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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)


der Napoleonischen Polizei genügen, um wenigstens an einzelnen Beispielen zu zeigen, welche Subjecte in jener schmachvollen Zeit der Gewaltherrschaft dazu verwendet wurden, mit der Ehre und Freiheit, ja mit der ganzen Existenz der Unterdrückten ein so ruchloses Spiel zu treiben, daß die Feder sich scheut, die Einzelheiten nach dem Berichte der glaubwürdigsten Zeugen wiederzuerzählen.

Unterstützt wurde die hohe Polizei des westphälischen Reiches durch den Obersten Bongars, der als Oberstlieutenant und Maréchal des logis dem Könige Jerome aus Frankreich gefolgt war, und der später, nach Bercagny’s Beseitigung, als General-Inspector der Gensd’armerie an die Spitze der hohen Polizei des Königreichs gestellt wurde. Dieser Bongars, ein Mann von hohem, stattlichem Wuchse und bedeutungsvollen Zügen, hatte die Verstellung so in seiner Gewalt, daß sein Gesicht im schlichten, bürgerlichen Leben nie ohne Anmuth war und selbst zur Stunde der furchtbaren Inquisition etwas Zutrauenerweckendes behielt. Er war also vermöge seines Charakters und des Aeußern ganz für die Stelle geeignet, mit welcher ihn das Vertrauen des Königs belehnt hatte. Als geborener Franzose redete er das Deutsche sehr schlecht, d. h. nur gebrochen. Verhöre pflegte er nach Fouché’s Muster gar nicht anzustellen. Hatte er aber Männer zur Inquisition, welche entweder Muth und Entschlossenheit genug besaßen, um sich dreist gegen ihn zu erklären, oder bei welchen er Geistesgegenwart und Kenntnisse genug voraussetzte, um wohlgegründete Einwürfe von ihnen erwarten zu müssen, so hielt er einen Troß seiner Gesellen in der Nähe, welche bald zugegen sein mußten, wenn er den Hauptinhalt der Anklage auftischte, bald im Zimmer auf und nieder schritten, den Verhafteten strenge in’s Auge fassen und vom Kopfe bis zu den Füßen in dem Augenblicke fixiren mußten, wo seine Vertheidigung beginnen sollte.

Afrikanische Truppen im Lager von Chalons.
Nach der Natur aufgenommen von Fikentscher.


Nur auf Bereicherung dachte Bongars. Seine beispiellose Frechheit hieß jedes Mittel gut, welches dahin führte. Ob durch die schändlichen Erpressungen, die er verübte, Familien zu Grunde gerichtet wurden oder nicht, das galt ihm gleichviel. Er setzte für Geld Freiheit, Ehre, selbst das Leben Anderer auf das Spiel, und hätte durch seine schändlichen, oft alles menschliche Gefühl empörenden Handlungen, die er mit despotischer Gewalt verübte, die Strafe grober Verbrecher auf sich geladen, und doch blieb er ungestraft, weil er das Ohr seines furchtsamen Königs für sich hatte.

Der sogenannten hohen Polizei blieb unter Bongars nichts heilig. Man öffnete ohne Scheu Privatbriefe und las sie durch, um die Personen, an welche sie gerichtet waren, für jede noch so unbedeutende Zweideutigkeit an Gelde, Ruf und Ehre, Gesundheit und Leben zu strafen. Die Reisenden mußten sich gefallen lassen, daß die Gensd’armen ihre Kleidung durchsuchten, vorgefundene Briefe erbrachen und durchlasen.

Die Zahl der Gensd’armen belief sich auf mehr als neunhundert Mann. Sie waren im Königreiche vertheilt und zum Theil mit den schärfsten Instructionen der hohen Polizei versehen. So vertheilten sie z. B. an die Cantonmaires gedruckte Schemata zu einer Art von Conduitenliste für ihre Pflegebefohlenen und Ortsmaires; erkundigten sich sorgfältig nach den Umständen und Gesinnungen der Landgeistlichen, ihren Sitten und sogar nach dem Inhalte ihrer Kanzelvorträge. Außerdem wimmelte es im Lande von geheimen Agenten, Spionen, verrätherischen Dirnen und Polizeiknechten, die jedes nur verdächtig scheinende Wort verriethen.

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 520. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_520.jpg&oldid=- (Version vom 9.9.2019)