderte flüchtiger Familien aus Paris allein am Rhein angekommen. Mag der Pariser Pöbel die Behörden beeinflussen, so war das doch sicher in Lyon nicht der Fall, wo die französischen Behörden den norddeutschen Bundesconsul (Schlenker), der zugleich Baiern, Württemberg und Baden dort vertritt, unter unerhörten Gewaltmaßregeln verhafteten und die forcirte Liquidation seines Vermögens einleiteten, trotz der vollständigen Zahlungsfähigkeit des Mannes. Und dabei ist die Dummheit solcher Maßregeln noch größer als die Gemeinheit derselben, denn die Deutschen sind unter den diplomatischen Schutz des nordamerikanischen Gesandten gestellt, dessen Staat nicht gewohnt ist, Beleidigungen gegen Complimente auszutauschen.

An der Spitze eines neuen Ministeriums erfüllt nun auch die Kaiserin Eugenie ihre Mission, indem sie die „befreundeten Höfe“ in London, Wien, Kopenhagen, Stockholm und Florenz um Rettung des europäischen Gleichgewichts anfleht. Und was wäre möglich gewesen ohne die gewaltigen Schwertstreiche unserer Helden! Wir wissen, daß ein hoher Adel nebst Geistlichkeit in Salzburg prächtig hat illuminiren lassen, als die Nachricht von dem „großen Siege“ Napoleon’s und Lulu’s bei Saarbrücken dahin kam; wir wissen, daß in Kopenhagen das Bündniß fertig war bis zur Unterschrift, bis die Siegesdonner aus dem Elsaß es wieder verstecken hießen: wir wissen, daß in Stockholm und Florenz die Höfe für Frankreichs Gloire mitschwärmten und daß selbst Holland nur durch die Furcht von dummen Streichen zurückgehalten worden ist. Diese Erfolge unserer Siege wollen wir ja nicht vergessen, wenn wir den Dank zusammenrechnen, den wir unseren tapferen Soldaten und weisen Heerführern schuldig sind.

Eine Kriegsnachricht, welche uns noch am 17. zukam, war der Ausfall, welchen die Straßburger Garnison am Nachmittag des 16. August gegen Ostwald hin gewagt, und den sie mit Verlust an Mannschaft und von drei Geschützen zu büßen hatte. Am 18. August wehten schon am frühesten Morgen die Freudenfahnen durch alle Straßen und verherrlichen die Siegesbotschaft von einer zweiten blutigen Schlacht vor Metz, über welche wir das Telegramm selbst berichten lassen:

Pont-à-Mousson, 17. August, sieben Uhr zehn Minuten Abends. Generallieutenant von Alvensleben ist mit dem dritten Armeecorps am 16. August westlich von Metz auf die Rückzugsstraße des Feindes nach Verdun vorgerückt. Blutiger Kampf gegen die Division von Decaen und die Corps L’Admirault, Frossard, Canrobert und die kaiserliche Garde vom zehnten Corps. Von Abtheilungen des achten und neunten Corps unter Oberbefehl des Prinzen Friedrich Karl successive unterstützt, wurde der Feind trotz bedeutender Uebermacht nach zwölfstündigem heißen Ringen auf Metz zurückgeworfen. Die Verluste aller Waffen sind auf beiden Seiten sehr bedeutend. Diesseits ist der General v. Doering und v. Wedel gefallen, v. Rauch und v. Grueler sind verwundet. Seine Majestät der König begrüßte heute die Truppen auf dem siegreich behaupteten Schlachtfelde.

A. B. v. Verdy.“

Bazaine, der Obergeneral, legte mit dieser Schlacht seine neueste Feldherrnprobe ab. Eine dritte wird folgen müssen, wenn er nicht mit dem Rest seiner Armeen in das hungernde Metz eingesperrt werden will.[1] Den Siegern hat dieser Kampf zweitausend Gefangene, zwei Adler und sieben Geschütze eingebracht. Leider haben die Franzosen abermals ein Stück ihrer Gloire der Civilisation dadurch verloren, daß sie nach Aerzten schossen, welche in ihrem Berufe auf den Verbandplätzen waren; wo Alles zusammenbricht, wird auch die Genfer Convention gebrochen.




Blätter und Blüthen.

Professor Thumann, der, wie unsern Lesern bekannt ist, im Interesse der Gartenlaube den Kriegsschauplatz und die Schlachtfelder von Weißenburg und Wörth bereist hat, schreibt uns: Auf allen von der deutschen Armee genommenen Positionen wurde, wie allseitig erzählt wird, von den Einwohnern Theil am Kampfe genommen und in Folge dessen sind viele derselben zu kriegsrechtlicher Verurtheilung gefangen genommen. Sie wurden zugleich mit denen, welche ihren Haß an Verwundeten und Wehrlosen durch Scheußlichkeiten ausgelassen – gebunden und unter Bedeckung transportirt. In Wörth lief eine Frau, Todesangst auf dem Gesichte, mit einem Papier herum, jeden Officier bittend, ihr dasselbe zu unterschreiben. Es war ein Attest über gute Führung ihres Vaters und Bruders, welche Beide wegen Theilnahme am Kampfe mit Anderen nach Sulz abgeführt waren und kurzem Richtspruche entgegensahen. Der Corpscommandeur hörte die Unglückliche an und erfuhr dabei, daß durch kaiserlichen Aufruf die Nationalgarde sich verpflichtet fühle, dem einrückenden Feinde entgegenzutreten, und daß ein kleiner Schein des Rechts auf Seite der nichtuniformirten Vaterlandsvertheidiger vorhanden sei und den deutschen Truppen an jedem Orte Aehnliches widerfahren werde. In wie weit diese Entschuldigung zur Begnadigung geführt, ist mir nicht bekannt; ähnliche Ereignisse wiederholten sich so oft, daß ein einzelner Punkt nicht zu verfolgen war, es ist aber vom Hauptquartier eine besondere, die Sachlage klar beleuchtende Proclamation erlassen worden, welche für weitere Fälle durchaus den Wege der Gnade auszuschließen scheint.

Unter den aus Wörth nach Sulz (dem Hauptquartier) wegen Theilnahme am Kampfe – dieselbe hatte natürlich nur aus gedeckten Stellungen stattgefunden und gewöhnlich hinterlistig den Einzelnen getroffen – eingebrachten Gefangenen befanden sich zwei regelrecht für’s Feld ausgerüstete Civilisten, Pariser, wie man sagte; ein ältlicher magerer graubärtiger mit interessantem Ausdruck und ein jüngerer Mann, dessen Gesicht etwas Verschwommenes und Ordinäres, dessen Erscheinung etwas Ausgestopftes zeigte. Die ganze Gesellschaft wurde von ihrer Wache gegen jede Thätlichkeit, die ihr von Seiten der leidenschaftlich erregten Mannschaften sicher gewesen wäre, geschützt, trotzdem lag auf allen Gesichtern eine ausgesprochene Todesangst, je nach dem Charakter des Einzelnen in verbissene Wuth, scheinbare Gleichgültigkeit oder haltlose Verzweiflung gekleidet. So wurden sie in das wohlverwahrte Ortsgefängniß gebracht und dort unter Wache gestellt, nachdem noch ein Officier den aufgeregten nachdrängenden Soldaten entschieden mitgetheilt hatte, daß Niemand sich in das Urtheil zu mischen habe, sondern daß die dazu bestimmte Obrigkeit das Ihrige thun, das Recht ausüben werde. Hier nun scheint der oben erwähnte, von französischer Seite gemachte Einwurf das summarische Verfahren gekreuzt zu haben, wenigstens war ich am zweiten Morgen in Sulz Zeuge, daß kurz vor Aufbruch des Hauptquartiers nach Märzweiler die beiden Pariser, vor dem Gefängniß stehend, die Weisungen eines Adjutanten mit frohen Gesichtern entgegennahmen und die größte Bereitwilligkeit ausdrückten, den Befehlen nachzukommen.

Zwei Correspondenten, vom „Figaro“ und dem „Gaulois“, waren in Wörth auf dem Kirchthurme abgeschnitten und haben so einen bösen Tag der Angst mitmachen müssen. Doch wurde ihnen vom Kronprinzen nach der Hand ein Passirschein ausgestellt) mit dem sie über Basel nach Hause reisen sollten, zugleich ist ihnen der Auftrag geworden, „Alles, was sie bis jetzt gesehen, gehört und erfahren, recht genau ihren Blättern mitzutheilen.“ Wenn man bedenkt, mit welcher Gemeinheit gerade diese beiden Blätter deutsches Wesen beschmutzt haben, mit welchen Lügen gerade sie ihre Leser bewirthet haben, so erscheint die Behandlung ihrer beiden Mitarbeiter als eine so edle, daß nur ein Mann wie der Kronprinz von Preußen sie ausüben konnte. – (Wie wenig die beiden „Mitarbeiter“ des Figaro und des Gaulois diese Behandlung verdienten und wie wenig sie sich auch derselben würdig zu machen suchten, geht aus Nachfolgendem hervor. Der Eine derselben, kaum nach Paris zurückgekehrt, hatte nichts Besseres und Eiligeres zu thun, als im „Figaro“ seinen Landsleuten in der schamlosesten Weise vorzulügen, der Kronprinz von Preußen habe ihm seine Bewunderung über das französische Heer rückhaltlos eingestanden und ihm zuletzt offen bekannt, daß er solche – nämlich französische – Truppen niemals anzugreifen den Muth haben werde, außer er befinde sich mit seinem – dem deutschen – Heere in bedeutender Ueberzahl. Wie groß ist doch selbst heute noch die Unverschämtheit dieser Pariser Lügenbeutel und wie klein, wie kindisch muß der Verstand des Volkes sein, dem man zumuthet, solche Windmacherei zu glauben       D. Red.)




Noch einmal „die Wacht am Rhein“. Während wir noch in der letzten Nummer der „Gartenlaube“ unserem Bedauern Ausdruck gaben, daß es bis zur Stunde nicht gelungen sei, den Namen des Dichters aufzufinden, dem Deutschland sein neuestes Nationallied verdankt, scheint plötzlich das Geheimniß endgültig gelöst: eine ausführliche Einsendung in der „Kölnischen Zeitung“ aus der Hand des Universitätsprofessors Dr. K. Hundeshagen in Bonn bezeichnet als den Dichter der „Wacht am Rhein“ den um das Jahr 1851 zu Burgdorf in der Schweiz verstorbenen Max Schneckenburger.

Hundeshagen hat denselben 1834 zu Bern kennen lernen, wo er, etwa zwanzig Jahre alt, als ein sehr begabter und strebsamer Jüngling in einem Droguerie-Geschäft die bescheidene Stellung eines Gehülfen inne hatte. Im Jahre 1838 oder 39 trat M. Schneckenburger als Theilhaber in eine unter der Firma „Schnell und Schneckenburger“ neugegründete Eisengießerei in der zum Canton Bern gehörigen Stadt Burgdorf. Dort war damals ein reges Leben und die ziemlich zahlreiche deutsche Colonie, zu welcher auch der nachmals durch die Begründung der Musterturnanstalten zu Darmstadt so berühmt gewordene Pädagog A. Spieß gehörte, und an die sich Schneckenburger, seiner Geburt nach ein Würtemberger (er war aus Thalheim), eng anschloß, pflegte namentlich mit Eifer das um jene Zeit neu erwachte deutsche Nationalgefühl. In diesem Kreise erregte natürlich die berüchtigte Thiers’sche Kriegsdrohung die größte Aufregung, und wie anderswo das Becker’sche Rheinlied, so entstand durch sie hier „die Wacht am Rhein“, gedichtet von Max Schneckenburger. Hundeshagen hat es den Dichter selbst im Kreise seiner Freunde unter größter Begeisterung der letzteren declamiren hören. Seit jenen Tagen sind dreißig Jahre verflossen, die meisten der Genossen von damals sind schon heimgegangen, und unter ihnen, wie schon gesagt, auch der Dichter des Liedes, der um 1851 starb, nachdem er unter den Einwohnern Burgdorfs sich eine geachtete Stellung erworben. Das Lied ist, wie Hundeshagen zu wissen glaubt, sein einziger poetischer Versuch geblieben.

Nachdem so der Dichter des Liedes von uns gegangen, ahnungslos, daß noch zwanzig Jahre nach seinem Tode durch die wenigen und einzigen von ihm gedichteten Strophen sein Name der schon drohenden Vergessenheit


  1. Diese dritte Schlacht ist im Augenblick, wo der Druck dieser Nummer beginnen soll, siegreich geschlagen. Wir können in der Eile hier nur bemerken, daß, wie König Wilhelm an die Königin vom Bivouac bei Rézonville am 18. August Abends neun Uhr telegraphirte, die französische Armee unter seiner Führung in sehr starker Stellung westlich von Metz angegriffen, in neunstündiger Schlacht vollständig besiegt, von ihren Verbindungen mit Paris abgeschnitten und gegen Metz zurückgeworfen worden ist. Der Engländer hat Recht, welcher in diesen Tagen ausrief: „Deutschland steht an der Spitze der Welt!
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 563. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_563.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)