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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Blätter und Blüthen.


In der zwölften Stunde. Auf dem Wege nach dem Kriegsschauplatz erhalten wir von einem unserer Berichterstatter folgende aus Aschaffenburg vom 27. Juli datirte Zeilen: Noch haben wir das Schwert in der Scheide, und schon ist der schönste Sieg, den wir je zu hoffen gewagt, errungen! Wir sehen vor unseren freudeglühenden Augen ein Deutschland, ein starkes, kampfesmuthiges Deutschland! Da dieses Resultat erzielt, ist alles Andere Nebensache, ist alles Andere von weniger Bedeutung!

Die zwölfte Stunde hat geschlagen! Deutschland ist endlich unser, und vom Fels zum Meere haben sich die Männer aller Gauen erhoben, schwingen ihr scharfes Schwert und stürzen mit todesmuthigem Schlachtenruf in das blutige Getümmel – – … „Deutschland ist unser – soll unser bleiben!“ –

Da ziehen sie vor meinen Augen vorüber – die, welche ich, Mann mit noch nicht ganz ergrauten Haaren, nie gehofft hatte, unter einer Fahne dem Feinde entgegentreten zu sehen! Das ist schlesische Landwehr, welche die baierischen Festungen vertheidigen soll, und die bärtigen Gesellen mit dem scharfen Laute in der Sprache strecken die kräftigen Hände den schwäbischen Brüdern entgegen, die gen Norden ziehen, um mit ihren Brüsten einen Wall gegen die Anmaßungen des Feindes aufzuthürmen. Dort schreitet mit breitem behäbigem Schritt der riesige Pommer daher und sein staunendes Auge kann sich nicht von den rebenbekränzten Hügeln trennen, die sich in ihrer grünen Heiterkeit vor ihm erheben.

„Und das ist Alles unser – und das wollen sie uns nehmen?“ murmelt sein Mund, und dabei ballt sich seine Faust und sein Blick leuchtet; doch augenblicklich lächelt er wieder gutmüthig vor sich hin. „Da müssen wir doch auch dabei sein!“ meint er.

Ein Baier begegnet ihm. „Grüß’ Gott!“ ruft er ihm freundlich zu. Jener legt ihm die Hand freundlich auf die Schulter. „Na, alter Junge,“ sagt er, „das ist recht, daß Du nicht mehr böse bist von 1866 her; ich sage Dir, wenn’s nach uns gegangen wäre, wäre es Alles anders gekommen, aber die da oben … na komm’, trink’ ’mal, da ist meine Flasche – Deutschland soll leben!“

„Wir sind eijentlich janz jemeine Kerls,“ ertönt weiterhin die Stimme eines Berliners im allbekannten Berlinerdeutsch. „Keener von uns hat bis jetzt daran jedacht, den Napoleon hoch leben zu lassen, und er ist doch unser allerbester Freund! Wären wir in zehn Jahren diätenloses Discuriren wohl so weit jekommen, wie der Mann uns in vierzehn Tage jebracht hat? Jungens, ick schlage vor, wenn sie ihn in Frankreich ’rausjeschmissen haben, dann zahlt ihm das einige Deutschland eine Pension!“

Man lacht, man zieht weiter. Der Schleswig-Holsteiner, der Sachse, der Hannoveraner, kampfermuthigt leuchten ihre Augen; daß man je in der Weltrechnung die Jahreszahl 1866 geschrieben hat, haben sie gänzlich vergessen.

Ein herrliches, erhebendes Schauspiel, beim Himmel! Man muß es uns verzeihen, wenn uns der Stolz, heute ein Deutscher zu sein, wie Cyperwein in den Kopf steigt und uns Dinge sagen läßt, die vielleicht nicht ganz gerechtfertigt sind. Wir sind ein eigenthümliches Volk; Kriegeslust begeistert uns nicht im Geringsten, wie unsern heutigen Feind; aber das Gefühl, für das Vaterland zu kämpfen, das theure uns für ewig zu bewahren, erhebt uns zu einer solchen Begeisterung, daß nüchterne Geister … doch, wo giebt es denn heute überhaupt nüchterne Geister?

Denken wir in der verhängnißschweren Stunde Derer, die wir so vaterlandstrunken auf die blutige Wahlstatt ausziehen sahen – und die nicht wiederkehren werden! Von Allem, was der Mensch auf Erden liebt, haben sie sich losgerissen, sind hingegangen, um für uns zu kämpfen und zu sterben! Ihr, die Ihr zurückbleibt, habt Ihr wohl bedacht, welch ein Vermächtniß von den blutgetränkten Gefilden Euch übersandt ist?

Nicht wahr, Ihr habt es begriffen, daß jener scheidende Blick Euch eine so heilige Pflicht auferlegt, wie es keine zweite auf Erden giebt? … Nicht wahr – ich, der ich in wenigen Tagen, als kalter Beschauer so viele Todeskämpfe mit ansehen werde – Ihr gebt mir Alle, Ihr Hunderttausende von Lesern dieses Blattes, die Vollmacht, dem in seiner vollen Manneskraft für’s Vaterland Dahinscheidenden sagen zu können: „Stirb in Frieden, deutscher Mann! Die Waisen, die um Dich weinen, ob Weib oder Kind, ob Eltern oder Geschwister sind im Voraus von Deutschland an Kindesstatt angenommen! Schmach, ewige Schmach unserem ganzen Geschlechte, wenn wir Denen, die Du auf Erden geliebt, nicht wenigstens vom materiellen Standpunkte aus den ersetzen, der gestorben ist, um uns ein Vaterland zu erkämpfen! Und wenn die Regierungen fortfahren in ihrer Tendenz, nur die überlebenden Helden zu belohnen und denen, welche den Verblichenen theuer waren, nur ein karges Stück Brod zuzumessen – … stirb dennoch in Frieden! Diese oder jene Regierung ist nicht Deutschland! Deutschland ist einzig und allein das deutsche Volk, und das wird das Vermächtniß seiner Helden hoch und theuer halten und ehren!“

Nicht wahr – so muß ich in Eurem Namen sprechen, Ihr Leser – und Ihr werdet das Versprechen halten – das weiß ich bestimmt! –

Nur noch wenige Meilen trennen mich von der Stätte, wo allen Muthmaßungen nach in wenigen Tagen der blutige Tanz beginnt! Ich werde Dir, mein Leser, über das Thun Deiner bewaffneten Brüder – ich weiß es mit Gewißheit – mit stolzen Worten berichten können; ich werde Dir Heldenthaten erzählen, die ich gesehen, die Dir die Brust bis zum Zerspringen schwellen machen werden! Ich werde aber auch – und das vor allen Dingen – wahr sein! Und darum mußt Du mir eine Bitte gestatten – eine Bitte, Deiner würdig, mein deutscher Leser! Ich werde nie meine Feder dazu hergeben, den Gegner zu verringern, zu verkleinern, zu beleidigen! Alles, was ich Gutes, Großes und des Gedächtnisses Würdiges von unsern Kämpfern höre, wirst Du erfahren: aber es giebt auch noch unter den heutigen Franzosen Männer, die es werth sind, selbst wenn sie eine schlechte Sache vertheidigen, daß der Schriftsteller von ihnen spricht. Auch der hohen Thaten der Gegner mußt Du mir zu erwähnen erlauben, wenn sie sich ereignen sollten.

Noch vor wenigen Tagen sagte ein Mann, von dem wir in diesem Augenblicke Alles erwarten: „Wenn man auf der Mensur ist, beleidigt man seinen Gegner nicht mehr! Das, was die Journale von der Schwäche der französischen Armee fabeln, ist nur dazu angethan, die Lorbeeren, die zu erringen uns gewiß sehr sauer werden wird, schon im Voraus zu verkleinern, und eine mögliche Niederlage von den bedenklichsten Folgen zu machen!“

So sprach der Chef des Deutschen Generalstabes, der General v. Moltke, und ich kann die Authenticität dieser Worte verbürgen!

Und nun Gott befohlen, mein Leser, nach der ersten Schlacht werden wir uns hier wieder finden! Der blutige Reigen hat begonnen … Gott schütze unser deutsches Land!



Ein preußischer Kriegsreservist. Während der Mobilmachung der preußischen Armee zu dem gegenwärtigen Kriege mit Frankreich wünschte mich eines Vormittags ein Landmann aus dem unserer Stadt nahe gelegenen Dorfe S. in einer Privatangelegenheit zu sprechen. Nach Erledigung seines Anliegens theilte mir derselbe noch mit, daß er mit dem am künftigen Morgen abgehenden Personenzuge der ostpreußischen Südbahn die Reise nach Königsberg antreten müsse, weil er nach der in vergangener Nacht erhaltenen Ordre sich dort bei seinem Regimente zu gestellen habe.

„Diese Einberufung,“ fuhr der Mann fort, „trifft mich zu einer Zeit, in welcher ich in meiner Wirthschaft vollständig unentbehrlich bin. Seit Kurzem erst habe ich den Bau eines Wohnhauses unternommen, welches kaum zur Hälfte fertig ist, und mit nächster Woche wollte ich die Getreideernte beginnen. Meine kleine Besitzung, überhaupt meine pecuniären Verhältnisse gestatten es nicht, einen Stellvertreter anzunehmen, und meine Frau, welche in der Regel während meiner sonstigen Abwesenheit die Wirthschaft führte, sieht ihrer nahen Entbindung entgegen.“ Indem ich dem Manne mein Bedauern über seine mißliche Lage zu erkennen gab, fragte ich ihn gleichzeitig, ob er nicht den Versuch zu einer Reclamation gemacht habe.

„Das würde ich dieses Mal auf keinen Fall thun,“ erwiderte hastig der junge Landmann, „denn in dem Kriege mit Frankreich finde ich Gelegenheit, ein meinem verstorbenen Vater gegebenes Versprechen zu erfüllen.“ Diese von einer besonderen Begeisterung begleiteten Worte des Sprechers machten mich aufmerksamer, weshalb ich den Wunsch ausdrückte, zu erfahren, welcher Art das Versprechen sei.

„Mein Vater,“ fuhr derselbe fort, „kämpfte bereits im Jahre 1806 gegen die Franzosen und gerieth während der Schlacht bei Jena in französische Gefangenschaft. Sowohl die Erniedrigung des Vaterlandes als auch die schimpfliche und barbarische Behandlung, welche ihm und seinen gefangenen Cameraden und Landsleuten in Frankreich zu Theil wurde, hatten einen unauslöschlichen Franzosenhaß in ihm erweckt, welcher bis zu seinem Tode fortdauerte. Freudig und voll Hoffnung, die erlittene Schmach zu rächen, rückte er mit dem Beginn der Freiheitskriege wiederum in’s Feld, wurde jedoch bei Leipzig schwer verwundet und dadurch gehindert, an der weitern Fortsetzung des Kampfes Theil zu nehmen. Der in Paris 1815 erfolgte Friedensschluß entsprach seinen Erwartungen durchaus nicht, indem nach seiner Ansicht die verbündeten Fürsten mit Frankreich und den Franzosen die Sache viel zu glimpflich und gelinde abgemacht hätten. ‚Eine solche Schonung und Rücksicht hat Frankreich nicht verdient,‘ äußerte er oft, ‚und da man unterlassen hat, das Franzosenvolk in der rechten Weise zu züchtigen, so wird seine Ruhe Deutschland gegenüber gewiß nur von kurzer Dauer sein.‘ Von seinen fünf Söhnen ließ er sich noch kurz vor seinem Tode das Versprechen geben, daß alle, sobald es zum Kriege mit Frankreich käme, nach Kräften bemüht sein sollten, den Franzosen den Kopf zu waschen und die erlittene Schmach ihres Vaterlandes und ihres Vaters als wackere Soldaten zu rächen. Leider ist nun schon einer meiner Brüder vor Düppel, der andre bei Trautenau gefallen, ohne dem Wunsche des Vaters gerecht werden zu können. So viel ich indeß weiß, sind meine beiden noch lebenden Brüder schon nach dem Rheine abmarschirt, den ich wohl auch in Kurzem begrüßen werde. Gott schütze mein Weib und meine Kinder!“

Bei diesen Worten reichte mir der Mann die Hand zum Abschiede, welche ich bewegt durch den Gedanken, es könnte dieses ein Scheidegruß für Zeit und Ewigkeit sein, ergriff, dem Abziehenden in tief empfundener Theilnahme den göttlichen Beistand wünschend.

Rhein, im Juli 1870.

J. A. D.


Unverhofftes Wiedersehen. Jetzt, wo abermals ein Krieg, und mit dem furchtbarsten Ernst, über uns gekommen ist, wendet der aufgeregte Geist sich gern zu den Erinnerungen an den jüngsten deutschen Krieg und läßt sich auch die harmloseren Partien desselben zur augenblicklichen Erheiterung gefallen. Dazu gehört folgender Vorfall. Ein sächsischer Signalist besaß ein Horn von ganz besonderer Schönheit, es war das Leibstück seines Besitzers, der es, wie sich selbst, glücklich durch alle Gefechte und Schlachten der sächsischen Armee bis Nechanitz gebracht hatte. Hier jedoch kam auch seine Kugel und schwer verwundet stürzte er zusammen. Man mochte ihn für todt gehalten haben, denn er blieb nach dem Abzug der Seinen liegen. So fanden ihn zwei Mann vom zwölften westphälischen Jäger-Bataillon. Seltsamerweise war es das hübsche Horn, das er fest in der Hand hielt, welches die beiden Jäger zu ihm hinzog, und bei dem Bemühen es demselben zu entreißen, spürten sie noch Leben in dem Sachsen. Sofort regte sich das bessere Gefühl in Beiden, sie trugen den nahzu verschmachteten Feind zum nächsten Verbandplatz, nahmen aber das Horn als ein Andenken an das Erlebniß mit.

Der Signalist war in gute Hände gerathen, und doch begrüßte er das

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 526. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_526.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)