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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870)

das Schnauben seines Pferdes im Hofe und das schwere Schreiten der Schildwachen draußen vor dem Gitterthor des Hofes.

Nach fünf Minuten kam der Adjutant zurück. Er trug einen Säbel in goldblanker Messingscheide mit goldener Troddel daran in der Hand, und ihn Ulrich mit einer Verbeugung überreichend, sagte er: „Herr Graf, ich habe die Ehre, Ihnen diese Waffe zu überreichen; Seine Hoheit ertheilt Ihnen bereitwillig dies Zeichen seiner Gewogenheit und vollen Gnade; den Dank für die Huldigung, welche Sie ihm dargebracht, wünscht er Ihnen recht bald persönlich aussprechen zu können.“

Diese kleine Rede war die officielle Redaction derjenigen, welche Joachim Murat soeben in Wirklichkeit gehalten, als der Kammerdiener in sein Schlafzimmer getreten und ihn mit dem Auftrage, den er vom Adjutanten empfangen, am Einschlafen gehindert hatte. Seine Hoheit hatte sich auf die andere Seite geworfen und geantwortet:

„Ah … das Pferd wird das sein, von dem mir St. Avignon gesprochen hat! Man will es mir schenken? Sehr gut! Aber dieser heilige Nicolaus, der seine Geschenke in der Nacht bringt, ist ein Narr. Man sollte ihm eine Narrenpritsche geben. Aber da er, wie Du sagst, einen Säbel will, gebt ihm einen. Geh’, Giles, ich will schlafen.“ –

Graf Ulrich erhielt diese Worte in jener anderen Form übermittelt; es war ziemlich gleichgültig in welcher, er hörte auch wenig darauf, als er hastig und erfreut den Säbel an sich nahm und die Kuppel sich umschnallte. Dann nahm er seinen Hut und machte eine Verbeugung, um sich zu verabschieden. Der Adjutant begleitete ihn bis an das Schloßportal, ließ noch einige höfliche Worte fallen, daß er sehr bald die Bekanntschaft des Herrn Grafen erneuern zu dürfen hoffe, daß der Herr Graf sich sicherlich sehr bald nach dem Befinden seines schönen Pferdes zu erkundigen kommen werde, und was dessen mehr war … Graf Ulrich war schon draußen, rasch davonschreitend, den Säbel Joachim Murat’s an der Seite.

Der Portier aber lief hinter ihm über den Hof, um in den nahen Marstall den eben erhaltenen Befehl des Adjutanten zu bringen, daß man den Rappen Graf Ulrich’s abzuholen und für das schöne Thier, das so unerwarteter Weise die Zahl der Leibrosse Seiner Hoheit vermehren sollte, zu sorgen komme.

Graf Ulrich vertiefte sich unterdessen in die Schatten der Allee vor dem Schlosse, schritt dann in die Stadt hinein, und nachdem er einige Gassen durchwandert, stand er vor dem Einfahrtsthor eines an einem freien Platze liegenden Gebäudes still; über dem Thor war ein großes Schild angebracht; bei Tageslicht war darauf der kaiserliche Doppelaar zu erkennen, der trotz des Umschwungs der Zeiten noch unangetastet diese Stelle wie eine fremde Exterritorialität hütete. Das Gebäude war der noch unter fürstlich Thurn- und Taxis’scher Verwaltung stehende ehemalige Reichspoststall. Graf Ulrich klopfte mit dem Knopf seiner Reitpeitsche daran. Das Thor that sich vor ihm auf, um ihn einzulassen; nach einer Viertelstunde öffnete es sich wieder, diesmal mit weiten Flügeln, und zwei Reiter ritten daraus hervor, ein Postillon in der gelben Jacke und hohen Courierstiefeln und hinter ihm Graf Ulrich. Ein solcher Ritt mit Courierpferden oder Postkleppern war in jenen Tagen für den, welcher keine eigene Chaise, vor die er Postpferde legen lassen konnte, besaß, immer noch die beliebteste Art, sein Fortkommen zu bewerkstelligen.




13.

Es war am andern Morgen. Graf Ulrich hatte sein Schloß wieder erreicht, als die Sonne schon ziemlich hoch am Himmel stand; Schloß Maurach aber hatte noch in tiefer Stille dagelegen, von einem duftigen feuchten Morgennebel umschleiert, jenem eigenthümlich beruhigenden und beschwichtigenden Zustand der Atmosphäre, der ganz danach angethan war, das tiefe Schlafbedürfniß zu steigern, welches der ermüdete junge Mann in allen Gliedern fühlte; nicht blos in den schwer gewordenen Lidern, auch in den Schultern und Knieen und Füßen, in denen überall ein schweres Gefühl von Mattigkeit beinahe schmerzhaft wurde. Er hatte vor dem Thore seinen Postknecht abgelohnt und mit seinen Gäulen heimgeschickt, dann war er unbemerkt und unaufgehalten durch den Schloßhof und das offen gelassene Portal in seine Wohnung geschritten, hatte sich entkleidet, den Säbel Murat’s, die Trophäe seines Gewaltritts in der verflossenen Nacht, auf den Stuhl vor seinem Bette geworfen und sich zur Ruhe gelegt, um bald in einen tiefen Schlaf zu sinken.

Wie lange er in den Armen dieses erquickenden Schlummers gelegen, wußte er durchaus nicht, als er daraus geweckt wurde. Er hörte Stimmen und die raschen fest auftretenden Schritte mehrerer Männer im Hofe; sie näherten sich und verhallten dann; sie mußten in das Gebäude eingetreten sein. Jetzt glaubte er auffallend hastiges Hin- und Hergehen auch im Innern des Schlosses zu vernehmen; er wartete einen Augenblick, ob nicht Joseph eintreten um ihm zu melden, daß etwas sein Aufstehen und seine Anwesenheit erfordere. Aber Joseph kam nicht; Graf Ulrich’s Lider schlossen sich wieder: er entschlummerte noch einmal, unbekümmert um das Geräusch, das wieder erstorben war.

Als er wieder erwachte, hörte er abermals Stimmen auf dem Hofe. Er unterschied die Stimme seines Reitknechts, der ausrief:

„Aber ich kann darauf schwören, daß es nicht später als halb neun Uhr, höchstens halb neun Uhr war!“

Eine andere, Ulrich nicht bekannte Stimme antwortete in scheltendem und ungläubigem Tone etwas. Dann entfernten sie sich.

„Zankt man sich dort um die Stunde, wann ich gestern fortgeritten bin?“ fragte sich Graf Ulrich, sich ausstreckend. „Vielleicht glauben sie gar, ich sei nicht heimgekommen, weil das Pferd fehlt. Ich werde aufstehen müssen, um sie zu beruhigen!“

Trotz dieses Vorsatzes blieb Graf Ulrich ruhig liegen. Er schien nach der Anstrengung der Nacht die Ruhe, das bequeme Sichstrecken gar zu bequem zu finden. Er stützte den Kopf auf den Arm und begann in ein tiefes Sinnen zu gerathen.

„Es wird eine hübsche Ueberraschung für sie sein,“ flüsterte er für sich hin. „Welche Miene sie machen wird! Welche reizende komische Miene! Mit aufgeworfener Lippe! Mit trotzig zusammengezogenen Brauen und mit Blicken, die doch zu so viel Trotz gar nicht stimmen werden! Nicht im mindesten!“

Er lachte fröhlich auf … Die Vorstellung Melusinens, wie sie aus seiner Hand den Säbel Murat’s, den sie verlangt, entgegennehmen werde; der Kampf ihres inneren Ueberwundenseins und ihres sich sträubenden Trotzes, der sich dabei in ihren Mienen spiegeln müsse, ließ sein Herz hoch aufschlagen. Von dieser Vorstellung war er so voll, daß er nur mit Mühe seine Gedanken davon losreißen konnte; auch kehrten sie fortwährend zu dieser Scene zurück – er kostete im Voraus das ganze Glück dieses Augenblicks, trotzdem, daß er doch so viel Wichtigeres zu überdenken, sich über eine so unendlich bedeutungsvollere Angelegenheit klar zu werden hatte, noch in dieser Stunde eine Lösung dafür suchen mußte! Hatte er nicht Frau Wehrangel versprochen, an diesem Morgen zurückzukehren und mit ihr weiter über die Angelegenheit zu verhandeln, in welcher sie ihm gestern Aufschlüsse gegeben hatte? Hatte er nicht in dieser Sache einen höchst entscheidenden, für seine ganze Zukunft entscheidenden Entschluß zu fassen? Hatte er nicht gründlich und gewissenhaft zu überlegen, mit welchen Gründen er jene Frau bewegen sollte, von einem Vorhaben zurückzukommen, das sie gefaßt, das sie ihm ausgesprochen und das ihm seine Ehre gebot, in ihr bis auf’s Aeußerste zu bekämpfen? Es war sonderbar – alles das lag auf ihm, und er, er dachte doch nur mit halben Sinnen daran, und mit mehr als der andern Hälfte – an den Säbel Murat’s!

In diesem Nachdenken und seinem trägen sich im Bette Strecken wurde er plötzlich und sehr unerwartet durch mehrere Personen unterbrochen, welche rasch in sein vorderes, sein Wohn- und Arbeitszimmer traten, beinahe hereinstürmten.

Da die Verbindungsthür zwischen seinem Schlafzimmer und diesem vorderen Zimmer ein wenig geöffnet stand, erkannte er sie leicht; die geschlossenen Fensterladen in seinem Schlafzimmer ließen dagegen ihn hinter seinen Bettvorhängen den Eintretenden ganz unsichtbar bleiben.

Es waren Melusine, der Vicomte, ein Herr in mittleren Jahren, der Graf Ulrich bald nach seiner Ankunft in Maurach einen Besuch gemacht hatte, um sich ihm als den Patrimonialrichter der Herrschaft vorzustellen; ein anderer, wie ein Schreiber aussehender Mensch und hinter ihnen der Pastor Demeritus, Herr Lohoff … Joseph hielt sich scheu an der in den Saal führenden Eingangsthür.

Eine merkwürdige Hast und Unruhe lag in den Bewegungen aller dieser Menschen, das Gepräge der Aufregung und Spannung

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Verschiedene: Die Gartenlaube (1870). Leipzig: Ernst Keil, 1870, Seite 515. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Die_Gartenlaube_(1870)_515.jpg&oldid=- (Version vom 9.3.2019)