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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

keine Kleinigkeit ist und weil ich Ihre Leser nicht durch unnütze Details confus machen darf.

Nehmen Sie zunächst die Karte zur Hand und folgen Sie mir. Sie werden da ein gleichschenkeliges Eisenbahndreieck finden, dessen nördliche Spitze Saarbrücken ist. Im rechten, östlichen Schenkelpunkt liegt Saargemünd, im linken ein Ort Namens Cocheren. Aus dem linken südwestlich laufenden Schenkel, etwa drei Stunden von Saarbrücken, liegt der französische Ort Forbach. Die alte Kaiserstraße nach diesem Ort läuft etwas abweichend davon und geht über Forbach hinaus nach St. Avold (das Volk sagt St. Aford) und weiter nach Metz.

Die nächste Station auf dem Schenkel nach Forbach ist bei einem Dorfe Namens Stieringen, nächst welchem auch die Kaiserstraße dicht vorbei geht. Westlich von dieser Kaiserstraße liegt eine ziemlich hohe, von Schluchten durchschnittene Hügelkette, welche die Speicherer Berge genannt wird, nach einem auf der Höhe liegenden Dorf Speichern. Näher nach Saarbrücken, rechts von der Landstraße, also zwischen dieser und der Eisenbahn, liegen der Winterberg und der Exercirplatz, eine starke Position, die eben von den Franzosen so plötzlich geräumt wurde. Dem Exercirplatz gegenüber, auf der andern Seite der Kaiserstraße, liegt ein vorspringender steil (30 Grad) aufsteigender Hügel, dessen durchklüftete Fortsetzung bis nach Stieringen und noch darüber hinaus läuft. Hinter diesem vorspringenden Hügel, unmittelbar hinter demselben eine Art Bucht bildend, liegt eine bewaldete Höhe. Nahe bei Stieringen, dicht an der Eisenbahn nach Forbach und südwestlich von derselben, liegt ein großes Eisenwerk, Stiring de Wendel. Dicht an derselben, vom Fuße des Exercirplatzes aber zieht sich eine bewaldete, durch eine Schlucht getrennte Höhe, deren südwestliche Hälfte von den Franzosen, während die nordwestliche von den Preußen besetzt war. Zwischen dem von Franzosen besetzten Wald, begrenzt nördlich von der Fabrik und Stieringen, nach der Landstraße hinüber, hatten die Franzosen ein Lager auf einer Hochebene. Sie hatten aber ebenfalls die Speicherer Höhen besetzt und namentlich die bewaldete Höhe hinter dem obengenannten steilen Hügel.

Ueber den Anfang des Gefechts cursiren abweichende Erzählungen. Nach Einigen wurde der Kampf provocirt durch zwei Escadrons Cavallerie – Husaren, Ulanen und Kürassiere –, die zwischen Eisenbahn und Kaiserstraße, respective Speicherer Hügel, bis nach Stieringen zu vordrangen. Als das Gefecht begann, waren in dem Walde an der Eisenbahn (in der Nähe der Fabrik) nur etwa zweitausend Preußen. Diese drangen über die Schlucht, von Gersweiler kommend, im Walde vor, wo sich ein lebhaftes Gefecht entspann, in Folge dessen die Preußen nach ziemlich hartnäckiger Vertheidigung auf die Ebene vordrangen, auf der, in der Nähe der Fabrik (nordwestlich), die Franzosen sich leicht verschanzt hatten. Die Franzosen wurden über diese Ebene und über die Landstraße gejagt, woran sie sich in die Speicherer Berge zurückzogen, deren Fortsetzung sie, wie oben bemerkt, ebenfalls besetzt hatten. Die Position, die sie dort einnahmen, war eine formidable und so stark, daß selten eine Truppe, außer Preußen, es unternehmen würde, sie anzugreifen. Es ist schwierig, hinauf zu kommen, selbst wenn man ohne Hindernisse hinaufsteigen kann.

Nahestehende Regimenter wurden von verschiedenen Seiten in’s Gefecht gezogen und man kann annehmen, daß den dreißigtausend Franzosen auf der schroffen, zum Theil felsigen und zerklüfteten Höhe zehn- bis zwölftausend Preußen am Fuß derselben entgegen standen. Die Berge mußten genommen werden, und das neununddreißigste Regiment, Musik voran, schickte sich zum Sturm an gegen den ziemlich kahlen, schroffenreichen Berg, den ich als vorspringend bezeichnet habe. Das vierundsiebenzigste Regiment nahm ebenfalls an dem Sturm Theil, der vier Mal zurückgeschlagen wurde. Unterdessen nahmen andere Regimenter die dahinter auf dem rechten Flügel der Franzosen liegenden bewaldeten Höhen, wodurch sie den auf dem vorspringenden steilen Berge stehenden Franzosen, die ebenfalls Brustwehren aufgeworfen hatten, in die rechte Flanke kamen. Zugleich unternahmen die Truppen gegen den vorspringenden Hügel den kühnsten Sturm. Der Verlust war hier bedeutend, wäre aber noch größer gewesen, wenn der Hügel nicht so steil war, woher es kam, daß die Franzosen viel über die Stürmenden hinausschossen. Sie waren theilweise, und besonders auf einem Absatz des Berges, im todten Winkel.

Der Berg wurde genommen und der Kampf entbrannte noch heftiger auf der Hochebene. Das zwölfte Regiment und andere, die ich nicht nennen will, um Verwirrung zu meiden, griffen zugleich die Speicherer Höhen weiter rechts, nach Stieringen zu, an. Das Terrain ist da sehr schwierig und der Kampf war hart; allein sie nahmen die Höhen, kamen den Franzosen in die linke Flanke und zwangen sie zum Rückzug, unterstützt von Artillerie, welche aus einer hinter dem vorspringenden Berge laufenden Straße auf das oben liegende Plateau rückte.

Die Truppen sind alle darüber einig, daß die Franzosen brav fochten – aber! – die Preußen fochten eben tapferer und jagten die dreißigtausend Mann, daß es eine Lust war. Sie flohen in der Richtung nach Forbach, wo eine berühmt starke Position ist, die sie aber nicht lange halten konnten; noch Abends wurden sie vertrieben und flohen nach St. Avold zu.

Auf einer Anhöhe trafen mit gefälltem Bajonnet ein Bataillon Preußen und ein Bataillon Franzosen zusammen; sie rückten bis fünfzehn Schritte an einander – da machten die Franzosen Kehrt.

Die Verluste der Deutschen sind sehr groß und vielleicht größer, als die der Franzosen, wie das ganz natürlich ist; sie werden an Todten und Verwundeten auf viertausend Mann angegeben. Es ist unmöglich, allen den braven Truppen einzeln Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, denn aus den auf dem Schlachtfelde gesammelten Angaben kann man nicht recht klug werden. Ich habe Soldaten aller Regimenter gefragt, und jeder erzählt seine eigene Geschichte. Ich muß mich mit aphoristischen Angaben begnügen, deren exacte Richtigkeit ich nicht verbürgen kann, die ich aber jedenfalls annähernd für wahr halte.

Ein Vierziger am Bahnhofe sagte mir, sein Regiment habe (am 2. und 6. zusammen) gegen fünfzehnhundert Mann eingebüßt. Der Mann war sehr aufgebracht darüber, daß die Franzosen ihm seinen Helm so schändlich zugerichtet hätten. Ein Granatstück, sagte er, hätte erstlich ein Loch hineingeschlagen, ohne den Kopf zu verletzen, und eine Chassepotkugel hätte die Spitze weggenommen. Die Achtundvierziger verloren ebenfalls viel und die braven Neununddreißiger noch mehr; am meisten vielleicht die Vierundsiebenziger. Deren Füsilier-Bataillon war auf vierhundert Mann reducirt (von circa tausend) und sechszehn Officiere fehlten. General von François empfing vier Kugeln und starb. Der Oberst des zwölften Regiments ist schwer verwundet.

Ich kehre nun zu dem zurück, was ich persönlich sah.

Der Consul und ich gelangten zunächst auf den Exercirplatz. Vor uns sahen wir die Truppen, die an dem Gefecht Theil genommen hatten, und hinter uns sahen wir auf verschiedenen Wegen immense Colonnen nach Saarbrücken zu marschiren. Die ganze Nordarmee unter General Steinmetz hatte eine Bewegung nach Süden gemacht und sich mit der Mittel-Armee in Verbindung gesetzt. Man sagt uns, General Frossard habe einen Waffenstillstand von zwei oder drei Tagen begehrt, allein Steinmetz habe lakonisch geantwortet: „Ist nicht.“ –

Nachdem wir uns eine gute Weile in dem unbewaldeten Terrain aufgehalten und mit den Soldaten verschiedener Truppentheile gesprochen hatten, gingen wir wieder in den Wald, der sich von einem Wiesengrunde bis nach dem Eisenwerke bei Stiering hinzieht. Die Franzosen hatten hier sich kreuzende Wege gehauen, um nach allen Richtungen feuern zu können. Wir trafen auch in diesem Walde einen Telegraphen. Im Walde lagen Preußen und Franzosen todt, obwohl nicht sehr dicht, wie sie eben bei einem Tirailleurgefecht fallen. Sowohl der Consul als ich hatten Schlachtfelder gesehen und hielten uns bei den Todten nicht zu lange auf. Ich nahm mir ein Stück Granate, welche einen französischen Sergeanten erschlagen hatte, zum Andenken mit, und ein ihm zugehöriges Notizblatt. Ein Feldwebel, der es sah, sagte mir, es sei verboten, Civilisten in den Wald zu lassen, und ich ging auf die Hochebene heraus, wo man eben gegen 40 todte Preußen mit drei Salven begraben hatte. Zwei Feldgensdarmen kamen uns nach, wovon der eine mich scharf examinirte, was ich mit dem aufgehobenen Papier wolle. Die Vorzeigung meiner Legitimation machte der Schwierigkeit ein Ende. Das Verbot, in den Wald zu gehen, war ganz vernünftig. Marodeure hatten die Leichen geplündert, und wir sahen etwa ein Dutzend, dabei anständig gekleidete Leute, mit Stricken zusammengekoppelt, auf der Chaussee transportiren, ebenso Gefangene, von denen man in Saarbrücken etwas über tausend sah.

Das Schlachtfeld auf der Hochebene zwischen Wald und Chaussee sah wie ein Trödelmarkt aus. Wer das nicht gesehen

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 543. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_543.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)