Seite:Die Gartenlaube (1870) 558.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


Fiedel noch in einem alten Wappen zu sehen ist. Kirchheim-Bolanden, Wienweiler, Kaiserslautern, Homburg waren die folgenden Hauptquartiere. Als ich in Homburg Nachmittags meinen Spaziergang nach dem Schloßberge machte, an den gar malerisch die kleine Stadt sich anlehnt – war aus der Ferne, aus der Richtung von Saarbrück herüber, Kanonendonner zu vernehmen. In die Stadt zurückkehrend begegnete ich in den Mienen der Einwohner dem Ausdruck der Angst und Bestürzung – in der militärischen Umgebung des Prinzen war jene Erregung, die der Gedanke an den Kampf in jedem soldatischen Herzen erzeugt, nicht zu verkennen. Man flüsterte sich zu, daß unsere Truppen gegen das zweite Corps (General Frossard) im Feuer ständen. – Die erste Armee war zum größten Theile engagirt, von der zweiten Armee nur eine Division, aber immerhin genug, um den Prinzen zu vermögen, sich auf den Schauplatz des Kampfes zu begeben. Die Locomotive war bereits geheizt, von Viertelstunde zu Viertelstunde kamen telegraphische Meldungen. Aller Augen hingen an den Mienen des Obercommandirenden, in erwartungsvoller Spannung zu erfahren, welche Wendung der Kampf genommen habe, aber diese blieben unverändert, fest und ruhig. – Bald darauf wurde der Eisenbahnzug wieder abbestellt – am Abend erfuhr man die Nachricht von dem Siege der Unseren und der Niederlage des Generals Frossard, vom Vormarsch unserer Truppen auf Forbach.

Am nächsten Tage wurde das Hauptquartier nach Bliescastel, einem rheinbayerischen Städtchen nahe der französischen Grenze, verlegt. Rechts und links war bereits von Kaiserslautern aus die Straße von den preußischen Truppencolonnen wie von einer doppelten sich fortbewegenden Mauer eingefaßt. Die Mannschaften, dem Gardecorps angehörend, bezogen Abends Bivouacs. Das Auftauchen der Wachtfeuer rings auf den Bergen in den abenddunkelnden Himmel hinein war von wunderbarer Wirkung. Der Prinz war mit seinem Gefolge auf einen erhöhten Punkt gegangen, um von da aus das herrliche Bild zu überschauen.

Da meldete sich ein Ordonnanzofficier, ein Lieutenant v. König, von den Siebzehner Braunschweig’schen Husaren. Er berichtete, daß er mit vier Mann zur Recognoscirung über die französische Grenze ausgeschickt worden und unbeanstandet bis vor Saargemünd (französisch Sarreguemines, Département de la Moselle) gekommen sei. Dort sei er auf eine Verbarricadirung durch gefällte Bäume gestoßen, habe von jenseits der Brücke Feuer bekommen und gegeben. Darauf habe er einen Civilisten in die Stadt zum Maire mit seiner Karte geschickt. Auf dieselbe habe er blos „von König“, ohne Angabe seines Officiergrades, geschrieben, um der Sache mehr Gewicht zu verleihen. Bei dem Bürgermeister habe er anfragen lassen, ob Militär in der Stadt liege; wäre dies nicht der Fall, so habe er denselben auffordern lassen, daß die gefällten Bäume entfernt würden, widrigens die Stadt als keine offene, sondern wie ein fester Platz betrachtet würde. Die Antwort des Maires Barre de Geiger lautete, daß die französischen Truppen aus der Stadt abgezogen seien und daß die Hindernisse, welche den Zuzug zur Stadt versperrten, sogleich beseitigt werden sollten. Das geschah denn auch mit gezogenem Revolver und in Begleitung von drei Husaren- der vierte war zur Beobachtung zurückgelassen worden – ritt der recognoscirende Officier in die Stadt ein, wo er sich allsogleich von einer großen Menschenmenge umringt sah und der Maire ihn mit der Bitte empfing, die Stadt als eine offene zu betrachten und schonen zu wollen. Dieses kecke Husarenstückchen wird durch die Illustration dargestellt, welche ich Ihnen zugleich mit diesen Zeilen überschicke.[1]

Am nächsten Morgen brach das Hauptquartier auf. Ging es an diesem Tage über die französische Grenze? Diese Frage stand auf allen Mienen geschrieben, und die Spannung überbot diejenige auf das erste Hauptquartier diesmal noch um ein Bedeutendes. Die Landleute sagten zwar, daß die Straße, die wir zogen, der Weg nach Frankreich sei – aber nach ihren Angaben, daß die Grenze nur zwei Stunden entfernt und nach der Zeit unserer Fahrt zu schließen, die schon an vier Stunden gedauert hatte, waren wir am Ende doch nicht auf dem heißersehnten Wege. Und doch – dort zeigte sich der weißblaue bairische Grenzpfahl und darüber hinaus – der blauweißrothe mit der Ueberschrift: Empire français! Hinüber – hinüber – es ist keine fremde Erde, die wir betreten, es ist Lothringen, altes deutsches Reichsland, dem Mutterlande durch Raub entrissen. Sei es von uns tausendmal mit jubelndem Herzen begrüßt! Hinüber – hinüber! Vor einundzwanzig Tagen an der Spree tiefster Friede, nach einundzwanzig Tagen eine siegreiche Armee an der Saar, und Deutschland einig – einig –; Jahrhunderte haben nach diesem Ziele gerungen – und haben es nicht erreicht. Und wir haben es erlebt – wir sind des großen Gedankens und des übermächtigen Gefühls voll, wir können sagen: Wir sind dabei gewesen!




O Straßburg, o Straßburg, Du wunderschöne Stadt!  
Sendschreiben an meinen Sohn, den preußischen Landwehrmann.


     Mein lieber Alfred!

Die Trommeln wirbelten durch unser deutsches Land, und auch Du zogst mit in den Kampf. Du weißt, daß es sich darum handelt, ob Frankreich, wie seit länger als zweihundert Jahren, so auch künftig das traurige Vorrecht behalten soll, nach Belieben die Ruhe Europas zu stören und eigennützige Zwecke zu erstreben oder ob endlich einmal unter den Staaten ein regelrechtes Verhältniß zur Geltung kommen solle. Schon in diesem Augenblick giebt der Erfolg des Kampfes uns die Zusicherung: Deutschland wird endlich die ihm gebührende Machtstellung erhalten.

Nur durch den Besitz deutscher Lande, welche Kaiser und Reich zur Zeit unserer unglückseligen Kirchenstreitigkeiten schmachvoll hinopferten, ist Frankreich so mächtig geworden, daß seine Stellung für Europa und insbesondere für Deutschland so bedrohlich geworden, und glaube es mir, mein theurer Alfred, es giebt keine Sicherheit und keine dauernde Ruhe für unsern Erdtheil, so lange jene abgerissenen ehemaligen Reichslande sich in den Händen des wetterwendischen Volks der Franzosen befinden, die sich immer von einem Extrem in das andre treiben lassen.

Du erinnerst Dich, wie oft ich Dir von dem erzählte, was ich auf meinen Wanderungen durch das Elsaß gesehen, diesen Garten Europas, welchen kerndeutsche Leute alemannischen Schlags bewohnen.

Ich werde den Tag nicht vergessen, an welchem ich zum ersten Male den Fremersberg bei Baden-Baden bestieg. Es war an einem herrlichen Sommerabend, etwa eine halbe Stunde vor Sonnenuntergang. Vor mir lag das herrliche, üppige Rheinthal von Worms und Speier bis aufwärts zu den Grenzen des Sundgaus ausgebreitet; der Strom schlängelt sich hindurch wie ein riesiges Band von Silber; die Gipfel der Vogesen und die scharf eingeschnittenen Berge der Hardt wurden von den Strahlen der Sonne vergoldet, und an den Abhängen lagerte ein veilchenblauer Duft, der sich allmählich immer tiefer färbte. Das Auge weidet ach an dieser prächtigen Landschaft, in welcher unzählige Städte und Dörfer zerstreut liegen, aber am Ende bleibt es ruhen auf dem Straßburger Münster, dessen hoher Thurm wie ein gewaltiger Mast in die Lüfte ragt.

Da lag also Straßburg vor mir, einst der Schlüssel zum deutschen Reiche, als Festung eine „Jungfrau“, die nie zuvor einem Feinde die Thore geöffnet, bis sie durch Schwäche des Reichs und durch Verrath in die Gewalt Ludwig’s des Vierzehnten von Frankreich fiel. Ueber mich kam tiefe Wehmuth und ein unbeschreiblich schmerzliches Gefühl. Ich sah die Höhen des Wasgau welche im Südwesten Deutschlands Thermopylen bilden; ich dachte an den Ausspruch Karl’s des Fünften, der kurz und bündig lautet: „Wenn die Franzosen vor Straßburg und die Türken vor Wien stünden, würde ich Wien fahren lassen und Straßburg retten.“ und doch ist die wichtigste Festung Deutschlands, in einer Zeit kläglicher Schwäche und Erniedrigung, preisgegeben worden!

Das war schmachvoll, aber es ist noch unendlich schmachvoller

  1. Wir bedauern, diese Illustration unsern Lesern erst später mittheilen zu können, da ihre Herstellung bis zum Drucke der vorliegenden Nummer nicht möglich war.
    D. Red.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 558. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_558.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)