Seite:Die Gartenlaube (1870) 562.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

die Straßburger seit zwei Jahren kaiserliche sogenannte Hülfsvölker aus eigenen Mitteln verpflegen mußten! Auch das thaten sie gern, doch der Kaiser war elend genug, diese Hülfstruppen abziehen zu lassen, weil Louvois Drohungen ausstieß!

So brach das verhängnißvolle Jahr 1681 herein. Noch einmal hatten die Straßburger sich mit dringenden Bitten um Hülfe an das Reich gewandt, aber auch diesmal wurden sie wieder zur Geduld verwiesen. Als man endlich mit dem Plan umging, sechstausend Mann Reichstruppen nach Straßburg zu werfen, war dasselbe von den Franzosen, welche sich des Rheinüberganges bemächtigt hatten, schon völlig eingeschlossen. Kaiser und Reich fürchteten sich vor Ludwig dem Vierzehnten, der ohnehin unter den Fürsten Bundesgenossen erkauft hatte, und wagten nicht, den Krieg zu erklären. Die Geschichte, mein lieber Alfred, giebt auf allen Seiten die Lehre, daß Vielköpfigkeit der Völker und Staaten Unglück ist. Das Elsaß und Straßburg, Lothringen, die Niederlande und so vieles Andere ging verloren, weil Deutschland keine, Frankreich aber eine starke Centralgewalt hatte. Das merke Dir.

Während Straßburg sich in vieljähriger Bedrängniß befand, war innerhalb seiner Mauern, im Schooße der Rathsherren, französische Wühlerei und Ränkesucht unermüdlich beflissen gewesen, die Fäden des Verraths anzuspinnen. Auch gelang es dem Residenten Ludwig’s, einem Herrn Frischmann, willige Werkzeuge zu finden. In älteren Büchern kannst Du lesen, daß Straßburg nicht durch Verrath gefallen sei; doch wissen wir seit länger als fünfzig Jahren aus mehrfach veröffentlichten Documenten, daß ein solcher angesponnen war. Aber richtig ist auch, daß die Stadt, nachdem sie einmal von Kaiser und Reich keine Hülfe mehr erwarten konnte, über kurz oder lang doch fallen mußte.

(Schluß folgt.)




Aus den Tagen des Kampfes.
Wochen-Rapport Nr. 2.

Jetzt, Franzosen haben wir Euch die volle Wahrheit gesagt“ – mit dieser Lüge beginnt die in der Nacht vom achten zum neunten August an die Straßenecken von Paris angeschlagene Proclamation der französischen Minister an die betrogene „große Nation“; mit dieser Lüge, sagen wir, denn schon in der dritten Zeile ihrer Proclamation sprechen sie von „einigen Regimentern“, welche der Uebermacht des Feindes erlegen seien, während ebensoviele Armeecorps zu Grunde gegangen waren.

Blicken wir heute auf die ersten Siege, bei Weißenburg, Wörth und Forbach, und auf die Erfolge zurück, die wir dadurch erreicht haben, so kommen wir über das Erstaunen hinaus, das uns anfangs zu der Frage bewog: Wie ist das möglich geworden? Was konnte eine Macht, welcher das starke Oesterreich in drei Monaten erlag, schon nach einem Feldzug von drei Tagen so bis in’s Mark erschüttern?

Die Antwort auf diese Frage liegt jetzt so offen da, daß man sich fast schämt, sie niederzuschreiben. – Nicht der französische Soldat hat Das verschuldet, er hat seine Tüchtigkeit und Schlagfertigkeit bewiesen: nicht die Bewaffnung, denn sie hat sich als ganz vorzüglich bewährt; auch nicht die Führung allein, denn einzelne Stellungen der Franzosen, wie auf den Höhen bei Weißenburg und Forbach, waren so stark, daß sie vielleicht manchem andern Heere gegenüber ihre Uneinnehmbarkeit behauptet hätten. Die Schuld liegt wo anders: Napoleon hatte bereits den halben Krieg verloren, ehe er nur zum Angriff gekommen war. Er war besiegt durch die zweischneidige und vergiftete Waffe, die er so oft mit Glück geführt hatte und deren scheußlichen Namen wir bereits ausgesprochen haben: die Wucht der aufgehäuften Lüge ist’s, die ihn lähmte und zermalmen wird.

Die Diplomatie hatte ein leichtes Spiel mit dem Manne, der am liebsten Das hörte, was er wünschte, und das wurde ihm gerade von der deutschen Presse in Fülle geboten. Denn wer auswärts nur diejenigen Zeitungen las, welche preußen- und deutschfeindlich der dänischen, der welfischen, der österreichischen Rachepolitik, dem baierischen Patriotismus und der ultramontanen und socialdemagogischen Kampfbegier dienten, dem konnte wohl die Zerrissenheit der Deutschen die vollendetste Rheinbundfähigkeit vorspiegeln. Diese Zeitungen logen, die Volksstimme hatte sie längst verurtheilt. Die Gesandten und diplomatischen Agenten mußten das wissen, aber auch sie logen im eigenen Interesse, im Gefühl der Annehmlichkeiten ihrer Stellung. Der Kaiser aber belog sich selbst, indem er all’ diesen Stimmen nicht nur glaubte, sondern sie sogar nach Zahlen schätzte. Er nahm die Hülfstruppen der Deutschen zu dreihunderttausend Mann an und berechnete nach der Voraussetzung, daß seine Truppen von den Deutschen auf deutschem Boden ernährt werden müßten, auch den Bedarf für sein Heer in Frankreich selbst. Mit der einmüthigen Kriegserklärung aller Staaten des Nordbundes und des Zollvereins stürzte das Kartenhaus des Rheinbundes ein: es galt, Zeit gewinnen, um den Rechenfehler hinsichtlich der Heeresstärke und der Proviantvorräthe zu verbessern, und die außerordentlich starken Stellungen hinter den Weißenburger Linien und auf dem Spicherer Berge hinter Forbach hatten, nach der Aussage eines gefangenen Officiers in Neustadt in der Pfalz, die ausdrückliche Bestimmung, die deutschen Heersäulen mindestens acht Tage aufzuhalten, – für diese Kriegsgeschichte eine wichtige Kunde, die uns von sicherer Hand zugekommen ist, und der zu Liebe wir diese ganze Darlegung und Kritik der Lüge in unseren geschichtlichen Wochenrapport eingeschaltet haben. Die außerordentlichen Folgen der drei Siege von Weißenburg, Wörth und Forbach sind dadurch am einfachsten erklärt: sie kamen um mindestens acht Tage zu früh und trafen den Gegner noch mitten im Aufbau seiner versäumten Vorbereitungen.

Die Thore nach Frankreich waren erbrochen, die drei Heere hatten ihren donnernden Einzug gehalten und ihre gesammte Reiterei übernahm nun die Verfolgung des „sich rückwärts, d. h. bei Metz, concentrirenden“ Feindes. Zugleich passirte aber ein anderer Zug diese geöffneten Thore: Tausende von Verwundeten, Freund und Feind, wurden zu den Pflege- und Heilstätten in Deutschland befördert, und Tausende von Gefangenen traten den langen Weg zu den Casematten deutscher Festungen an. Und während diese Völkerwanderung zwischen Rhein und Mosel auf und ab wogte, traten von Brest und Cherbourg Geschwader um Geschwader die Panzerschiffe der französischen Flotte ihren Weg zur Nord- und Ostsee an. Auf welches Maß von Besorgniß wir uns hinsichtlich eines Angriffs auf unsere Küsten zu beschränken haben, darüber giebt uns ein besonderer Artikel der Gartenlaube („Der Schutz unserer deutschen Küsten“) erfreulichen Aufschluß. Uebrigens sind die Kreise Flensburg, Apenrade und Hadersleben schon seit dem 3. August in Belagerungszustand erklärt.

Wo möglich noch rascher als der Rückzug der Franzosen geschah der Vormarsch der drei deutschen Heere. Im Verlauf einer Woche ist zum Beispiel des Königs Hauptquartier von Mainz über Kaiserslautern bis vor Metz vorgerückt. Immer neue Heerzüge rücken zur Grenze, und wahrhaft ergreifend ist es, Regiment um Regiment mit voller Musik über den Rhein ziehen zu sehen. Die Generale an der Spitze, die weißen Häupter entblößt, die Musik „Die Wacht am Rhein“ spielend, begrüßen die Soldaten mit tausendstimmigem Hurrah den Vater Rhein! – Wo noch so gesunde Begeisterung im Volke lebt, da hat ein Reich noch eine Zukunft.

Die nächsten Tage nach den großen Siegen brachte die ganze deutsche Nation auf der Folter der Ungeduld zu. Die Zeitungen in der Hand verfolgte man auf den Karten Schritt um Schritt unsere Heere vorwärts, – so leicht durch das Glück verwöhnt wird selbst ein so verständiges, durch seine Geduld weltberühmtes Volk wie das deutsche! Und die Nachrichten kamen, bald von den Feldlagern, bald aus Paris, bald von unseren Nordküsten, bald aus aller Welt, ganz so freudig, wie wir sie nach so langen Jahren der Prüfung wahrlich verdient haben.

Die erste Nachricht vom Felde meldete die Einschließung von Straßburg, dem ältesten Schmerzenskinde Deutschlands. General Beyer besetzte mit einer Division Badener die Eisenbahnen nach Hagenau, Paris und Lyon und forderte den Commandanten zur Uebergabe auf. Ward diese auch verweigert, so können wir jetzt, wo das ganze Elsaß, die einzige Festung Bitsch ausgenommen, in den Händen der Deutschen ist, mit voller Siegesgewißheit einstweilen im Geiste das deutsche Banner wieder auf dem Münster Erwin’s aufpflanzen. Die Truppen, welche bisher im Schwarzwald ihre Wacht am Rhein hielten, sind bei Müllheim über den Strom gegangen und haben die große Fabrikstadt Mülhausen besetzt. Dort hatte der Fabrikant Köchli allein Napoleon fünftausend Freischärler zum Kampf gegen Deutschland versprochen und sich dadurch die Warnung des „Kladderadatsch“ zugezogen:

„Köchli, Köchli,
Kriech’ in’s Löchli,
Sonst zerklopft man dir die Knöchli!“

Dieser Rath ist befolgt, alle Deutschenfresser flohen in die Schweiz.

Die Reiterei der drei deutschen Hauptheere hatte indeß die Linie von Saarunion, Tenquin, Faulquemont (Falkenberg), Foulay und Les Etangs, die sie noch am 9. August eingenommen, bald überflügelt, große Vorräthe an Lebensmitteln, Ponton-Colonnen und Eisenbahntrains waren erbeutet und die kleine Festung Lützelstein ward von ihrer Besatzung verlassen, wiederum mit Hinterlassung reicher Waffen- und Proviantvorräthe.

Auch die Aenderung des Obercommandos scheint den Franzosen das verlorene Kriegsglück nicht zurückzubringen. Bazaine, der schmutzige Held von Mexico, ist an Napoleon’s Stelle getreten und füllt sie würdig aus. Noch am 10. August sahen alle französischen Augen auf Metz, als das letzte große Bollwerk Frankreichs im halberoberten Lothringen, wo man die Entscheidungsschlacht erwartete. Anfangs schien es, als ob die französische Armee an der französischen Nied, einem Nebenflusse der Mosel, Stand halten wolle. Aber schon am 11. August ging sie über die Mosel zurück und statt ihrer erschienen die deutschen Reiter vor Metz, Pont à Mousson und Nanzig, und die Avantgarden der beiden ersten deutschen Armeen mußten ihr auf dem Fuße gefolgt sein, denn schon am 14. August wurde vor Metz selbst ein neuer Sieg errungen, dessen Kunde für ganz Deutschland zu der entsprechendsten Feier des 15. August, des Napoleonstages, kam; hatte doch gerade diesen Tag das „Prestige“ und „die große Mission“ Napoleon’s zum Siegereinzug in Berlin bestimmt.

Napoleon, dessen Name in den Kriegsberichten nur noch selten genannt wird, hat sich nach Verdun, als sein Hauptquartier ohne Armee, zurückgezogen, eilt aber, da die Deutschen bereits vor Toul standen und sogar bei Commercy und Bar-le-Duc ihre Schrecken verbreiten, nach Chalons, um in dem dortigen Lager große neue Rüstungen zur Rettung Frankreichs, das heißt seiner Dynastie, vorzubereiten. Wenn diese Zeilen in die Hand des Lesers kommen, werden wir bereits wissen, was aus ihm geworden ist.

Wir haben noch einen Blick auf Paris zu werfen, wo die Schläge, welche das Heer empfängt, ihre gefährlichste Wirkung äußern, gefährlich für

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 562. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_562.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)