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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Jüten, trotz Holzkorken und Bocksbart, eine so genaue Kenntniß unseres Fahrwassers und seiner Untiefen angeeignet, daß sie den Weg beinahe mit verbundenen Augen zu finden wissen. Die kleinen Veränderungen, die in dem zickzackigen Sandgetriebe durch Springfluthen und Eisgänge auf kurze Zeit entstehen, werden am Ende durch das natürliche Gerinne regulirt und die alte Elbkarte tritt immer wieder in ihre Rechte. Diese verhungerten Kerle sind es, die, wenn sie blankes Silber in Species oder gar Gold sehen, uns allenfalls gefährlich und den wälschen Strandräubern und Mordbrennern sehr nützlich werden können.“

„Ich habe doch aber gehört, daß, auf Grund eines Neutralitätsgesetzes, es allen dänischen Unterthanen streng verboten ist, den kriegführenden Parteien irgendwelche Dienste, namentlich aber Lootsendienste zu leisten!“

„Ohle Dösbaddel, hätt ick binah seggt, streng verboten … ja, so lang sie ihnen noch etwas zu verbieten haben. Wenn der Däne aber nun, ebenso schlau als niederträchtig, auf kurze Zeit die dänische Jacke aus- und die französische anzieht, das heißt jetzt Franzmann und nach dem Kriege wieder Hannemann wird, glaubst Du, daß sie ihm das geringste Hinderniß bereiten werden? Glaubst Du denn, daß die in Kopenhagen nicht bei der ersten bedeutenden Schlappe der deutschen Waffen die Zähne zeigen und die eingezogenen Krallen herausstrecken werden?! Der Bär, dem man Honig zeigt, stürzt sich darauf, gleichviel ob er mit dem Kopfe in der Baumspalte sitzen bleibt. Und im Versprechen und Maulumschmieren ist der Franzose groß, im Halten nachher, wenn die Klemme vorüber, ist er der feilste Galgen-Bankerutteur, den je die gnädige Gottessonne beschienen! Gott verd… mi, ich kenne das, weiß ein Lied davon zu pfeifen, die wälschen Bestien, die mir das Theuerste, was …“

Damit schlug Jens Hinrich mit seiner eisernen Faust auf den Tisch, daß Flaschen und Gläser tanzten und die Hunde sich ängstlich verkrochen, stürzte hastig einen Special hinunter, sprang und lief garteneinwärts.

Schon häufig hatte ich seit Jahren Gelegenheit gehabt, wenn sich die Plaudereien auf diesen Punkt lenkten, den tiefgewurzelten Franzosenhaß dieses sonst so seelenguten Mannes kennen zu lernen; ich habe nie, trotz aller vorsichtigen Ausforschungen, den eigentlichen Grund dafür finden können, auch seine besten Freunde vom Seeleben her konnten mir keinen Aufschluß darüber geben. –

Jens Hinrich P-n’s Vater war, wie er selber, Schiffscapitain gewesen, hatte in St. Pierre auf der französischen Antilleninsel Martinique eine bildschöne (dem noch vorhandenen Pastell-Portrait nach zu urtheilen) Mulattin kennen gelernt und sie nach Europa heimgeführt. Dort ward mein Freund Jens Hinrich 1810 in Itzehoe geboren. Trotz deutscher Geburt erbte er von seiner Mutter das mahagonibraune Colorit, die „schattige Livrei des Südens“ und das krause, rabenschwarze Haar. Auf seinen meist westindischen Reisen nahm der alte P-n häufig Frau und Kind mit, das nach und nach zu einem handfesten Burschen heranwuchs. Eines Tages kehrte, es war im Herbst 1830, Jens Hinrich, damals Bootsmaat auf dem Schiffe seines Vaters, ohne diesen und die Mutter zurück. Wo sie geblieben, oder wie sie gar ein Ende genommen, darüber schwebte ein tiefes, bis heute nicht gelüftetes Geheimniß, das in den ernst-drohenden Zügen des sonst so lebensfrohen muntern Mannes sichtlich begraben lag. – Bald darauf, nach glänzend bestandener Steuermannsprüfung, übernahm er sein eigenes Schiff, das er über zwanzig Jahre in allen Längen- und Breitengraden herumführte, und mit dem er, durch fortdauerndes Glück begünstigt, ein bedeutendes Vermögen erwarb, um sich 1852 am Elbstrande als alter Hagestolz zur Ruhe zu setzen.

Das ist die kurze, bündige Geschichte meines Freundes.

Jetzt kam er langsam zurück, ruhig, als sei nichts vorgefallen.

„Mien Jong, Du mußt mi datt nich öwel nehmen; Du weetst ja … na, en anner Buddel Wiin … so prost! … Also, ick vertellte Di …“

„Wegen der Möglichkeit dänischer Lootsen auf der Elbe …“

All right … Ja, sieh nur, davor brauchen wir keine allzugroße Bange zu haben. So weit von Altona aus die Elbe abwärts geht, ist unser hochgelegenes rechtes Ufer überall wohlbewacht, vom linken zu geschweigen, das zu flach ist. Und doch sind bei Brunshausen, dem Stader Hafen, wie Du Dich überzeugen wirst, die alten Schanzen bis an die Brüstung schwer armirt, und bei Cuxhaven natürlich große imposante Werke geschaffen, deren eiserne Visitenkarten den französischen Kanonenjollen übel behagen würden. Und dabei passen ihre Kerle, die in ihrem Leben nie tüchtige Theerjacken werden, nicht einmal ordentlich auf den Dienst, kommen jedenfalls aus der Bottelier-Cabine nicht heraus, denn sonst ist es nicht zu klaren, wie es möglich gewesen, daß unser Panzer-Widder ‚Arminius‘ unbemerkt von ihnen vom Sund bis hierher hat kommen und sich gestern mitten in der Elbe, zwischen Cuxhaven und dem Neufelder Watt, vor Anker legen können.“

„Ja, das ist freilich stark!“

„Nun liegen sie draußen, maulaffen, natürlich in respectvoller Ferne, das schwarze Ungethüm an und warten, daß Succurs kommt, um den Angriff wagen zu können.“

„Wenn nun aber im schlimmsten Falle ihnen eine Landung dennoch gelingt?“

„Dafür hat der alte Eisenfresser in Hannover, Euer Vogel von Falckenstein, gründlich gesorgt, und wir haben eine tüchtige Portion Senf dazu gegeben. Zwischen Otterndorf, Ritzebüttel und Cuxhaven bis rückwärts nach Dorum wimmelt es von Kriegsleuten aller Waffen, zu denen sich unsere freiwillige See- und Landeswehr gesellt. So ein fünf- bis zehntausend Rothhosen würden einen siedend warmen Empfang finden, wenn sie nicht gleich beim Versuche der Landung, was sicher ist, müßten Seewasser saufen lernen. Unterdessen amüsiren sich die Filous damit, harmlose Küstenfahrer, denen sie nicht nachlaufen können, zu cujoniren, mal auf einen Baumwollensack von lumpigem Engländer – was ihnen aber doch mal theuer zu stehen kommen kann – einen Schuß abzufeuern, weil sie die durch ihre eigenen heimischen Krämerseelen besudelte britannische Flagge nicht gleich erkannten, und überhaupt möglichst viel Kohlen und Pulver zu vergeuden. Ein paar Mal haben sie Parlamentair-Boote mit dem weißen Lappen hereingeschickt und um frische Gemüse und Fische für ihre „Kranken und Leidenden“ gebettelt, wobei sie einen hübschen Sack Geld klingen ließen. Die vom Hadelner Canal und Neuhaus haben ihnen aber geantwortet, daß ihre ‚gesunden Jungen‘ ihre Möhren, Steckrüben, Zuckererbsen, Bohnen, Blumen-, Wälsch- und Rosenkohl allein äßen, und die Blankeneser, daß die Herren Parlezvous, wenn sie Appetit auf Schollen, Seezungen, Steinbutten und Schellfisch hätten, sie sich ja allein fangen könnten. Es wäre das ganz leicht, wenn sie nur Geduld hätten und verstünden, den lieben Thierchen ‚du sel‘ auf Schwanz und Flossen zu streuen! …“

Wir mußten ob dieser echt niedersächsischen Naivetät Beide in ein schallendes Gelächter ausbrechen, in das die Hunde mit freudigem Gebell einstimmten und zu dem der sich am Fenster schaukelnde grüne Brasilianer (Papagei) sein mir wohlbekanntes „Hurrah Kaptein!“ beisteuerte.

Nachdem diese heftige Explosion der Lachmuskeln endlich verhallt war und Mensch und Thier sich beruhigt hatten, fuhr ich fort:

„Du hast Dich vortrefflich informirt, alter Freund, auf der ganzen Niederelbe scheint Deinen Falkenaugen und Deiner Localkenntniß nichts entgangen zu sein; allein wie steht es mit der wohl an fünfundzwanzig Meilen langen Nordküste von Cuxhaven bis Emden und die holländische Grenze? Bieten die davor liegenden zahlreichen Inseln und Inselchen dem Feinde nicht willkommene Terrains, um eine Landung nicht mindestens zu versuchen?“

„Will ich Dir wieder auseinander kalfatern, mien Jong. Du meinst doch vorzugsweise die Strecke von nördlich von Bremerhaven bis hinter die Emsmündung in den Dollart. Der letztere ist nun freilich der exponirteste Punkt, wenigstens scheinbar … aber eben auch nur scheinbar! ... Ganz abgesehen davon, daß, selbst im glücklichsten Falle für seine Waffen, den ich noch sehr bezweifle, der Franzmann sich gar sehr besinnen wird, in einem seichten Wasser zu operiren, dessen Küste zur Hälfte den Mynheers gehört, deren Neutralitätsverletzung denn doch einen Sturm in Europa erregen möchte, so ist gerade dieser Punkt von der Natur außerordentlich geschützt und überdies durch allerlei niedliches Spielzeug, das wir Seekrebse ‚Torpedos‘ benennen, bestens ausgestattet. Uebrigens sind seit Langem schon alle, auch die kleinsten Seezeichen aufgenommen, selbst bis auf die auch nur den eingeborenen Friesen verständlichen Markirstangen an Land und Dünen, so daß den wälschen Windbeuteln selbst die besten Special-, See- und Generalstabskarten nichts nützen werden.“

(Schluß folgt.)



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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 555. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_555.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)