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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Kronprinzen von Preußen als Befehlshaber der süddeutschen Armeen ankündigte. Am selben Tage gewann bei dem Vorpostengefechte von Saarbrücken ein preußischer Jäger eine der mancherlei zur Belohnung der Tapferkeit von deutschen Vaterlandsfreunden ausgesetzten Prämien, nämlich die für den ersten gefallenen Franzosen.

Kaum war am Zweiundzwanzigsten, in Folge der badischen Kriegserklärung, der französische Gesandte von Karlsruhe abgereist, als die Deutschen einen Pfeiler der von Kehl nach Straßburg führenden neuen Eisenbahnbrücke sprengten. Es mochte dies nothwendig erscheinen, weil damals die süddeutschen Rüstungen noch nicht vollendet, folglich nicht Truppen genug vorhanden waren, um einem etwaigen Einbruch französischer Uebermacht von Straßburg her widerstehen zu können. Jetzt würde man schon wieder der Ansicht sein, daß diese Brücke nicht blos zum Herüber-, sondern auch zum Hinüber-Marschiren tauge.

Die am Dreiundzwanzigsten erlassene Proclamation des Kaisers Napoleon an das französische Volk wurde nicht blos von den Deutschen, sondern in England, Amerika und von den Deutschen Oesterreichs als das schamlose Programm des Kaiserthums der Lüge erkannt. Die Franzosen verherrlichten es abermals durch Vorpostengefechte, die an diesem und auch am folgenden Tage ihnen keine Lorbeeren trugen. Es gelang ihnen weder die Brücke bei Wehrden unweit Saarlouis, noch das Dorf Gersweiler bei Saarbrücken zu besetzen, und nur die Zerschießung eines Mistwagens mittels Granaten, die Tödtung der beiden Pferde desselben und eines Weinbergarbeiters gehören zu ihren Ehren dieses Tages. Dagegen nahm eine Compagnie von Rheinländern (8. Rheinisches Infanterie-Regiment) Rache für das Solsterhöher Zollhaus, indem sie die Casse aus dem französischen Zollhause in Schrecklingen heimführte.

Von nachhaltigerer Bedeutung, als diese Vorpostenscherze, war die Zerstörung eines Viaducts der Saargemünd-Hagenauer Eisenbahn, welche rheinischen Ulanen gelungen und der wir heute eine Illustration widmen, sowie die kühnen Streifzüge badischer und bairischer Reiterabtheilungen zur Zerstörung der Telegraphenleitungen hinter Lauterburg.

Während zwischen Rhein und Mosel der kleine Krieg den großen einleitete, bereitete General Vogel von Falckenstein die Vertheidigung unserer Nord- und Ostseeküsten gegen die französische Flotte vor. Wie schon am Tage vorher der König eine Ordre zur Errichtung einer freiwilligen Seewehr erlassen hatte, so datirt vom Fünfundzwanzigsten ein Aufruf des Generals an die Bewohner der Küstenländer zur Bewaffnung aller wehrhaften Männer zur Bewachung der gesammten deutschen Küsten.

Eine der kühnsten Recognoscirungen wagte am Sechsundzwanzigsten der würtembergische Generalstabsofficier Hauptmann Graf Zeppelin mit drei badischen Officieren und vier Dragonern. Leider trafen die Tapferen unweit Niederbronn auf ein feindliches Husarenregiment, dessen Uebermacht Sieben der Männer erlagen. Nur Graf Zeppelin schlug sich durch; die Beobachtungen aber, die er über die Umgegend von Hagenau und Wörth mit in’s Hauptquartier gebracht, sollten die ehrenvollsten Früchte tragen.

Die Vorpostenplänkeleien gingen bereits in Scharmützel und kleine Gefechte über. So an der Brücke von Rheinheim an der Blies (nordöstlich von Saargemünd), wo Preußen und Baiern mit den Franzosen zusammentrafen, und am folgenden Tage bei Völklingen, wo feindliche Infanterie und Reiterei gegen Forbach zurückgetrieben wurde. Am Achtundzwanzigsten trafen die Unseren bei den Recognoscirungen von Saarbrücken aus jenseits der Grenze schon überall auf den Feind, und am Nachmittag flogen die ersten Granaten in die Stadt. Hier jedoch, wie bei der Station Perl, wo Husaren und Infanterie hereingebrochen waren, zogen sie sich, nachdem sie die Luft mit unnützem Schießen erschüttert hatten, bald wieder zurück. Dasselbe geschah am folgenden Tage bei Neuhornbach den Baiern gegenüber, und am 30. Juli abermals bei Saarbrücken, das als ein „Gloire-Ziel“ bereits ausersehen zu sein schien.

Als ein Zeichen für die Reife der Vorbereitungen zum großen Beginn konnten die Proclamationen der Kriegsfürsten gelten, die am Ende des Juli veröffentlicht wurden. Der Franzosenkaiser richtete sie an seine „Rheinarmee“ und an seine Flotte; jener sagt er, daß das Weltall seine Augen auf sie gerichtet habe, und dieser, daß das dreifarbige Banner ihrer Schiffe in seinen Falten überall die Ehre und den Genius Frankreichs trage. König Wilhelm verkündete seinem Volke eine Amnestie für politische Verbrechen und Vergehen und schloß sein kurzes Wort mit der ehrlichen einfachen Versicherung: „Mein Volk weiß mit Mir, daß Friedensbruch und Feindschaft wahrhaftig nicht auf unserer Seite war; aber herausgefordert, sind Wir entschlossen, gleich unseren Vätern und in fester Zuversicht auf Gott den Kampf zu bestehen zur Errettung des Vaterlandes!“

Und mit diesem festen und treuen Willen trat Heer und Volk der Deutschen in den großen, vielleicht entscheidungsvollen August hinein.

Leider eröffnete die Reihe der kriegerischen Ereignisse ein imperialistisches Gladiatorenstückchen. Wie wir angedeutet haben, war die schwache Besetzung Saarbrückens den Franzosen sicherlich kein Geheimniß mehr; die offene, der Grenze so nahe Stadt bot deshalb die füglichste Gelegenheit, dem großen Kinde Paris eine wohlfeile Siegesnachricht und dem kleinen Kinde Lulu den Anblick eines französischen Triumphs zu verschaffen. Und so marschirten etwa vierzigtausend Franzosen mit dreiundzwanzig Geschützen von Forbach her gegen einen Feind, der aus einem Bataillon des vierzigsten Regiments, drei Schwadronen Ulanen, etwa zwanzig Husaren und vier Vierpfünder-Kanonen bestand. Und wirklich gelang es, bei persönlicher Anwesenheit des Kaisers und des kaiserlichen Prinzen, nach vierstündigem Kampfe der offenen Stadt Herr zu werden.

„Metz, 2. August, 4 Uhr 50 Minuten Abends. Sieg bei Saarbrücken. Die Division Frossard hat drei preußische Divisionen über den Haufen geworfen und niederkartätscht. Der Kaiser ist im Triumph nach Metz zurückgekehrt.“

So lautete die kaiserliche Depesche nach Paris, und dieser angemessen explodirte dort der Jubeldampf. In Deutschland aber wirkte die Nachricht allerdings verstimmend auf die Gemüther, namentlich weil dem ungeschickten Nachsatz der ersten Depesche: „Details noch unbekannt“ die Erklärung nicht sofort gefolgt war.

Indessen lag nur ein Tag zwischen diesem tragikomischen Triumphspiel und der ersten deutschen Siegesnachricht. Von den drei deutschen Armeen dieses Feldzuges, von denen die erste unter Steinmetz, die zweite unter dem Prinzen Friedrich Karl und die dritte unter dem Kronprinzen von Preußen steht, ist die letztere zuerst zum Angriffskriege übergegangen und hat mit der Erstürmung von Weißenburg und der Schlacht am Gaisberg die große deutsche Woche begonnen. Nicht nur, daß dies der erste Sieg war, erhob ganz Deutschland zu einem unermeßlichen Jubel, sondern daß gerade die süddeutschen Soldaten im Vereine mit preußischen den neuen Bruderbund so heldenhaft besiegelten. Das gab diesem Sieg erst seine rechte Bedeutung und Weihe. Eine baierische Division unter Graf Bothmer hatte den Kampf begonnen und war stürmend in die stark verschanzte und von alter Zeit befestigte, ehemalige freie deutsche Reichsstadt Weißenburg eingedrungen, und die rasche Hülfe vom fünften und elften preußischen Armeecorps vollendete den Sieg, der besonders blutig durch das Gefecht wurde, das sich nach dem Sturme der Stadt nöthig machte, und die Hauptmasse der Franzosen von dem eine halbe Stunde davon entfernt liegenden Gaisberg zu vertreiben. Früh gegen vier Uhr hatte der Aufmarsch der deutschen Truppen begonnen, um acht Uhr begann das Feuer, um halb vier Uhr Nachmittags war der Sieg entschieden und gegen Abend standen die Sieger schon drei Stunden hinter Weißenburg. Dieser Schlag hatte einen Theil des Armeecorps Mac Mahon’s getroffen, der mit demselben die Zuversicht der Franzosen gewesen war. Gegen achthundert Gefangene, darunter viele der Wau-Wau-Turcos, und eine Kanone traten als Zeugen des Sieges den Weg nach Deutschland an. Aber auch lange Züge unserer Verwundeten folgten ihnen und dämpften den Jubel und mahnten die Herzen an die Pflicht neuer Opfer und neuer Thatkraft.

Abermals nur ein Tag war dieser Siegesfreude vergönnt, um sich über ganz Deutschland auszubreiten, – da wurde sie von einer zweiten, noch größeren überholt, und diese lebt in der Geschichte am schönsten fort in dem Telegramme, mit welchem der greise König sie der Mutter des Siegers kund that:

„An die Königin Augusta, Berlin. Welches Glück dieser neue große Sieg durch Fritz! Preise nur Gott für seine Gnade! Genommen einige dreißig Geschütze, zwei Adler, sechs Mitrailleusen, viertausend Gefangene. Mac Mahon war verstärkt aus der Hauptarmee. Es soll Victoria geschossen werden. Wilhelm.“

Das Telegramm des Kronprinzen lautete: „Siegreiche Schlacht bei Wörth; Mac Mahon von dem größten Theil meiner Armee vollständig geschlagen. Die Franzosen sind auf Bitsch zurückgeworfen. Auf dem Schlachtfelde halbfünf Uhr Nachmittags bei Wörth.“ –

Die eingehenderen Schilderungen dieser Thaten unserer Heere werden die Arbeit unserer Berichterstatter sein. Hier stehe nur, was zur Vervollständigung der kurzen Telegrammnotizen gehört. An der französischen Niederlage nahmen mit Mac Mahon auch die Armeecorps von Failly und Canrobert Theil. Der französische Verlust wurde bis jetzt auf wenigstens zehntausend Todte und Verwundete und sechstausend Gefangene mit über hundert Officieren angegeben. Die Armee Mac Mahon’s floh so eilig, daß sie die ganze Bagage, viele Geschütze, zwei Eisenbahnzüge mit Proviant und die Feldlager von zwei Divisionen zurückließ. Aber theuer, sehr theuer ist auch dieser Sieg erkauft: wir beklagen den Verlust von nahe an viertausend Todten und Verwundeten.

Die nächste Folge dieses Sieges war die eilige Räumung von Saarbrücken durch die Franzosen. Leider konnten sie dieser Nothwendigkeit nicht folgen, ohne eine Schandthat gemeinster Rache zu verüben. Sie steckten nicht nur die Stadt in Brand, sondern unterhielten auch noch beim Abzug von den Höhen aus ein anhaltendes Granatenfeuer, um aus sicherer Ferne ihr Werk der Zerstörung zu vollenden. – So schieden die würdigen Nachkommen der Brand- und Mordhelden von der Pfalz von dieser einzigen deutschen Stadt, die sie in diesem Kriege betraten. Wir nehmen diese Unthat als ein Zeichen, daß dies auch die einzige und letzte Stadt gewesen sein soll, die von französischer Civilisation mißhandelt ward. Aber auch das ist sicher, daß Frankreich diese Stadt uns bei Heller und Pfennig bezahlen wird.

Gerechterweise folgte der Schandtat die Strafe auf dem Fuß. Der sechste August 1870 war die Wiedervergeltung für den 14. October 1806: Jena und Auerstädt sind vergolten durch die Doppelschlachten von Wörth und Forbach. Der Kanonendonner unserer dritten Armee vereinigte sich mit dem von fünf Divisionen der ersten, mit welchen der alte Steinmetz die Franzosen zwischen Saarbrücken und Forbach packte und sie mit ihrem berühmten Marschall Frossard über Spicheren und den Kreuzberg hinausschlug.

Ein Telegramm vom 9. August aus Saarbrücken berichtet: „Das Gefecht vom 6. August bei Spicheren, unweit Saarbrücken, hat größere Dimensionen und Resultate, als bisher bekannt geworden. Das französische Corps Frossard ist in demselben fast gänzlich aufgelöst worden, die Verluste desselben an Todten und Verwundeten sind außerordentlich bedeutend. Das Lager der 1. Division und verschiedene bedeutende Magazine sind genommen, außerdem eine sehr große Menge Gefangene eingebracht, deren Zahl sich noch stündlich vermehrt. Bis jetzt bereits über zweitausend! – Aber auch der diesseitige Verlust ist groß, bei der fünften Division allein circa achtzehnhundert Mann. Die französische Armee weicht auf allen Punkten zurück, St. Avold von unseren Truppen besetzt, Patrouillen streifen bis zwei Meilen vor Metz.“ Und daß sogar dem Feinde ein vollständiger Brückentrain von etwa vierzig Wagen abgenommen werden konnte, ist wenigstens ein starkes Symptom der bereits im französischen Heere eingerissenen Demoralisation – des mächtigsten Verbündeten jedes Feindes.

Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 545. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_545.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)