Seite:Die Gartenlaube (1870) 522.jpg

Fertig. Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle korrekturgelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

fürchteten, die im Solde der Kasseler hohen Polizei standen, und mit angstvoller Heimlichkeit vertraute Freunde ermahnten, jedes Wort ja zu erwägen, wenn der spionirende Herr Sohn Polizei-Agent mit von der Gesellschaft sei.

Ueber die Wirksamkeit der geheimen Polizei in Magdeburg haben Papiere des dortigen General-Polizeicommissärs Schulze, eines Schlesiers von Geburt, Aufschluß gegeben, deren man habhaft wurde, als die französische Garnison (1814) abziehen mußte. Sie bewiesen, wenn es überhaupt dazu eines schriftlichen Beweises bedurfte, wie die Einwohner der so arg gemißhandelten Stadt bei jeder ihrer Klagen über den Druck, unter dem sie seufzten, bei dem leisesten Wunsche, dem Staate wieder anzugehören, unter dessen Regierung sie so glückliche Tage verlebt hatten, der Gefahr bloßgestellt waren, von irgend einem feilen Buben angeklagt und ihrer Aemter, ihres Vermögens, ihrer Freiheit beraubt zu werden. In jenen Papieren erstattet Schulze Bericht von dem, was seine Helfershelfer gegen ihre Mitbürger ausgespäht hatten. Zur Empfehlung des Einen sagt er: „Sein Geschäft verpflichtet ihn, den ganzen Tag über am Packhofe gegenwärtig zu sein, und hat er mithin Gelegenheit, die Gesinnungen der Kaufleute, Handlungsdiener, Schiffer, Schiffsknechte, Fuhrleute, Packhofsarbeiter zu erforschen.“ Zur Empfehlung eines Zweiten: „Er besucht täglich die von den Bürgern der Mittelclasse frequentirten Tabagien und Weinkeller, sowie die vier ersten Freudenhäuser etc.“ Er lieferte ferner eine Charakteristik von sechsundsiebenzig Einwohnern Magdeburgs und deren Umgebungen aus der Zahl der Staatsbeamten, Domänenpächter, Gutsbesitzer und angesehener Kaufleute. In dieser Schilderung, welche doch nur die Tendenz hatte, den Chef des Polizeiwesens von ihren Gesinnungen gegen König und Staat zu unterrichten, sprach er auch von ihren Vorzügen, Mängeln und Gebrechen in Beziehung auf Kopf und Herz; ja, er mischte sogar dasjenige ein, was von diesen Personen, deren Frauen und Töchtern die scandalöse Chronik sagte. Dadurch setzte er aber seinem niedrigen Geschäfte die Krone auf, daß er vorschlug, ob man nicht Domestiken zu Agenten der geheimen Polizei annehmen und ihnen zur Pflicht machen wollte, die dem Staate nachtheiligen Aeußerungen ihrer Herrschaften und der sie Besuchenden zu referiren.

Anfangs wurden die Agenten der geheimen Polizei – vereidigt. In diesem Eide hieß es unter Anderm: „Ich – schwöre: daß ich laut der vom Herrn Maire mir gegebenen Vocation und Instruction dem Könige, dem Staate und der Stadt gewissenhaft dienen, mit Klugheit und Vorsicht auf Entdeckung aller Verbrechen gegen König und Staat mich legen will, – so wahr mir Gott helfe und ich selig zu werden wünsche.“

Einige Staatsbeamte und andere Einwohner einer westphälischen Stadt feierten 1813 den Geburtstag des Königs von Preußen. In der Nacht des 27. August wurden sie verhaftet. Man führte sie nach Kassel, warf sie in’s Castell und ließ sie unter Beraubung aller Bequemlichkeiten wochenlang im Kerker schmachten. Unstreitig würden sie nach Frankreich abgeführt worden sein und dort ein hartes Schicksal erfahren haben, wenn sie nicht durch die am 28. September unter dem Befehl des Generals Tschernischef in Kassel eingerückten russischen Truppen befreit worden wären. Später hat es sich aufgeklärt, daß ein in ihrem Wohnorte angestellter Staatsbeamter – ein Agent der geheimen Polizei – ihr Ankläger gewesen war. Von der stattgehabten Geburtstagsfeier hatte er nicht nur dem General-Polizeicommissär Moisez, sondern auch gleichzeitig dem Chef der Polizei in Kassel Anzeige gemacht, damit der erstere doch ja nicht die Frevler mit einer Warnung entlasse, welche Milde er bei ähnlichen ihm gemachten geheimen Anzeigen beobachtet hatte.

Das Wichtigste unter den dem General-Polizeicommissär Schulze abgenommenen Papieren war ein von ihm geführtes Journal, woraus sich ergab, welcher Personen er zur Ausforschung der Stellungen der Verbündeten und ähnlicher Kundschafterei, zur Beförderung von Briefen nach auswärtigen Oertern etc. sich bedient hatte. Die Zahl der deshalb zur Untersuchung gezogenen Personen belief sich auf fünfzig. An Douceurgeldern hatte er mehr als fünftausend Thaler in Ausgabe gebracht. Diesen Fond erhielt er theils vom Gouverneur, theils aus der Stadtcasse, theils vom französischen Hauptspionsbureau, welches in Dresden seinen Sitz und vom 1. Januar bis 8. September 1813 die Summe von 259,823 Franken verausgabt hatte.

Nirgends aber war die hohe Polizei Napoleon’s sorgfältiger organisirt als in Hamburg, wo man den geheimen Verbindungen Deutschlands mit England auf die Spur zu kommen suchte. Hier, wo der Marschall Davoust, Fürst von Eckmühl, als General-Gouverneur seit 1810 residirte und d’Aubignosc – früher in Hannover – zum Generaldirector der hohen Polizei ernannt war, hatte ein Conseil spécial die ausdrückliche Bestimmung, dem geheimen Verkehr mit England nachzuspüren, ihn zu unterdrücken und alle englischen Waaren verbrennen zu lassen. Freilich hinderte dies nicht, daß dieselben in Menge eingeschmuggelt wurden, da Bourienne, der als ministre plénipotentiaire in Hamburg weilte, seine Stellung vortrefflich zu seiner Bereicherung zu benutzen wußte, indem er für klingende Münze Erlaubnißscheine zum Eingang der Waaren ausstellte.

Am schlimmsten erging es den Angeklagten unter den deutschen Bewohnern Hamburgs, seit man der Generaldirection der hohen Polizei von Paris aus zwei Subjecte als Gehülfen zugesandt hatte, die wegen Mißbrauchs ihrer Stellung entlassen waren, einen gewissen Verteuil und Lassaussay, früher Unterpräfect zu Nantes. Diese beiden nur auf Raub ausgehende Menschen, denen die verworfensten unter den subalternen Agenten der Polizei sehr bald ihren eifrigsten Beistand leisteten, wußten Befehle zu Arrestationen und Confiscationen zu erschleichen und erlaubten sich alle möglichen Bedrückungen bei Ausführung der Maßregeln gegen den englischen Handel, sowie unter dem Vorwande, Verschwörungen und die Verbreitung aufrührerischer Schriften zu wittern.

Doch es sei genug an den angeführten Beispielen, um zu zeigen, wie das Institut der hohen französischen Polizei vor Allem das nördliche Deutschland umsponnen und überall die verworfensten Subjecte zu seinen Diensten hatte. Ein Glück, daß, von der Noth getrieben, für seine Familie Brod zu erwerben, auch mancher rechtliche Mann zu einem Polizeiamte sich bequemen mußte, wo er Gelegenheit fand, durch Rath und Warnung Viele vor Verfolgung und Unglück zu schützen und überhaupt die Härten der von Paris vorgezeichneten Maßregeln in der Ausführung nach Möglichkeit zu mildern.




Der letzte Krieg um den Rhein.
Nr. 2. Durchmarsch und Abschied in Leipzig.[1]


Der Marktplatz zu Leipzig in der Weltgeschichte. – Deutschlands Trauer und Erhebung. – Leipzigs Arbeit für’s Vaterland. – Der internationale Hülfsverein. – Lebewohl der Wehrmänner. – Die Lieder und Blumen der Jugend. – Das Scheide-Abendmahl. – Die Durchmarschirenden. – Gesundheit für Roß und Mann. – Die Bahnhöfe als Wallfahrtstätten. – Der erste, der moralische Sieg der Deutschen.


Als ich vor etwa zwölf Jahren zum ersten Male als hier Angesiedelter in schöner Mondnacht über den stillen Marktplatz schritt, über den Markt von Leipzig, traten mir aus der Vergangenheit desselben Zug um Zug hochragende Gestalten und bunte Menschenwogen vor das geistige Auge, die in dem Bilde der Weltgeschichte an uns vorüberziehen, und mit Ehrfurcht beschritt ich diese Stätte, wie ein Heiligthum des Völkergeschicks, denn jedes große europäische Verhängniß seit mehr als drei Jahrhunderten führte Freund und Feind über unsern Markt.

Luther und Kaiser Karl den Fünften, Tilly und Wallenstein, Gustav Adolf und Herzog Bernhard, Karl den Zwölften und Friedrich den Großen – sie Alle sah dieser Markt und noch Hunderte, die die Geschichte nennt, und Hunderttausende, die nur als Menge zählten. Doch über alle diese Fürsten und Führer und ihre Getreuen


  1. Wir haben in unserem vorigen Artikel schon angedeutet, daß wir in diesen ersten Schilderungen unserer großen Zeit nur Einleitendes geben können, das selten über den Rahmen des Lebensbildes unserer Stadt hinausgeht, eben weil in diesem Bilde im Kleinen die ganze große Bewegung unseres Vaterlandes sich widerspiegelt. Wir liefern damit allerdings nur Material für die künftige Geschichtschreibung; dasselbe wird aber um so werthvoller sein, je treuer wir im beschränkten Kreise auf Wahrheit und Klarheit halten. Und das wollen wir.
Empfohlene Zitierweise:
Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 522. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_522.jpg&oldid=- (Version vom 28.1.2019)