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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Gelegenheit vom Zaune, um die Straßburger zu bedrängen und sie fühlen zu lassen, daß er ihnen schaden könne, während sie vom deutschen Kaiser Schirm und Hülfe vergeblich erwarteten. Er wollte sie mürbe machen, die Reichsfreiheit sollte ihnen sauer werden. Dasselbe geschah auch mit den übrigen Landestheilen, welche noch einen Schein von Reichsfreiheit zu retten gewußt hatten. Als am Ende die Bedrängniß zu gräßlich geworden war, erkannten sie 1680 die Oberherrschaft Frankreichs an, und Ludwig hatte sein Ziel erreicht, wenn nun auch das allein noch unabhängige Straßburg ihm huldigte.

Welcher Mittel und Wege bediente sich der „große“ Monarch, um die Elsasser mürbe zu machen?

Ich will Dir einige Beispiele geben. Im Jahre 1673 legte sich der berüchtigte Mordbrenner Louvois, Kriegsminister und Liebling Ludwig’s, mit französischen Kriegsvölkern in das Elsaß und that den Straßburgern zu wissen, er werde sie nächstens besuchen, „um ihre vortrefflichen Festungswerke zu besichtigen“. Bald nachher kam er wirklich; wie die Chronik sagt, „zeigte man ihm aber nur so viel, als man ihm ohne Schaden zeigen konnte.“ Unverweilt stellte sich heraus, worauf die Sache hinzielte. Ludwig der Vierzehnte kam persönlich nach Breisach, das damals eine Festung und in französischer Gewalt war. Ihr gegenüber auf dem linken Rheinufer, im Elsaß, liegt Colmar, das sammt neun anderen Reichsstädten seine Unabhängigkeit auch nach dem westphälischen Frieden gewahrt hatte. Ohne irgend eine Veranlassung lagerten sich vierhundert französische Reiter vor die Stadt; als der Rath und die Bürgerschaft sofort Geschütze auf die Wälle führten und in Waffen traten, um einen Angriff abzuwehren, ließ der französische Commandant melden: „sein mächtiger König werde ein solches Betragen der Colmarer sehr übelnehmen und dasselbe ohne Zweifel rächen, falls man die Kanonen nicht wegfahre. Daran werde Seine Majestät Wohlgefallen haben.“ Der Rath ging in die Falle; am andern Morgen standen fünftausend Franzosen, die Louvois herangeführt hatte, vor der Stadt, und während Abgeordnete mit diesen eine Besprechung hatten, drang sein Kriegsvolk in die Stadt. Colmar war geraubt, die Bürger wurden entwaffnet, die Wälle von den Franzosen besetzt, Geschütze und Kriegsvorräthe weggenommen und nach Breisach hinübergebracht. Die Bürgerschaft mußte die Räuber verpflegen, jedes Haus erhielt sechs bis zehn Mann Einlager und durfte von Glück sagen, daß die Stadt nicht auch förmlich ausgeplündert wurde. Neunzig Kanonen eigneten die Franzosen sich an, sprengten die Thürme, rissen die Wälle nieder, füllten die Gräben aus. „Colmar war in ein offenes, wehrloses Dorf verwandelt; und so ging es auch den Städten Schlettstadt, Kaisersberg, Oberehnheim, Hagenau, Weißenburg, Landau, überhaupt allen zehn Reichsstädten im Elsaß. Bald nachher zog Turenne in die Pfalz, wo die Franzosen mit Raub, Mord und Brand schon 1674 so erschrecklich wütheten, daß die gekränkte Menschheit darob seufzet; sintemalen kannibalische Gräuel von diesem bestialischen Kriegsvolke begangen wurden.“

Seit 1674 hörte für das allein im Elsaß noch reichsfrei dastehende Straßburg die Bedrängniß nicht auf. Rings um das Gebiet der Stadt und auf demselben lagerten sich nach Belieben französische Soldaten; denn von Unantastbarkeit derselben war schon lange keine Rede mehr; und die „bewaffnete Neutralität“, die zu allen Zeiten eine Lächerlichkeit und ein kläglicher Deckmantel für Schwäche oder Unentschlossenheit gewesen ist, half den Straßburgern nichts. Man vermehrte die Besatzung um tausend Mann, nahm außerdem zwei Compagnieen Schweizer in Sold und die Bürgerschaft belastete sich mit Abgaben, welche die früheren um das Vierfache überstiegen. Aber sie brachte auch diese Opfer willig, weil sie um jeden Preis von den Franzosen verschont und beim Reiche bleiben wollte.

Marschall Turenne, welchen Du in unseren ordinären Geschichtsbüchern als einen „Helden“ dargestellt findest, war allerdings ein kluger Feldherr, aber als Mensch nicht viel besser, als der Mordbrenner Louvois. Während er immerfort den Straßburger Rath versicherte, daß er von Freundschaft für Stadt und Bürgerschaft durchdrungen sei, gestattete er, daß seine Soldaten das Straßburger Gebiet ausplünderten, und als dann von den erbitterten Bauern manche Räuber auf frischer That erschossen wurden, beschwerte sich der edle Marschall, daß man unbefugter Weise tapfere Krieger seines Königs ermorde!

Inzwischen hatten die Kaiserlichen unter Montecuculi einige Anstalten getroffen, die Franzosen zu vertreiben; der Feldzug wurde aber lahm geführt, und das Elsaß, in welchem nun zwei Heere lagen, kam nur in noch ärgere Bedrängniß, während nach Abzug der Reichstruppen Straßburgs Lage um desto schlimmer wurde. Das „Mürbemachen“ nahm seinen Fortgang.

Unter den vielen französischen „Mordbrennern“, denn dies ist die geschichtliche Bezeichnung, welche in jener Zeit entstand, war eben so schlimm als Melac, Duras, Louvois und Dutzende von Anderen ein Oberst La Brosse, der eine aus dem ärgsten Gesindel, entlassenen Sträflingen und Gaunern, zusammengesetzte Freischaar befehligte. Dieser La Brosse überfiel 1677 die Stadt Weißenburg, ließ Häuser und Kirchen rein ausplündern und dann die Stadt an allen vier Ecken anzünden. Am folgenden Tage erschien er in Hagenau, schwang selbst eine Brandfackel in der Hand, bezeichnete seinen Rotten die Stelle, wo Feuer angelegt werden solle, und noch ehe der Abend hereinbrach, war die einst so schöne Stadt ein glühender Haufen von Trümmern. Am Selzer Wörth ließ er die Bauern niedermachen, alle Häuser ausplündern, dann in Brand stecken, so daß sie in Rauch aufgingen; „auch hat dieser mordbrennerische Franzos nicht einmal zulassen wollen, daß die Pawern ihre unschuldigen Kinder aus dem Feuer retteten. Aus dem Mund dieses Ungeheuers selbst hat man gehöret, daß er sagte: nichts könne ihm so großes Plaisir machen, als das Prasseln der Flammen und das Gerassel einstürzender Häuser und Gebäude.“ Aber noch in demselben Jahre wurde dieser Mordbrenner bei St. Leonhard von fünf Kugeln durchbohrt. Im folgenden Jahre verwandelten die Franzosen die Stadt Bar in Asche; und im ganzen Elsaß wie in der Pfalz giebt es keine einzige Ortschaft, welche nicht Zeugniß von der Wütherei der Franzosen ablegen könnte.

So waren die ersten Acte des gräßlichen Trauerspiels beschaffen; der letzte wurde vorbereitet und die Tage von Straßburgs Unabhängigkeit waren gezählt. Die Katastrophe nahte heran. Ludwig der Vierzehnte hatte die berüchtigten Reunionskammern in Breisach und Metz eingesetzt, die ihm „von Rechts wegen“ Alles zusprachen, was er auf dem linken Rheinufer zu besitzen wünschte. Sie sagten ihm, auch auf Straßburgs Besitz habe er ein unbestreitbares Anrecht, und er ließ darüber dem Rathe der Stadt Eröffnungen machen. Dieser erwiderte: Straßburg und dessen Unterthanen seien Reichsstand, auch dem Könige von Frankreich keineswegs unterworfen, noch jemals unterworfen gewesen. Darauf entgegnete der Präsident der Breisacher Reunionskammer: er wisse sehr wohl, daß Straßburg eine freie Reichsstadt sei, auch solle die Freiheit derselben keineswegs angetastet werden; „davor soll Gott uns bewahren. Aber der König ist souverainer Herr des Elsasses, in welchem die Stadt Straßburg verschiedene Aemter besitzt. Deshalb ist sie im Namen dieser königlichen Unterthanen und aller Beamten schuldig und verbunden, der Krone Frankreich den Eid der Treue zu leisten, und will sie sich dessen weigern, dann wird man sie durch Gewalt zu ihrer Pflicht anhalten.“

Du siehst, lieber Alfred, wie man „Rechtstitel“ fabriciren kann. Straßburg, von Kaiser und Reich im Stiche gelassen, mußte sich bequemen, diesen schändlichen Eid zu leisten. Es bat flehentlich, daß beim Abschlusse des Friedens, welcher 1679 zu Nimwegen in den Niederlanden zu Stande kam, ihre Freiheit und Sicherheit durch einen besondern Artikel gewahrt würde; „allein solches geschahe nicht, und diese Stadt, an welcher doch dem ganzen Reich so viel gelegen war, wurde ganz vergessen.“

So war Straßburg schmachvoll preisgegeben, und doch hielt die kerndeutsche Bürgerschaft standhaft aus, um nicht vom Vaterlande getrennt zu werden, um nicht in die Gewalt der Franzosen zu fallen. Sie brachte unablässig große Opfer. Seit Anbeginn des dreißigjährigen Krieges, länger als ein halbes Jahrhundert hindurch, war ihr einst so schwunghafter Handel lahm gelegt, und die Gewerbe hatten furchtbar gelitten. Die Bewohnerschaft war schwächer, die Abgabenlast, wie ich schon erwähnte, vervierfacht worden; dabei hatte man, während auch die Bürgerschaft Waffen trug, nicht selten vier- bis sechstausend Mann Truppen im Solde und sich zudem noch eine Schuldenlast von vier Millionen Reichsthalern zu Zwecken der Vertheidigung aufgebürdet. Was that das Reich für sein Bollwerk? Es bewilligte ihm zwanzigtausend Gulden Kriegsbeisteuer (Römermonate), welche Straßburg selber von den Ständen beitreiben solle. Der schwachköpfige Kaiser Leopold der Erste war den Straßburgern sechszigtausend Thaler an baarem Gelde schuldig, aber dieser „Allzeit Mehrer des Reichs“ – bezahlte nicht, während doch

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