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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Es war halb neun, als wir zur Rückkehr aufbrachen. Ein Gewitter stand am Himmel, und bald strömte es vom Himmel herab, wie es nur konnte. Meine Dame hatte einen grauen wasserdichten Ueberzieher und ich hatte mir einen von London mitgenommen, der wasserdicht sein sollte. Als sonstige Waffe gegen des Himmels Segen (der Regen war wirklich ein großer Segen) diente uns beiden ein „Antuchkahche“, wie die Frankfurter sagen, denn ich leichtsinniger Mensch hatte meinen Regenschirm in Lautern gelassen. Natürlich tröpfelte das von dem Schirm ablaufende Wasser in meinen Schooß, dann gerieth es in den linken exponirten Stiefel. Meine Nachbarin machte mitleidiger Weise ihr Kleid breit, so daß es meinen Schooß bedeckte; Alles vergebens, wir wurden immer nasser und der Regen immer ärger. Unter solchen Situationen hört manches auf und das noli-me-tangere-System ist nicht mehr durchzuführen. Wir lachten wie närrisch, wenn irgend eines von uns wieder eine neue kühle Ueberraschung an einem bisher trocknen Körperteil entdeckte. Unsere nasse Seligkeit wurde durch die Frage eines wachsamen Postenbefehlshabers unterbrochen, was der Bauer geladen habe. „Eine nasse Dame,“ sagte meine Nachbarin; „das Donauweibchen,“ sagte ich. Kurz, ich habe nie eine nassere, aber auch nie eine lustigere Partie gemacht.

Endlich gegen zwölf Uhr kamen wir in Frauenlautern an, gerad’ als der Regen aufhörte, der alle Wege in Ströme verwandelt hatte. Ich sprang aus dem Wagen in die bequemste Pfütze und trug das „feuchte Weib“ in’s Haus, wo die Leute uns noch erwarteten. Hand in Hand rannten wir lachend an ein durch Läden geschlossenes Fenster – das den abwesenden Spiegel ersetzen mußte, um unsere seltsame Erscheinung bewundern zu können – heißer Kaffee und Abendessen waren bald vorhanden, und als wir uns am Morgen nach unserm gegenseitigen Befinden erkundigten, entdeckten wir mit Vergnügen, daß wir weder Hals-, noch Zahnschmerzen, noch Schnupfen, noch Rheumatismus hatten.

Gegen zehn Uhr Morgens reiste meine liebenswürdige Wittwe nach Trier ab, und wir schieden als sehr gute Freunde und beide um eine Lebenserinnerung reicher. Nachdem ich meinen vielfachen Correspondenzpflichten etwas Genüge geleistet hatte, ging ich nach Saarlouis hinein, was nur eine kleine halbe Stunde entfernt ist. Eine neue Schanze war vor dem Brückenkopf nach den Rhodener Höhen zu gebaut; die Bäume aus dem Glacis, die zum Theil niedergehauen waren, waren fünfunddreißig Jahre älter geworden, seit ich sie als junge Schößlinge kannte, und die Gräben und Umgegend waren überschwemmt. Die Thore und Barrieren waren geschlossen, allein die Wache ließ von Zeit zu Zeit die Brücke ein und aus, ohne nach einer Legitimation oder dergleichen zu fragen. „Da bin ich denn wieder im alten Neste etc.,“ dachte ich, allein daß die Sehnsucht danach „mir das Herz zerpreßte,“ kann ich eben nicht sagen. Die Eisenbahncultur hatte Saarlouis nämlich auch beleckt. Am Markt waren statt eines Kaffeehauses drei und statt des Buchbinders, der sonst die Saarlouiser Welt mit der literarischen Welt in Verbindung brachte, existirt nun eine Buchhandlung, die ein tägliches Blättchen herausgiebt und hundert Arbeiter beschäftigt.

Die alten Knaster in der Stadt kannten mich alle noch! Ich muß mich also doch famos gehalten haben. Wenn man so sechs Jahre im Bruchsaler Essig einsam und tugendhaft gelegen hat, so muß man gestehen, daß derselbe Körper und Geist ganz ausgezeichnet conservirt, wenn man nämlich zuvor nicht daran stirbt oder verrückt wird.

Nach einer Legitimation hatte ich mich noch nicht umgesehen; da mich aber manche Officiere und Soldaten mit mißtrauischen Augen ansahen, so hielt ich es für besser zum Commandanten zu gehen, dem Obersten de Barry, der noch nicht lange Commandant war. Als ich zu ihm hineintrat, sah er mich mit seinen schwarzen Augen sehr lange und scharf an; dann sagte er: „Es ist lange, seit wir uns nicht gesehen haben.“ Der Oberst war junger Officier im fünfunddreißigsten Regiment, während ich im sechsunddreißigsten diente, und wir kannten uns natürlich. So finde ich überall alte Cameraden und auch sonst bin ich in Deutschland noch viel mehr bekannt, als ich mir einbildete, und man behandelt mich zuvorkommend und freundlich. Der Oberst erzählte mir, wie es seine Aufgabe gewesen sei, den Feind zu amüsiren und irrezuführen, zu welchem Zwecke er mit der Besatzung von Saarbrücken in Verbindung und Fühlung trat. Der Zweck wurde brillant erreicht und der französische General und der Herr Empereur nebst Lulu sind einmal gründlich bismarckirt worden – was man so über den Löffel barbiren nennt.

Nachdem der Commandant, der von allen Leuten sehr gelobt wurde, meine Briefe etc. gesehen hatte, gab er mir einen Paß, der mich dem Schutz der Militär- und Civilbehörden empfahl. Die Festungswerke von Saarlouis sind dadurch bedeutend verbessert worden, daß man die innern Wälle casemattirt hat. Der Ort hat vom deutschem zum französischen Thor nicht so viel Durchmesser wie der Great Eastern lang ist, auf dem ich dreihundert Schritt in jeder Richtung spazieren gehen konnte. Ich unterhielt mich vor einem der Kaffeehäuser mit sehr liebenswürdigen Officieren, von denen mir einige kleine Abenteuer mit den Franzosen erzählten. Gegen eine Patrouille von ein paar Mann hatten sie ganze compacte Massen entwickelt und wie wahnsinnig drauf los gefeuert, während manchmal das Erscheinen eines einzigen Cavalleristen genügte, um eine ganze Menge zum Ausreißen zu bringen, obgleich sie à l'attaque! schrieen. Die Vierziger haben sich bei ihnen in solchen Respect gesetzt, daß sie beim Ueberschreiten der Grenze stets sehr vorsichtig danach fragen. Ein Hauptmann, am Ende, erzählte mir, daß er am Morgen bei einem seiner Doppelposten gehalten habe, als er auf etwa vierhundert Schritt eine Abtheilung von circa dreißig Cavalleristen erscheinen sah. Er ließ den Posten auf sie feuern, und kaum war der Schuß gefallen, so riß die ganze Gesellschaft aus. Am Abend des 6. sagte mir der Bahnhofsinspector, daß am nächsten Tage die Züge nur bis Burbach bei Saarbrücken gehen würden, doch ich fuhr mit einem derselben bis Saarbrücken; die Eisenbahncolonne hatte die Schiene gleich wieder gelegt, da durch das große, siegreiche Gefecht bei Forbach die Gefahr vor einer Rückkehr der Franzosen verschwunden war.

Im Coupé traf ich Herrn Ernst Beyer, norddeutschen Consul in Mobile (Alabama) der vom Hauptquartier in Lebach kam und sich den Krieg ein wenig ansehen wollte. Er hatte den Krieg in Amerika mitgemacht und war in fünfzehn Schlachten und vielen Gefechten gewesen. Wir beschlossen zusammen zu bleiben. In St. Johann, der Vorstadt von Saarbrücken, welche diese Stadt bereits überflügelt hat und mit ihr durch die Saarbrücke verbunden ist, sahen wir die uns beiden so wohl bekannten Zeichen des Krieges, nämlich den durch Granaten zerstörten Wartesaal des Bahnhofs. Schade darum; man sieht noch, wie gut und elegant die Einrichtung war.

Es wimmelte in Saarbrücken von lauter Truppen und war in großer Aufregung wegen des am Sechsten stattgehabten Gefechtes – dasselbe hatte eigentlich am Siebenten stattfinden sollen, war aber durch Zufall verfrüht worden.

Wir gingen beide in das nahe dem Bahnhof gelegene Hôtel Hagen, welches wir mit Officieren und besonders mit Johannitern überschwemmt fanden, die es sich bei Essen und Wein wohl sein ließen. Dabei hörten wir, daß die deutschen Truppen bereits Forbach in Frankreich besetzt hätten, und beschlossen nach einem substantiellen Frühstück unsere Lenden zu gürten und zu Fuß so weit wie möglich vorzudringen, jedenfalls aber nach Forbach zu gehen. – Eben im Begriff meine Habseligkeiten in den allerkleinsten Compreß zu zwängen, sah ich im Hof eine Menge Aerzte der Armee zu Pferde ankommen und mit ihnen auf einem Pony Prinzessin Salm hoch zu Roß.

Als die Prinzessin mich sah, ließ sie die Herren stehen, rannte auf mich zu und umarmte mich – horribile dictu! zum Entsetzen sämmtlicher neidischen Courmacher, mich – der ich mehr einem Räuberhauptmann – einem Diebe – als einem civilisirten Menschen ähnlich sah – als ihren alten treuen Freund vorstellend, der ich auch wirklich bin, denn ich bekümmere mich nicht um Lumpereien und schätze ihre Charakterstärke und Energie. Sie kam mit dem berühmten Geheimrath Dr. Busch, hatte das Johanniterkreuz am Arm und ärgerte sich über die Bordeaux schlürfenden ritterlichen Bummler, die mitgehen – Niemand begreift, warum.

Der Consul und ich gingen mit den Truppen nach dem Exercirplatz, einer von den Franzosen Tags vorher, in solcher Eile geräumten festen Position, daß sie Proviant und andere Dinge zurückließen. Weiß Gott, welche Nachricht sie dazu veranlaßte.

Am Siebenten hatten die Preußen, wie gesagt, angreifen wollen und die Dispositionen waren demgemäß getroffen. Ehe ich Ihnen nun das Gefecht beschreibe, wie es möglich ist, ohne es selbst gesehen zu haben, muß ich Ihnen eine möglichst verständliche Skizze von dem Schlachtfelde geben, was wegen des coupirten Terrains gar

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 542. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_542.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)