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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Speicherer Berge waren von mehr als drei Divisionen Franzosen besetzt, während sich in Saarbrücken nur ein Bataillon vom 40. Regiment und eine Schwadron Ulanen befanden. Da unsere Armee noch nicht fertig war, so war es die Aufgabe des Commandanten von Saarlouis und des in Saarbrücken befehligenden Officiers, die Franzosen glauben zu machen, daß hinter ihren wenige Mann bedeutende Corps stünden, und sie fortwährend zu necken, ohne jedoch ein Gefecht herbeizuführen. Es gelang vortrefflich, sie zu täuschen. Die Ulanen verwandelten sich durch Wechseln ihrer Kleider bald in Dragoner (sie setzten nur Infanteriehelme auf) und durch Anziehen ihrer Stalljacken in Kürassiere, so daß selbst die zahlreichen Spione irre geführt wurden. – Am Zweiten also beschloß General Frossard, die große Schlacht zu schlagen, und seine drei Divisionen krabbelten wie Ameisen vorwärts gegen die Heeresmassen der Preußen. Diese Heeresmassen bestanden aus drei Zügen vom vierzigsten Regiment, Ulanen, die man in dem Train nicht gebrauchen konnte, also zurückschickte, und einer Batterie, die zu zwei und zwei Geschützen geteilt war. Diese drei


Aus den Vorpostenneckereien preußischer Cavallerie.
Nach der Skizze eines rheinischen Künstlers.

Züge hielten die dreißigtausend Mann vier Stunden lang fest und erschossen mehr Franzosen, als sie selbst stark waren. Ein Feldwebel, der eine vortheilhafte gedeckte Stellung einnahm und welcher als der beste Schütze im Regiment bekannt ist, ließ zwei Soldaten hinter sich beständig Gewehre laden und ihm reichen. Er soll allein achtzig Franzosen erschossen oder verwundet haben. – Der französische General warf Granaten in die Stadt und zerschoß ein paar Häuser, namentlich verwüstete er den schönen neuen Wartesaal im Bahnhof. Der General fragte den Bürgermeister, wo denn die Heeresmassen seien, welche seine große Armee zum Weichen gebracht haben, und wollte es durchaus nicht glauben, als ihm gesagt wurde, daß seine Macht gegen drei Züge verschwendet worden sei, bis es ihm der Bürgermeister auf das Ernsthafteste betheuerte. „Ist das so,“ rief Frossard aus, „dann wehe Frankreich; jeder Mann dieser drei Züge ist ein Held.“

Die Franzosen begingen allerdings hin und wieder Diebstähle und Gewaltthätigkeiten. Ein Bürger klagte dem General, daß er bestohlen worden sei. „Es giebt in jeder Armee Lumpen,“ sagte der General, allein der Bürger erwiderte: „In unserer Armee, Herr General, giebt es keine Lumpen.“ Die Soldaten mußten antreten und ihre Tornister öffnen; in dem einen fand man noch vier der gestohlenen Hemden und – einen schwarzen Frack.

In dem kleinen Postamt Türk’s Mühle waren die wenigen Beamten ganz aus dem Häuschen, denn sie erstickten unter der Unmasse von Soldaten-Paketen und Briefen. Dadurch verzögerte sich denn auch unsere Abreise um eine gute Stunde. Ich hatte beabsichtigt einen Wagen zu nehmen und nach Saarbrücken zu fahren, allein es kam die (falsche) Nachricht, daß die Franzosen Dudweiler besetzt hatten, und ich zog es daher vor, über Trier und Saarlouis die Front zu erreichen.

Als wir in Hermeskeil ankamen, fanden wir die Leute sehr aufgeregt und begierig vom Kriegsschauplatze zu hören, und auch die junge Wittwe „Ellen, die ihren Bruder suchte“. Durch Geld und gute Worte hatte sie Extrapost von Birkenfeld bekommen, was mir nicht gelungen war. Der Zuwachs einer lebhaften und gescheidten Frau zu unserer Gesellschaft war sehr angenehm. Es war halb zwei Uhr Nachts, als wir endlich in Trier ankamen. Die beiden Engländer gingen in die „Stadt Venedig“, wo sie Sachen zurück gelassen hatten, und „Ellen, die ihren Bruder suchte“, und ich nach dem uralten trefflichen „Rothen Haus“. Der uns auf mein Läuten öffnende Hausknecht überraschte uns gleich sehr angenehm durch die Nachricht von dem brillanten Sieg des Kronprinzen bei Weißenburg.

Ich war noch nie in Trier gewesen und schlenderte vor dem Frühstück durch die Straßen, um mir die Physiognomie der Heiligen Rock-Stadt anzusehen. Als ich in den Gasthof zurückkam, erhielt ich ein mit Bleistift geschriebenes Billet von den beiden Engländern: „Wir sind in größter Verlegenheit und möchten Sie gern sehn, wenn Sie nicht beschäftigt sind. Einige betrunkene Beamte drangen gestern Abend in unser Zimmer, indem sie uns für Spione hielten, und wir dürfen das Hôtel nicht verlassen.“ Ich ging sogleich hin. Einige Intendantur-Beamten feierten bei ihrer Ankunft den Sieg bei Weißenburg und der siegestrunkene Mehlwurm faßte einen plötzlichen Verdacht gegen die fremden Zungen sprechenden Menschen. Ihr Paß nutzte nichts, sie wurden bis auf die Haut ausgeschält

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 540. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_540.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)