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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

Orten gute Cameradschaft, was insofern zu bemerken ist, als Zuave, Turco und Zephir, wo sie sich treffen, einander zu befehden und mit fortwährenden Eifersüchteleien und Spöttereien zu verfolgen pflegen. Wie der Zuave kämpft auch der Chasseur selten in geschlossener, sondern fast immer in gelöster Colonne. Es können daher nur unsere, freilich sehr zahlreichen, kaltblütigen Scharfschützen und Füsiliere mit sicherem Erfolge gegen beide manövriren.[1]

D.





Die französische geheime Polizei in Deutschland.

„Es muß in der deutschen Nation das Gefühl des Unwillens erhalten werden über den Druck und die Abhängigkeit von einem fremden übermüthigen Volke!“ Also rief Stein, „der Deutschen Edelstein“, als welchen ihn Arndt pries – „le nommé Stein“, „der Namens Stein“, wie das berüchtigte Aechtungsdecret des ersten Napoleon sagte – schon im Jahre 1808, und wer einen Blick auf die reiche Literatur wirft, welche gelehrt und populär die Zeit von Deutschlands größter Erniedrigung und endlicher Befreiung zum Gegenstand ihrer eindringlichen Schilderung gemacht hat, muß zugeben, daß die Mahnung des großen Patrioten und Staatsmannes nicht ungehört verhallt ist, sondern in einer Weise fort und fort gewirkt hat, die uns, den Enkeln, nunmehr die segensreichste und herrlichste Frucht verspricht.

Das nationale Bewußtsein unseres Vaterlandes ist auf das Lebhafteste angeregt; die Begeisterung, mit welcher Deutschland im Jahre 1813 den gewaltigen Kampf mit dem großen Würger Napoleon aufnahm und von der wir immer als von einer Sache erzählen hörten, die in ihrer wahren Größe und Herrlichkeit gar nicht gedacht werden, gar nicht mehr wiederkehren könne, hat die deutschen Herzen auf’s Neue ergriffen, die Zeiten der Zersplitterung und Schwäche sind vorüber, und Deutschland ist als Weltmacht wieder in die Geschichte eingetreten. Um diesen glänzenden Ideen zum dauernden Siege zu verhelfen, ist es – und das ist der Sinn der Stein’schen Worte – nicht die schlechteste Hülfe, den Blick selbst in sturmbewegter Gegenwart nach rückwärts zu wenden und in die Erinnerung gerade die traurigsten Blätter der Geschichte zurückzuführen auf denen die Folgen nationaler Entwürdigung mit unverlöschlicher Schrift geschrieben stehen. Es wird von Nutzen sein, in dem Augenblicke, da das französische Heer, die räuberischen, blutdürstigen, mordgierigen Horden Afrikas an seiner Spitze, zum Einbruch bereit an unseren Grenzen steht, sich jener Unbilden zu erinnern, die das deutsche Volk – Dank seiner Uneinigkeit – auf seinem eigenen Boden von den Franzosen erlitten, wie diese in unserem großen, aber machtlosen Vaterlande gehaust, geplünderte Städte zerstört, Landschaften verwüstet, die Unterdrückten mit Schmach und Hohn überschüttet und ganze Länderstriche vom deutschen Reiche losgerissen haben. Die Erinnerung solcher Schmach, die, wir wiederholen es, nur durch deutsche Zwietracht möglich wurde, muß unserem Volke nun zur Wohlthat werden, wenn sie seine Herzen mit Scham und Zorn erfüllt, und darum rollen wir heute, indem wir den vortrefflichen Arbeiten A. Tellkampf’s, dann Venturini’s und Anderer folgen, vor dem Blick unserer Leser ein Bild auf, das von der höchsten Verworfenheit Zeugniß geben soll, mit welcher die französische Gewaltherrschaft unsere Zustände vergiftete.

Die riesenhafte Größe der französischen Erpressungen in Norddeutschland ist bekannt; der Gesammtwerth derselben betrug, soweit solche durch Daru’s Hand gegangen waren, nach dessen eigener Angabe die Summe von 513,744,410 Franken und 90,483,511 Franken Werth an Lieferungen von Lebensmitteln, Bekleidungsgegenständen, Hospitalbedürfnissen etc., zusammen also 604,227,921 Franken, außer dem, was die einzelnen Orte und Einwohner den oberen Befehlshabern, den Officieren, Commissarien und Soldaten hatten geben müssen.

Was aber außer dem Druck unerschwinglicher Kriegssteuern und anderer Erpressungen im nördlichen Deutschland die Gemüther am tiefsten gegen die fremde Gewaltherrschaft erbitterte, war die polypenartig durch die ganze Bevölkerung sich verbreitende, von Paris ausgehende und zum Theil direct von dorther geleitete geheime Polizei. Mit ihrer Hülfe hoffte Napoleon jede Regung zum Versuch, das ihnen verhaßte Joch abzuschütteln, bei den in Fesseln gehaltenen Deutschen schon im Keim ersticken zu können, und nicht leugnen läßt es sich, daß unter Fouché’s Leitung das Institut seiner geheimen Polizei mit der verrufenen spanischen Inquisition glorreich wetteiferte.

Mit besonderem Erfolge entfaltete sie sich im Königreiche Westphalen, wo ein Decret vom 27. Januar 1808 den Staatsrath Pothau zum Polizeipräfecten ernannte, dem am 18. September der Chevalier Legras de Bercagny als Generaldirector der haute-police nachfolgte. Dieser Bercagny, ein feingebildeter Franzose von umfassenden Kenntnissen, dabei ein schöner Mann, liebenswürdig, wenn er wollte, und von hinreißender Beredtsamkeit, war in hohem Grade leidenschaftlich und daher zu den ärgsten Gewaltsamkeiten geneigt. Der deutschen Sprache nicht mächtig, mußte er sich auf die französischen Rapporte und Uebersetzungen seiner Untergebenen verlassen, die oft voller Ungenauigkeiten und Entstellungen waren und daher das Maß seiner Ungerechtigkeit nur steigerten.

Zu seinem Generalsecretär wählte er einen gewissen Savagner, der früher bei einem Gerichtshofe in Straßburg gestanden hatte, aber seines unordentlichen Lebens wegen entlassen war. Bald wurde er der Liebling seines Chefs, da er unruhigen Geistes und immer geschäftig, alle Triebfedern der Maschine in unaufhörlicher Bewegung erhielt und als vollendeter Roué alle Elemente der sittlichen Verkommenheit aufzuspüren und in die Dienste der hohen Polizei zu ziehen wußte. Hierin unterstützten ihn zwei Subjecte gleichen Schlages, aber wo möglich noch gemeinerer Natur, der Polizei-Inspector Würtz und der Agent Kroschky.

Letzterer, ursprünglich Mitglied einer Gaunerbande und als solcher im Gefängniß, fand durch seine Concubine Gnade bei Savagner und Anstellung als Agent der geheimen Polizei. Er zeigte sich unerschöpflich in Berichterstattungen, die ihm um so leichter und geläufiger wurden, als er sehr sinnreich in Erdichtungen zum Verderben Anderer war. Mehr bedurfte es nicht, um Savagner ganz zu gewinnen. Am Ende verwickelte sich aber Kroschky in solche Verbrechen, daß er arretirt und criminell behandelt wurde. Nie war ein öffentliches Verhör von dem gegen ihn erbitterten Publicum so überlaufen wie das seinige. Er wurde mit einem unschuldigen Bürgermädchen confrontirt, welches er durch teuflische List zu verführen gesucht; nur ein Wunder ihrer Standhaftigkeit rettete sie noch, als er sie sogar schon bedroht hatte, daß, wenn sie sich nicht in seinen Willen und in seine höheren Zwecke fügte, ihr Vater seinen Erwerb bei Hofe und ihre ganze Familie ihr Brod verlieren sollte. Deshalb und noch anderer Streiche wegen verfiel er in Gefängnißstrafe, aus der er zwar mit Hülfe seines Gönners zum allgemeinen Entsetzen wieder Freiheit fand, doch gelang es der Vorstellung der Bürgerschaft, seine Entfernung endlich dauernd zu erwirken.

Ein College und Nebenbuhler des Generalsecretärs Savagner war der Schweizer Schalch, früher Commis in einer Galanteriewaaren-Handlung in Paris, der sein Geschäft aber mehr als jener im großen Styl zu behandeln wußte und sich weniger in das schmutzige Detail der niedrigen Region einließ. Er selbst genoß sein Sündenbrod größtentheils in Unthätigkeit; denn er ließ nur immer Andere handeln, setzte sich alsdann zu Gericht, verdammte oder sprach frei, band und löste nach Willkür, oder theilte sich in den Raub, den ihm seine dienstfertigen Geister zugeführt hatten. Am längsten und liebsten verweilte er in dem Hintergebäude des Hôtels der Polizei, wo die geheimen Sachen im strengsten Sinne des Wortes geschmiedet und betrieben wurden und dessen Schwelle kein Fuß eines Profanen betreten durfte. Hier beschäftigte man sich mit Dechiffriren, mit geheimen Beantwortungen, mit Fabrication von erdichteten Briefen, die, bald von einem reisenden Kaufmanne, bald unmittelbar aus London datirt, in dem westphälischen Moniteur als echt aufgetischt und aufgedrungen wurden.

Es mag an der Vorführung der hier genannten Werkzeuge

  1. Der Vollständigkeit wegen theilen wir im Anschluß an diesen Artikel aus einem früheren Jahrgange eine Illustration des bekannten Malers Fikentscher mit, welcher bei einem Besuche des Lagers von Chalons Gelegenheit hatte, persönlich die einzelnen Truppengattungen der französischen Armee kennen zu lernen.
    Die Redaction. 
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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 519. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_519.jpg&oldid=- (Version vom 31.3.2021)